Erinnerungen eines sächsischen Infanteristen an die napoleonischen Kriege

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  • Tom
    Erfahrener Benutzer
    Chef de Bataillon
    • 03.10.2006
    • 1068

    Erinnerungen eines sächsischen Infanteristen an die napoleonischen Kriege

    Hallo zusammen,

    das auf dem Rheinbund-Workshop "Sachsen" (2004, siehe http://www.napoleon-online.de/workshopsrheinbund.html ) von Hr. Schaar angekündigte Buch ist gerade erschienen:

    Christian Friedrich Frenzel (1750-1864): Erinnerungen eines sächsischen Infanteristen an die napoleonischen Kriege. Edition und Kommentar (Broschiert) von Sebastian Schaar. 200 Seiten; 19,90 EUR
    ISBN-10: 3939888117, ISBN-13: 978-3939888116


    Ich habe mein Expl. schon fast ausgelesen und kann nur sagen - es lohnt sich. Mir sind selten so interessante und einsichtsreiche Erinnerungen eines einfachen Soldaten untergekommen! Nebenbei auch viele Details zur Uniformierung, Taktik, Marsch, Schlacht, Verhältnis zu Offizieren (das - im sächs. Heer - als recht gut geschildert wird), Verpflegung, sonstigen Lebensumständen...

    Viele Grüße, Tom
  • Da Capo
    Erfahrener Benutzer
    Adjudant
    • 23.10.2006
    • 827

    #2
    Das Buch ist in der Tat lesenswert, wie meist alles, was von Leuten kommt „die dabei waren“. Deshalb ein großer Dank an Christian Schaar für die Mühen und an die Fakultät, diese Arbeit angenommen und einer Veröffentlichung zugeführt zu haben.

    Dennoch kann ich mich mehrerer Kommentare nicht enthalten.
    Es verwundert, dass bei umfangreichen Recherche (Anzahl von aufgelisteten Quellen 179 Stück) zwei Standardwerke zur Feldzugs-Teilhabe sächsischer Truppen (der Montbé für 1806 und der Exner für 1809) keine Berücksichtigung gefunden haben.

    Noch mehr verwundert, dass der Autor sich – welchen Einflüssen auch immer geschuldet – zu folgender Aussage hinreißen lässt „Ein vergangenes Erlebnis kann weder in der Gegenwart, noch in der Zukunft authentisch wiedergegeben werden. … Das heißt, wenn jemand ein Selbstzeugnis ablegt, hat das recht wenig mit dem tatsächlich Erlebten zu tun.“ (S.18). Generell angewendet bedeutet diese These nichts anderes, als dass die gesamte Geschichtsschreibung eine Ansammlung subjektiver Fiktionen ist. Hierbei verwundert den interessierten Laien wohl am meisten, dass die Fakultät diese Aussage unkommentiert lässt, obwohl ihr diese doch die wissenschaftliche Grundlage entzieht. Verwirrender Weise scheint die obige These aber dennoch, betrachtet man den Umgang der Historikerkommission zur Ermittlung der Dresdner Luftkriegstoten mit Augenzeugenberichten, innerhalb der Fakultät Anhänger zu haben.

    Leider gibt das Buch keine Auskunft darüber, warum die 17jährige Dienstverpflichtung (S.23) nach 14 Jahren (S.25) beendet war.
    Wenn der Feind in Schußweite ist, bist Du es auch. Vergiss dabei nie, dass Deine Waffe vom billigsten Anbieter stammt.

    Kommentar

    • Gunter
      Erfahrener Benutzer
      Chef de Bataillon
      • 01.10.2006
      • 1377

      #3
      Da Capo,
      in der Tat ein sehr interessantes Buch. Schon der Vortrag von Herrn Schaar auf dem workshop war sehr spannend.

      Aus meiner bisherigen Erfahrung mit Memoirenliteratur und mit Zeitzeugen kann ich dem Autor nur beipflichten. Menschen, die "dabei waren", können nur ihren ganz persönlichen Eindruck der erlebten Ereignisse überliefern. Das heißt aber nicht, dass sich deren Aussagen unbedingt mit dem ojektiv stattgefundenen Ereignis decken müssen. Daher kommt es auch, wenn mehrere Teilnehmer dasselbe Erlebte ganz unterschiedlich schildern.

      Den Satz „Das heißt, wenn jemand ein Selbstzeugnis ablegt, hat das recht wenig mit dem tatsächlich Erlebten zu tun.“ finde ich etwas zu extrem formuliert. Ich bin wahrlich kein Vertreter der dekonstruktivistischen Schule. Was man in den Quellen liest, sollte man zunächst erst einmal so glauben. Überprüft werden sollte der Wahrheitsgehalt aber dennoch. Wenn man das tut, dann stellen sich manche Schilderungen z.B. technisch oder geographisch als unmöglich heraus.

      Das beste Beispiel für den begrenzten Quellenwert von Augenzeugen sind Zeugenaussagen in Gerichtsprozessen. Unfassbar wie unterschiedlich verschiedene Zeugen denselben Hergang darstellen, denn keiner hat alles gesehen und in der Erinnerung werden die "verpassten" Teile interpretiert und neu zusammengesetzt. Psychologisch ist das ganz natürlich, nur für die Wahrheitsfindung ist das ein Problem. Es werden sogar Dinge von ganzen Menschengruppen kollektiv erinnert, die so nie stattgefunden haben. In der Geschichtswissenschaft ist die Transformation von Erlebtem in Erinnerung schon seit einiger Zeit ein Thema. In meiner Dissertation habe ich auch dazu geschrieben.

      >Generell angewendet bedeutet diese These nichts anderes, als dass die gesamte Geschichtsschreibung eine Ansammlung subjektiver Fiktionen ist.<

      So kann man das nicht sagen. Die subjektive Wahrnehmung von Individuen, die sie der Nachwelt überliefern, gibt nur das ganz persönliche Bild wieder, mit allen Einschränkungen des persönlichen Horizonts. Inwiefern Geschichtsschreibung sich einer Objektivität annähern kann (mal ganz vorsichtig formuliert), hängt von den Quellen ab. Eins ist nahezu unmöglich, man kann nie vollständig rekonstruieren "wie es gewesen ist". Erstens, weil die Quellen meist nur bruchstückhafte Überlieferungen darstellen und zweitens weil die Selbstzeugnisse der Zeitzeugen selbstverständlich nur deren subjektive Sichtweise beinhalten. Ehrlicherweise sollte man wohl besser Geschichtsschreibung nicht pauschal als faktische Rekonstruktion von Vergangenheit verstehen, sondern als Rekonstruktionsversuch auf der Basis der Interpretation von Quellen, mit allen Einschränkungen. Genau das ist auch der Grund, warum viele Epochen in späteren Generationen immer wieder neu bewertet werden und bewertet werden müssen. Es gibt keinen endgültigen Forschungsstand, gerade nicht zu komplexen menschen Interaktionen.

      >Verwirrender Weise scheint die obige These aber dennoch, betrachtet man den Umgang der Historikerkommission zur Ermittlung der Dresdner Luftkriegstoten mit Augenzeugenberichten, innerhalb der Fakultät Anhänger zu haben.<

      Die Dresdner Augenzeugenberichte sind ein schwieriges Thema. Sicher ist nur, das nicht alle Versionen des Hergangs zugleich stimmen können. Das ist schon vor Jahren nachgewiesen worden. In diesem Fall muss man bedenken, dass es sich um die psychische Verarbeitung der Erlebnisse von Gewaltopfern handelt. Authentizität steht für den Betroffenen da wahrlich nicht im Vordergrund, sondern das Überleben und Weiterleben. Gleiches gilt übrigens auch für Kriegserinnerungen von Soldaten.

      Viele Grüße,

      Gunter
      Zuletzt geändert von Gunter; 06.05.2010, 11:06.

      Kommentar

      • Da Capo
        Erfahrener Benutzer
        Adjudant
        • 23.10.2006
        • 827

        #4
        „Jede historische Wahrheit, die nicht ständig hinterfragt wird, hört auf, eine historische Wahrheit (natürlich außer den reinen und absoluten Wahrheiten nach §130 (3) StGB) zu sein“. Ist gut und nicht von mir.
        Natürlich ist jeder Bericht subjektiv, weil ja von einem Subjekt verfasst. Deshalb hinterfragen, vergleichen und auf Plausibilität prüfen. Da bin ich mit Dir auf einer Linie.

        Was jedoch die Themen „Interpretierbarkeit von Quellen“ und „endgültiger Forschungsstand“ angeht, muss ich widersprechen, weil undifferenziert.
        Wenn ich interpretieren mit auslegen übersetze, dann hat dieses interpretieren dann Grenzen, wenn ich es mit Zahlen zu tun habe. Die Auflistung eines Artillerieoffiziers zum Munitionsverbrauch oder die Rottenzettel eines Regiments für einen jeweils vermerkten Tag sind Fakten. Da gibt es nichts auszulegen. Und wenn ich die Monatslisten des Artillerieregiments für das Jahr 1812 hinterlegt mit einer amtlichen Liste, in der jeder Einzelne mit seinen Stammrollendaten aufgeführt ist, habe, dann ist für diesen Teilbereich ein endgültiger Forschungsstand erreicht.
        Dies zeigt sich ja auch in der Dresdner Studie. Letzten Endes haben doch die Autoren dieses Machwerkes den damaligen Behörden nur bestätigt, dass sie die indentifizierbaren Toten (hier war damit bei den Zahlen schon 1945/46 ein endgültiger Forschungstand erreicht) richtig gezählt haben. Darüber hinaus verdient diese Arbeit nicht das Prädikat wissenschaftlich, da der politische Einfluss und der politische Zweck selbst innerhalb der Arbeit offen eingestanden werden.
        Wenn der Feind in Schußweite ist, bist Du es auch. Vergiss dabei nie, dass Deine Waffe vom billigsten Anbieter stammt.

        Kommentar

        • Gunter
          Erfahrener Benutzer
          Chef de Bataillon
          • 01.10.2006
          • 1377

          #5
          Man sollte an dieser Stelle unbedingt unterscheiden um welche Art von Aussagen es geht. Du meinst hier die Ergebnisse von Verwaltungshandeln. Das ist aber etwas völlig anderes als die persönliche Schilderung von Erlebtem, selbst wenn darin quantitative Daten vorkommen. Darum ging es doch ursprünglich.

          Allerdings gibt es auch bei bloßen Listendaten Unwahrheiten, die man aus der Quelle selbst kaum nachweisen kann. In meinem Buch kommt beispielsweise ein Offizier vor, der heimlich Munition in seiner Wohnung gehortet hat. Er wollte auf diese Weise soviel sparen, damit seine Leute mehr schießen konnten, damit er der Führung beste Ergebnisse melden konnte. Die eingereichten Listen des Munitionsverbrauchs müssen daher gefälscht und die Schießergebnisse auf unzulässige Art erreicht worden sein, was erstmal garnicht auffiel. Werte ich nun nur einen Ausschnitt der Überlieferung vor diesem Vorfall aus (oder ist nur ein Teil überliefert), dann erscheint mir erstmal alles einwandfrei dokumentiert und glaubhaft. Auch ein vermeintlich nach Faktenlage endgültiger, weil nicht besser möglicher Forschungsstand muss nicht zwangsläufig der objektiven Wahrheit entsprechen. Es gibt nichts was es nicht gibt.

          Grüße,

          Gunter

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