Bernard Coppens: Les mensonges de Waterloo.

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  • Sans-Souci
    Erfahrener Benutzer
    Major
    • 01.10.2006
    • 1846

    Bernard Coppens: Les mensonges de Waterloo.

    Ich habe mein Exemplar am Samstag bekommen und es gleich begeistert bis heute durchgelesen.

    Trotz des reißerischen Titels - "Die Lügen von Waterloo" (Untertitel: "Die Manipulationen der Geschichte endlich enthüllt") - ist es ein sehr gründlich recherchiertes und sachlich geschriebenes Werk, auch wenn sich der Autor zuweilen seine erfrischende Ironie nicht ganz verkneifen kann.

    Bernard Coppens zitiert auf über 500 Seiten ausgiebig aus Berichten und Erinnerungen französischer Generale und Offiziere, weist auf Widersprüche hin und legt auch gerne mal den Finger in die Wunde, gerade wenn es um Unstimmigkeiten bei Napoleons eigener, im Laufe der Jahre variierenden, Darstellung der Schlacht von Waterloo geht.

    Letzte Gewißheit läßt sich natürlich nie erringen, doch bringt der Autor unter anderem starke Indizien und Belege, daß
    • Napoleon und seine gesamte Generalität den Ort des Schlachtfeldes auf ihren Karten falsch lokalisierten (daher die französische Bezeichnung Schlacht bei Mont-Saint-Jean)

    • Napoleon noch am Morgen des 18. Juni keine Schlacht erwartete

    • seine angebliche Erkundung der britischen Position in der Nacht vom 17. auf den 18. Juni eine Erfindung ist

    • seine angeblich in der Nacht abgesandten Befehle an Grouchy reine Phantasie sind

    • erst um 10 Uhr früh am 18. Juni ein Befehl an Grouchy abgesandt wurde, auf Wavre zuzumarschieren, der Grouchy um 4 Uhr nachmittags ereichte (interessant die ausführlich zitierten Ausführungen des Boten, Adjudant-Commandant Zenowicz, über den Zeitraum zwischen Abfassen des Datums und Fertigstellen des Briefes)

    • den französischen Generälen die Existenz des befestigten Schlosses Hougoumont hinter dem Wäldchen, von dem es umgeben war, unbekannt war

    • die Franzosen von der Ankunft der Preußen völlig überrascht wurden, die Sichtung Bülows bei Saint-Lambert um die Mittagszeit und der abgefangene preußische Husar Erfindung sind

    Gegen Ende des Werks finden sich einige Essays zu Einzelfragen - besonders gefallen hat mir die amüsante Untersuchung zu den letzten Worten Cambronnes vor seiner Gefangennahme, mit ausgiebigen Zitaten zu den Varianten und den jeweiligen Umständen ihrer Entstehung.

    Als Anhang gibt Bernard Coppens einige nur wenige Tage nach der Schlacht entstandene Beschreibungen wieder, die noch unbeeinflußt von Napoleons eigener Darstellung der Schlacht in seinen 1820 erschienenen Mémoires pour servir à l'histoire de France en 1815 sind.

    Der Wert des Buches liegt vor allem in der Zusammenstellung und kompetenten Kommentierung vieler teils seltener Quellen, die neues Licht auf die üblichen, sich oft stark an Napoelons eigene Darstellung anlehnenden Schlachtbeschreibungen werfen, es dem Leser aber dank der ausführlichen Zitate erlauben, sich eine eigene Meinung zu bilden.

    Ein paar weitere Details finden sich hier:



    Nach dem Aufdruck auf der Rückseite des Taschenbuchs beträgt der Preis 23,90 Euro.
  • admin
    Administrator
    Colonel
    • 30.09.2006
    • 2688

    #2
    Zitat von Sans-Souci Beitrag anzeigen
    • seine angebliche Erkundung der britischen Position in der Nacht vom 17. auf den 18. Juni eine Erfindung ist
    • seine angeblich in der Nacht abgesandten Befehle an Grouchy reine Phantasie sind
    • erst um 10 Uhr früh am 18. Juni ein Befehl an Grouchy abgesandt wurde, auf Wavre zuzumarschieren, der Grouchy um 4 Uhr nachmittags ereichte (interessant die ausführlich zitierten Ausführungen des Boten, Adjudant-Commandant Zenowicz, über den Zeitraum zwischen Abfassen des Datums und Fertigstellen des Briefes)
    • den französischen Generälen die Existenz des befestigten Schlosses Hougoumont hinter dem Wäldchen, von dem es umgeben war, unbekannt war
    • die Franzosen von der Ankunft der Preußen völlig überrascht wurden, die Sichtung Bülows bei Saint-Lambert um die Mittagszeit und der abgefangene preußische Husar Erfindung sind
    Danke für den Tipp, ich bin am WE in Brüssel und werde gleich schauen, ob ich es mir dort besorgen kann. Und die von Dir genannten Punkte sind natürlich brandheißes Material und dürfte in der Waterlooszene einiges an "Emotionen" anheizen - schade, dass es für viele nicht zu erschließen ist, da in Französisch geschrieben ... Bernards Bücher hätten es verdient, in Englisch veröffentlicht zu werden.

    Schöne Grüße
    Markus Stein
    "Wenn wir geboren werden, weinen wir, weil wir diese große Narrenbühne betreten" (King Lear) ... jedem also sein ganz persönliches (Hof-) Narrenleben

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    • Sans-Souci
      Erfahrener Benutzer
      Major
      • 01.10.2006
      • 1846

      #3
      Vieles war auch vorher schon bekannt, so zumindest in der deutschsprachigen Literatur das Faktum der völligen Überraschung der Franzosen durch Bülow. Die Autoren haben dann allerdings im Lichte von Napoleons Darstellung teilweise herumgerätselt, welchen Vorteil Napoleon sich davon versprach, den Preußen nicht entgegenzugehen, um sie an günstigen Stellen (z. B. am Défile von Lasnes) aufhalten zu können.



      Falls Du das Buch in Brüssel noch nicht kriegen solltest, kann ich Dir auch mein Exemplar leihen.
      Zuletzt geändert von Sans-Souci; 22.05.2009, 14:03.

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      • admin
        Administrator
        Colonel
        • 30.09.2006
        • 2688

        #4
        Zitat von Sans-Souci Beitrag anzeigen
        Die Autoren haben dann allerdings im Lichte von Napoleons Darstellung teilweise herumgerätselt, welchen Vorteil Napoleon sich davon versprach, den Preußen nicht entgegenzugehen, um sie an günstigen Stellen (z. B. am Défile von Lasnes) aufhalten zu können.
        Ja, ein interessanter Aspekt - vielleicht ein "Nichtwahrhabenwollen" der Situation? Ein stures Festhalten am Primat, erst die englische Armee (plus Verbündeter) zu schlagen und sich gemäß früherer Erfolge (die gegnerischen Truppen trennen und dann einzeln schlagen) dann den Preußen zuzuwenden? Zu blindes Vertrauen auf Grouchy?

        Ich glaube, dass Napoleon tatsächlich alles auf eine Karte setzte und den Erfolg mit der ihm zur Verfügung stehenden Gewalt erst gegen die Engländer erzwingen wollte.

        Schöne Grüße
        markus stein
        "Wenn wir geboren werden, weinen wir, weil wir diese große Narrenbühne betreten" (King Lear) ... jedem also sein ganz persönliches (Hof-) Narrenleben

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        • Sans-Souci
          Erfahrener Benutzer
          Major
          • 01.10.2006
          • 1846

          #5
          Oder er wurde tatsächlich überrascht ... in Bernards Buch findet sich ein interessanter Abschnitt über die Nichtsichtbarkeit des etwa 7 bis 8 km entfernten Saint-Lambert von Napoleons Positionen auf dem Schlachtfeld aus.

          Selbst wenn man es hätte sehen können, auf diese Entfernung mit bloßen Augen noch zu erkennen, daß die Truppen Preußen sind und keine Franzosen, ist schlechterdings unmöglich.

          Scharnhorst, Militairisches Taschenbuch, Hannover 1794. Anhang, S. 16:

          Ueber 2000 Schritt nimmt man von der Infanterie weiter nichts wahr, als das Gewehrblitzen [...] Bey der Cavallerie siehet man auf dieser Weise die Rotten, ohne daß man bestimmt wahrnimmt, daß es Leute zu Pferde sind.
          2000 Schritt sind bestenfalls 1,5 km, eher etwas weniger. Ich glaube nicht, daß die damaligen Ferngläser eine über vierfache Vergrößerung liefern konnten, ohne daß das Bild zu dunkel wurde - bin aber hier kein Experte?
          Zuletzt geändert von Sans-Souci; 22.05.2009, 14:34.

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          • HKDW
            Erfahrener Benutzer
            Colonel
            • 02.10.2006
            • 2969

            #6
            Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Franzosen nur auf die Optik verlassen haben, Vorposten, Vedetten und Patrouillen wird es doch wohl gegeben haben?

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            • Mephisto
              Erfahrener Benutzer
              Capitaine
              • 01.10.2006
              • 625

              #7
              Ganz Deiner Meinung, HKDW,
              • die Franzosen von der Ankunft der Preußen völlig überrascht wurden, die Sichtung Bülows bei Saint-Lambert um die Mittagszeit und der abgefangene preußische Husar Erfindung sind
              Womit will Coppens denn den Nachtrag Napoleons im Befehl an Grouchy erklären?

              "Une lettre, qui vient d'etre interceptee, porte que le general Bulow doit attaquer notre flanc;
              nous croyons apercevoir ce corps sur les hauteures de Saint-Lambert;
              ainisi ne perdez pas un instant pour vous rappocher de nous et nous joindre,
              et pour ecraser Bulow, que vous prendezen flagrant delit."
              Alles Fälschung? Oder wieder nur Provokation in Frageform?

              Oli, kennst Du "Waterloo - Recit critique"?
              Ist "Les mensonges de Waterloo" nur ein Aufguss?
              Die Themenwahl klingt jedenfalls danach.

              Wie endet doch sein Artikel "La lettre a Grouchy" mit:
              "Celui qui pourrait reprondre a ces questions tiendrait la cle du mystere de Waterloo."
              - so schön vieldeutig und doch so nichtssagend...
              Und hier ging es doch nur um Uhrzeiten der Versendung und´des Empfangs!
              Ist er hier - einmal mehr - einer sehr viel größeren Sache auf der Spur?!?
              Zuletzt geändert von Mephisto; 23.05.2009, 00:43.
              Gruß
              Mephisto

              "Es sind zwey Formeln, in denen sich die sämmtliche Opposition gegen Napoleon befassen und aussprechen lässt,
              nämlich Afterredung (aus Besserwissenwollen) und Hypochondrie." Goethe 1807 :attention:

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              • Sans-Souci
                Erfahrener Benutzer
                Major
                • 01.10.2006
                • 1846

                #8
                Gerade dieser Nachsatz ist ein Indiz, daß der Befehl an Grouchy, auf Saint-Lambert zu marschieren, eine Fälschung ist. Zumindest gerade der Nachsatz.

                Grouchy erkannte wohl, daß es schlechter Stil ist und unglaubwürdig wirkt, die Existenz von Befehlen zu leugnen, deren Existenz vom Oberbefehlshaber behauptet wird, und gab deshalb stattdessen einfach an, dieser Befehl habe ihn erst am 18. Juni um 7 Uhr abends erreicht - auf jeden Fall zu spät.

                Natürlich ist das alles nur Hypothese, beweisen läßt sich nichts ...

                Die Mensonges mit 500 Seiten sind in vielem eine erweiterte Version des Récit Critique von 64 Seiten. Die Bezeichnung "Aufguß" wird dem aufgrund der vielen neuen Quellen nicht gerecht.

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                • Sans-Souci
                  Erfahrener Benutzer
                  Major
                  • 01.10.2006
                  • 1846

                  #9
                  Hans-Karl, alle preußischen Quellen geben einhellig an, daß der Anmarsch der Preußen zum Bois de Paris weder behindert noch beobachtet wurde, und sie tatsächlich die Franzosen überraschten.

                  Kommentar

                  • Mephisto
                    Erfahrener Benutzer
                    Capitaine
                    • 01.10.2006
                    • 625

                    #10
                    Gerade dieser Nachsatz ist ein Indiz, daß der Befehl an Grouchy, auf Saint-Lambert zu marschieren,
                    eine Fälschung ist. Zumindest gerade der Nachsatz.
                    Das sehe ich nicht so.
                    Ein P.S. ist ein P.S..
                    Natürlich lässt sich immer etwas hineininterpretieren.
                    Aber welchen Grund sollte iin Grouchy gehabt haben, die Fälschung zu verheimlchen?
                    Anstand?!?! Loyalität?!?
                    Er sah sich doch in der Rolle des Opfers!!!
                    Gerade er, der kein gutes Haar an N gelassen hat, dessen Sohn noch um Geschichtsklitterung bemüht war...
                    Wieso, wenn es doch - zumndest nach Coppens - so einfach gewesen wäre?!?
                    Zuletzt geändert von Mephisto; 23.05.2009, 00:50.
                    Gruß
                    Mephisto

                    "Es sind zwey Formeln, in denen sich die sämmtliche Opposition gegen Napoleon befassen und aussprechen lässt,
                    nämlich Afterredung (aus Besserwissenwollen) und Hypochondrie." Goethe 1807 :attention:

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                    • Sans-Souci
                      Erfahrener Benutzer
                      Major
                      • 01.10.2006
                      • 1846

                      #11
                      nous croyons apercevoir ce corps sur les hauteures de Saint-Lambert
                      Wenn man nun aber Saint-Lambert von Napoelons Position auf dem Schlachtfeld aus gar nicht sehen kann, was sagt das über die Echtheit dieses Satzes aus ?

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                      • Mephisto
                        Erfahrener Benutzer
                        Capitaine
                        • 01.10.2006
                        • 625

                        #12
                        Wenn er dort auch nur Staubwolken oder die Raumpatroullie Orion oder sonst was selber gesehen haben will
                        - entscheidend sind die Patrouillien, die Gefangenen.
                        Ich glaube auch nicht an das Fernrohr - wohl aber an die Gefangenen.

                        Und nochmal die Frage:
                        Warum sollte Grouchy in seinen diversen Verteidigungsschriften nicht darauf zurückgegriffen haben???
                        Sehr seltsam!
                        Zuletzt geändert von Mephisto; 23.05.2009, 01:00.
                        Gruß
                        Mephisto

                        "Es sind zwey Formeln, in denen sich die sämmtliche Opposition gegen Napoleon befassen und aussprechen lässt,
                        nämlich Afterredung (aus Besserwissenwollen) und Hypochondrie." Goethe 1807 :attention:

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                        • HKDW
                          Erfahrener Benutzer
                          Colonel
                          • 02.10.2006
                          • 2969

                          #13
                          Naja - am besten man liest das Buch und kann ja dann diskutieren, vielleicht eben kommentiert Bernard Coppens da ja auch was dazu, er kann ja auch Englisch und Deutsch.

                          Wenn die preußischen Quellen - wie Oli bestätigt von einer Überraschung der Franzosen sprechen, bestätigen sie ja die These von Coppens.

                          Zu Grouchy, der war ja nur ein Unterführer, hatte keinen Gesamtüberblick und konnte sich auch nur aus seiner Sicht verteidigen.

                          Napoleon kann ja schlecht zugeben schlampig gearbeitet zu haben, sie ja auch die Legende Bernadotte und Jena / Auerstedt oder eben die Quellen des Nils.

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                          • HKDW
                            Erfahrener Benutzer
                            Colonel
                            • 02.10.2006
                            • 2969

                            #14
                            Endlich hab ich mir das Buch gekaift und lese es gerade, sensationell, Bernard Coppens enthült sehr schön wie Napoleon seine Fehler schön vertuscht hat und die Nachwelt schön auf dessen Lügen (wie fast immer) hereingefallen ist, immer sehr schön unterlegt von Zitaten und Überlegungen.
                            Mensonges - ist schon das richtige Wort.

                            Kommentar

                            • Tom
                              Erfahrener Benutzer
                              Chef de Bataillon
                              • 03.10.2006
                              • 1071

                              #15
                              Treuenfeld

                              Hallo zusammen,

                              gleiche Thematik (Napoleons Selbstbetrug und spätere Täuschung der Öffentlichkeit) schon bei Treuenfeld: Die Tage von Ligny und Belle Alliance, Hannover, 1880



                              Gruß, Tom

                              Kommentar

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