geschliffene Kugeln ?

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  • Sans-Souci
    Erfahrener Benutzer
    Major
    • 01.10.2006
    • 1847

    geschliffene Kugeln ?

    Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen schrieb über die Schlacht von Valmy am 20. September 1792:

    Dieses unmelodische Pfeifen und Heulen der französischen Kugeln dauerte volle vier Stunden, von 12 Uhr mittags bis den Nachmittag um 4 Uhr. Dabei haben die französischen Kanonenkugeln, weil sie alle geschliffen sind, einen eigenen, hellklingenderen Ton als die unserigen, wenn sie die Luft durchschneiden.
    Frage 1: Was ist mit "geschliffen" gemeint ? Nachpoliert ? Nochmal überschmiedet ?

    Frage 2: Ist der höhere Ton das Resultat einer höheren Fluggeschwindgkeit der Kugel ? Oder wie kommt er zustande ? Oder ist es nur eine akustische Täuschung - wegfliegende eigene Kugeln klingen durch den Doppler-Effekt natürlich tiefer ?

    Frage 3: Hängt beides miteinander zusammen ? Fliegen geschliffene Kugeln tatsächlich schneller ? Oder lag es nur am anderen Kaliber oder an anderer Pulverladung (stärkere Ladung, und/oder bessere Qualität ?) der Franzosen ?
  • Blesson
    Erfahrener Benutzer
    Adjudant
    • 03.10.2006
    • 778

    #2
    Mangels eigener Erfahrung müssen wir ein wenig mit unserem phsysikalischen Grundwissen spekulieren.

    Wenn tatsächlich von Vollkugeln und nicht von Bomben die Rede ist, kann das wohl nur für kleinere Kaliber, sagen wir 4-Pfünder gelten? Die Anfangsgeschwindigkeit liegt deutlich unter der Schallgeschwindigkeit, so etwa 150-200 m/s. Nur bei sog. "schweren" Geschützen mit 24-Kaliberlängen konnte wohl eine höhere Anfangsgeschwindigkeit und somit größere Reichweite sowie bessere Treffergenauigkeit erzielt werden, aber wieviel genau? Bei den schweren Kalibern, also ab 12-Pfünder aufwärts, ist bekannt, daß sie aus weiterer Entfernung brummten, daher sprach der alte Fritze von "Brummern". Die Frequenzen, die mit einem größeren Kaliber bei gleicher Geschwindigkeit erzeugt werden können, liegen nun mal tiefer (ähnlich wie bei Orgelpfeifen). Aber nun ist es obendrein so, daß nur die tieferen Frequenzen noch auf weite Entfernung wahrgenommen werden als die hohen Frequenzen, vulgo wenn Augen- und Ohrenzeugen das Pfeifen gehört haben wollen, war es schon verflucht nahe dran... und dann kommt noch die Richtung dazu:

    Ich würde es auf Kapitel Wahrnehmung schieben wollen, denn FWIII als Kronprinz hat die eigenen Kugeln aus tunlichen Gründen nicht so nahe vorbeifliegenden hören dürfen.... SM waren nicht gerade ein Experte im Artilleriewesen, da höre ich doch schon lieber auf unseren verehrten Scharnhorst.

    Wenn man nämlich hinter dem Geschütz steht, schlägt, wie oben bemerkt, der Dopplereffekt zu, da brummt es nur, wenn man hingegen in der Flugbahn steht, also als Ziel auserkoren ist, so kann das Pfeifen vielleicht die allerletze Wahrnehmung vor dem Abgang sein. Solche Zeitzeugen können uns dann leider nicht mehr berichten. Experten sprechen dann von einem Experiment ohne Wiederkehr.

    Eine rotierende Kugel hatte infolge des Lufwiderstandes ein Effekt auf die Flugbahn, vielleicht auch auf die Frequenzen?

    Also um es zusammenzufassen, haben wir mehrere Faktoren, die nicht leicht auseinander zu dividieren sind:

    - Anfangsgeschwindigkeit (hier kommen die Pulverqualität und innere Ballistik mit Rotationen ins Spiel)
    - Kaliber
    - Entfernung von der Flugbahn, also hörbare Frequenzen
    - Richtung, Dopplereffekt
    - Rotation (halte ich nicht für sehr wahrscheinlich)

    Das Schleifen hat auf die Ärodynamik sicher einen zu vernachlässigenden Einfluß. Die Vorstellung, daß sich eine besser gehärtete Kugel schärfer in die Luft einschneidet, gehört aus heutiger Sicht in die Legende, war aber bei Zeitgenossen weit verbreitet, weil es ja so sein mußte. Eine Gußnaht kann vieleicht ein Pfeifen hervorrufen, aber die dürfte gerade beim Schleifen ja nicht mehr da sein?

    Mit den geschliffenen Kugeln sind wohl die überschmiedeten gemeint? Mir wäre diese weitere Bearbeitungstechnik neu... auszuschließen ist es aber nicht, also müssen Belege her. Das Verhältnis von Geschoßgewicht und Rohrgewicht war bei den Franzosen auch nicht viel anders, das fordert schon der Impulserhaltungssatz.

    Vielleicht gibt ja weitere überlebende Ohrenzeugen.

    LB
    Zuletzt geändert von Blesson; 13.06.2008, 22:02.
    Do, ut des

    http://www.ingenieurgeograph.de

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    • Sans-Souci
      Erfahrener Benutzer
      Major
      • 01.10.2006
      • 1847

      #3
      Scharnhorst, Handbuch der Artillerie (1806), Bd. 2, S. 408 f., beschreibt das nochmalige Überschmieden der französischen Kugeln, welches jedoch "nicht in andern Artillerien nachgeahmt" würde.

      Einer der Vorteile des Überschmiedens ist, daß "die Oberflächen der Kugel fester, dichter" und rostbeständiger werden. Möglicherweise erschien es dem Uneingeweihten deshalb so, als wäre die Oberfläche nachpoliert worden.

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