Minderwertiges französisches Pulver?

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  • Canut
    Benutzer
    Caporal
    • 19.11.2006
    • 54

    Minderwertiges französisches Pulver?

    In R. Gardiners jüngst neu aufgelegtem Buch über die "Frigates of the Napoleonic Wars" findet sich auch ein kleiner Abschnitt über das verwendete Schießpulver. Als Innovation wird das englische Zylinder-Pulver dargestellt, welches leistungsfähiger war als das ältere, so daß die Größe der Treibladungen etwas verringert werden konnte. Das neue Pulver soll auch ein Anlaß gewesen sein, das alte Geschützmaterial des sogen. "Armstrong Pattern" seit den 1790ern durch "Blomefield Pattern" - Geschütze zu ersetzen, weil die alten Geschütze das neue Pulver anscheinend nicht vertrugen.
    Die Briten verglichen das Pulver der 1808 gekaperten französischen Fregatte Piedmontaise mit ihrem eigenen und stellten fest, daß das französische nur 85% der Stärke des britischen habe.
    Leider wird die Art der Untersuchung nicht näher erläutert, und eine einzelne Probe wäre auch eine etwas dünne empirische Basis für allgemeine Aussagen über französisches Pulver.
    Kennt jemand Aussagen über die Qualität französischen Pulvers? Da die Franzosen anscheinend sehr lange Zeit Probleme mit eisernen Geschützrohren hatten (wie sie bei der Marine nahezu ausschließlich verwendet wurden), wäre es natürlich auch unsinnig gewesen, in ohnehin zum Bersten neigenden Rohren starkes Pulver zu verwenden, d.h. vielleicht war das Pulver der Piedmontaise "absichtlich" von geringerer Leistung?
    >> Line of Battle - Seekrieg gegen Napoleon <<
    Geschichte, Segelschiffe, Fachbücher, Wargame & cetera
  • Blesson
    Erfahrener Benutzer
    Adjudant
    • 03.10.2006
    • 778

    #2
    Ich wage zu bezweifeln, ob so pauschale Aussagen richtig sein können. War der Wunsch Vater des Gedankens?

    Dazu hängt das Ergebnis zu stark von vielen Faktoren ab, wie:
    • Qualität der Rohstoffe, besonders Salpeter
    • Mischungsverhältnis der Komponenten
    • Herstellungsverfahren (Vermischung der Komponenten), dann
    • Körnungsgröße, welche entscheidend für die Abbrandgeschwindigkeit ist.
    • Lagerung und Transport:
      • Aufnahme von Feuchtigkeit während der Lagerung
      • Zerreiben der Körner beim Transport erzeugt Mehlpulver
    Gerade die Körnung ist entscheidend; bei der Artillerie ist, im Gegensatz zu den Handfeuerwaffen, eine zu große Abbrandgeschwindigkeit unerwünscht. Siehe Scharnhorst, Handbuch der Artillerie, Band 1, Zweiter Abschnitt, Vom Schießpulver und darin z.B. § 47

    Das kleingekörnte Pulver [Musketenpulver] zeigt bei übrigens gleicher Beschaffenheit in dem kleinen Probe-Mortier eine stärkere Wirkung als das grobgekörnte [Canonpulver].
    Um wirklich einen Faktor als Ursache herausschälen zu können, müßte man alle übrigen Einflüsse ausschalten bzw. konstant halten. Wenn man den Einfluß der Körnung oder des Herstellverfahrens erfahren will, muß man gleiche Rohstoffe verwenden, das Pulver gleich lagern etc., normierte Testverfahren anwenden etc.

    Der Schlüssel kann in der Tat bei der engl. Zylinderkörnung liegen, nur müßte man dann wissen, nach welchen Verfahren das franz. Pulver gebrochen wurde...

    Wie wurde die Leistungsfähigkeit gemessen? Mit einer Eprouvette? Mit einem Probemortier?

    Ich fürchte, daß man nach 200 Jahren ohne Kenntnis der Versuchsbedingungen noch nicht einmal eine Tendenz verallgemeinern kann.

    LB
    Zuletzt geändert von Blesson; 23.12.2006, 23:11.
    Do, ut des

    http://www.ingenieurgeograph.de

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    • Blesson
      Erfahrener Benutzer
      Adjudant
      • 03.10.2006
      • 778

      #3
      Wer liest, wird fündig. Unser Scharnhorst hat sich auch auf S. 200 zum zylindrischen Pulver ausgelassen, was ja bei der hannöverschen Nähe zu England nicht wirklich wundert.

      Wenn man daher in Woolwich 1801 gefunden hat, daß 3 1/2 Pfund des besseren cylindrischen Pulvers die Wirkung von 4 Pfund des sonst gewöhnlich guten Kriegspulvers leisten; so steht dieser Versuch mit unsern in einigem Widerspruch. Dagegen kan es (in Übereinstimmung mit unseren Versuchen) ganz wohl seyn, daß bei dem leichtern 6pfünder 1 1/4 Pfund des zylindrischen Pulvers die Kugel ebenso weit bringt, als 1 1/2 Pfund des sonst gewöhnlichen. Bombardier and Pocket Gunner, Seite 80.
      Ich unterstelle einmal, daß den Herren von der Marine 1808 die Versuche in Woolwich bekannt waren, sie also das fanden, was ohnehin schon bekannt war. Marine glaubt eben nicht das, was die Landartillerie schon lange weiß.

      Damit ist aber immerhin gesichert, daß die verbesserte Körnung entscheidend für die verstärkte Wirkung war. Das nach dem konventiellen Verfahren hergestellte französische Pulver war wohl - wie das der übrigen kontinentalen Armeen ? - deswegen nicht einfach minderwertiger, sondern um es freundlich zu sagen, nicht ganz so wirksam. Voilà.

      Fragt sich noch, wie das zylindrische Pulver hergestellt wird: Wahrscheinlich wird die feuchte Paste durch ein Sieb gepreßt, dann werden die Stäbchen abgeschnitten und getrocknet, ganz so wie bei den Spaghettis. Vielleicht weiß einer unser Britannier im Forum mehr dazu?

      Und schon ergibt sich die nächste Frage: Warum hat das zylindrische Pulver überhaupt eine bessere Wirkung?

      LB
      Zuletzt geändert von Blesson; 23.12.2006, 20:22.
      Do, ut des

      http://www.ingenieurgeograph.de

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      • Canut
        Benutzer
        Caporal
        • 19.11.2006
        • 54

        #4
        Vielen Dank für den Hinweis bei Scharnhorst. Also war der Wert der Innovation schon seinerzeit nicht ganz unumstritten. Bedauerlicherweise habe ich auf den Scharnhorst keinen Zugriff.
        Den Hinweis auf die Bedeutung des zylindrischen Pulver und die Notwendigkeit, altes Kanonenmaterial zu ersetzen, fand ich bislang nur in der englischen Literatur.
        Das "cylinder powder" wurde nicht so aufgrund einer bestimmten neuartigen Körnung, sondern wegen eines verbesserten Verfahrens zur Herstellung der Holzkohle (in "Zylindern" bzw. Öfen statt in Meilern) so benannt. Die bessere Wirkung beruht also auf der optimierten, gleichmäßigeren Qualität dieser Komponente.
        Zwar ist dieses zylindrische Pulver also durchaus keine revolutionäre Entwicklung (sondern eine Optimierung), aber vielleicht irrt ja auch Scharnhorst, wenn er ihm eine grundsätzlich höhere Qualität absprechen will?
        Sicher ist jedenfalls, daß die Franzosen Seegefechte nicht wegen ihres möglicherweise weniger brisanten Pulvers verloren. Genug cylindrisches Puvler stand den Briten wohl er erst gewisse Zeit nach 1800 zur Verfügung. Man hatte einige Jahre lang drei verschiedene Pulverqualitäten (mit absteigender Brisanz): "Red LG" (cylinder) "White LG" (re-cycled; wiederaufbereitetes Pulver außer Dienst stellender Schiffe, das zur Hebung der Qualität mit Cylinder-Pulver gemischt wurde) und "Blue LG" (das recyclete Pulver war ohne Zusatz von cylindrischem Pulver schwächer als dieses).

        Bzgl. der Überheblichkeit der Marine in Pulverfragen ergibts sich im englischen Falle allerdings der interessante Umstand, daß das Board of Odrnance, das auch für die Herstellung von Geschossen und Munition zuständig war, sowohl das Heer als auch die Flotte bediente!
        Falls sich jemand mit der britsischen Feldartillerie auskennt, müßte er eigentlich auch schon einmal über das zylindrische Pulver gestolpert sein.

        Noch eine Frage zu Körnung und Brisanz des Pulvers- In irgendeiner Darstellung las ich davon, Ende des 18. Jhdts habe es in Frankreich gar kein verschiedenes Musketen- und Kanonenpulver, sondern nur noch ein "Einheitspulver" gegeben. Leider erinnere ich nicht mehr, wo ich dies las, aber einen Hinweis auf das Einheitspulver fand ich noch in Ortenburg, Waffen der Revolutionskriege, S. 52: "Die damals [Anm: 1800] dennoch vorkommenden häufigen Zündversager bei französischen Waffen müssen aber offenbar nicht der Waffe [Anm: Muskete Modell 1777], sondern dem damals verwendeten Einheitspulver mit doch recht grober Körnung zugerechnet werden."
        Falls es sich beim Pulver der Piedmontaise um solches Einheitspulver gehandelt hätte, würden Vergleiche mit z.B. cylindrischem, ausgesprochenem Kanonenpulver auch noch etwas problematischer erscheinen.
        In der Tat ist die Aussage über die Pulverqualität wie sie bei Gardiner gebracht wird, ohne nähere Beleuchtung der Umstände fast wertlos.
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