Chronologie Borodino

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  • Grex
    Benutzer
    Tambour
    • 10.01.2012
    • 34

    Chronologie Borodino

    In einem russischen Beitrag über die Probleme der Chronologie in der Schlacht von Borodino habe ich gelesen, daß es unterschiedliche Aussagen über die Frage geben soll, wann Bagration verwundet, wann der erste Angriff auf die Batterie Rajewskis erfolgte und wann die große Schanze von General Bonami genommen wurde.

    Die Autorin legt nahe, daß Generalquartiermeister Karl v. Toll den Ablauf in seinem Bericht bewußt falsch wiedergibt, um von seinem eigenen Versagen bei der Wahl der Stellung abzulenken. Mir ist nicht ganz klar was das soll, es geht offenbar darum, daß er mit dieser Manupulation den Anschein erwecken wollte, daß die von ihm gewählten Positionen lange gehaIten werden konnten und also richtig gewählt waren. Ist das Stand der Forschung oder eine Einzelmeinung? Ist das Problem als solches bekannt?
    Gruß
    Grex
    Zuletzt geändert von Grex; 07.09.2012, 14:42. Grund: schriftart
  • KDF10
    Erfahrener Benutzer
    Chef de Bataillon
    • 19.12.2010
    • 1278

    #2
    Zitat von Grex Beitrag anzeigen
    In einem russischen Beitrag über die Probleme der Chronologie in der Schlacht von Borodino habe ich gelesen, daß es unterschiedliche Aussagen über die Frage geben soll, wann Bagration verwundet, wann der erste Angriff auf die Batterie Rajewskis erfolgte und wann die große Schanze von General Bonami genommen wurde.

    Die Autorin legt nahe, daß Generalquartiermeister Karl v. Toll den Ablauf in seinem Bericht bewußt falsch wiedergibt, um von seinem eigenen Versagen bei der Wahl der Stellung abzulenken. Mir ist nicht ganz klar was das soll, es geht offenbar darum, daß er mit dieser Manupulation den Anschein erwecken wollte, daß die von ihm gewählten Positionen lange gehaIten werden konnten und also richtig gewählt waren. Ist das Stand der Forschung oder eine Einzelmeinung? Ist das Problem als solches bekannt?
    Gruß
    Grex
    Welche Autorin? Nach Wolzogen wurde Bagration bereits am frühen Vormittag verwundet (vor 10:00 Uhr). Ich weiß nicht welche Quellen dir zur Verfügung stehen, aber teilweise ist die russiche Darstellung ein totaler Fake. Er verblutete auf dem Schlachtfeld von Borodino, obwohl er erst etliche Tage später starb. Lies Tarle und du erkennst, was da für ein Blödsinn geschrieben wurde. Erst ist es ein Kartätschentreffer in das Schienbein, danach eine eine klaffende Wunde oberhalb des Knies. Das Schienbein von Bagration befand sich also oberhalb des Knies. Ja, Toll war wohl ein Kotzbrocken, aber das waren auch andere in der russichen Armee, etwa Bagration.

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    • KDF10
      Erfahrener Benutzer
      Chef de Bataillon
      • 19.12.2010
      • 1278

      #3
      Es geht wohl hierbei um den russischen Mythos, dass die von Bagration geführte 2. russische Westarmee nach dem Tod ihres geliebten Führers die Kampfmoral verlor. Um diese Legende zu untermauern, wird seine Verwundung möglichst weit nach hinten geschoben. Quasi nach dem Motto, wenn das nicht passiert wäre, hätten wir gewonnen.

      Nach Löwenstern muss die Rajewsky-Schanze vor 9 Uhr von den Franzosen unter General Bonami erobert worden sein, auch wenn Zeitangaben zu dieser Schlacht nicht immer zuverlässig sind. Kurz nach 9 Uhr wurde die Schanze von der 24. Division (1. Westarmee) unter General Lichatschew zurückerobert. Löwenstern war selbst an der Rückeroberung der Schanze beteiligt und wurde dabei verwundet, will aber auch Bonami mit einem Säbelhieb verwundet haben. Im Lazarett traf Löwenstern auf Bagration, danach ritt er zurück zu Barclay de Tolly. Folgt man der Chronologie des Buches, muss er gegen 10 Uhr wieder dort gewesen sein. Inzwischen hatte Kutusow ohne Wissen von Barclay de Tolly, Teile der Reserven eingesetzt. Nach Löwenstern spie Barclay Feuer und Flamme und es folgte der bekannte Spruch: „Wie, betrachtet man denn schon um 10 Uhr morgens die Schlacht als verloren, dass man die Reserven, die nur zuletzt auftreten dürfen, ins Feuer zieht und sich damit der Mittel zum Siege beraubt?“

      Wie bereits erwähnt, die Zeitangaben müssen so nicht stimmen, es kann später gewesen sein, aber auch früher. Auf jeden Fall scheint Bagration sehr früh verwundet worden zu sein und die 2. Westarmee kämpfte unter anderer Führung tapfer weiter. Allerdings bestätigt auch Clausewitz (er war im Hauptquartier von Kutusow), dass er gegen 9 Uhr von einer verlorenen und wiedereroberten Schanze gehört hat. Dazu meint Bernardi, dass das eine der Bagrations-Schanzen gewesen sein muss, die kurz nach 8 Uhr wieder erobert wurde. Sowohl Toll, als auch Barclay de Tolly geben in ihren Berichten an, dass der Kampf um die Rajewsky-Schanze um 11 Uhr stattfand. Das schließt aber nicht aus, dass die Darstellung von Löwenstern richtig ist, denn es gab mehrere Kämpfe um die Schanze. Ich interpretiere das eher so, dass sie um 11 Uhr endgültig verloren ging. Die Rajewsky-Schanze steht in keinem Zusammenhang mit Bagration, der hatte mit den 3 Schanzen vor seinem linken Flügel genug zu tun, denn das 57. französische Linieninfanterie-Regiment hatte bereits um halb acht die erste Schanze auf dem russischen linken Flügel erobert und gegen neun Uhr waren alle drei besetzt. Danach widersprechen sich die Quellen, einige russische Autoren behaupten, dass die Schanzen noch einmal zurückerobert wurden, während französische und deutsche Quellen (in den Schanzen waren auch Württemberger) das verneinen.

      P.S.:Toll hatte Tage vorher bereits eine andere (bessere) Stellung ausgesucht. Die gefiel aber Bagration nicht, möglicherweise weil sie Barclay de Tolly gefiel, dem Bagration nicht aufs Fell gucken konnte. Es kam zum Streit, der ranghöhere Bagration (General) drohte Toll (Oberstleutnant) mit dem Gewehr auf dem Rücken. Das hieß, Degradierung zum einfachen Soldaten. Deshalb glaube ich nicht, dass Toll die Position bei Borodino ausgesucht hat. Letztendlich lag die Entscheidung ohnehin bei Kutusow. Deshalb kann man Toll nicht dafür verantwortlich machen, selbst wenn er die Stellung ausgesucht haben sollte. Seit wann wird das von einem Oberstleutnant entschieden? Der kann das höchstens vorschlagen, mehr nicht. Kutusow und Bagration sind immer noch "Heilige Kühe" für einige Russen. Untadelig und fehlerlos. Die Schuld haben immer die Anderen. Da geistern unglaubliche Sachen rum. Zum Beispiel ist Bagration am 7. September bis nach Schewardino vorgedrungen. Dazu hätte er die französische Front durchbrechen müssen und wäre dann unmittelbar im Hauptquartier von Napoleon gelandet. Bagration war am 5. September in Schewardino, also zwei Tage früher.
      Zuletzt geändert von KDF10; 08.09.2012, 17:36.

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      • Gunter
        Erfahrener Benutzer
        Chef de Bataillon
        • 01.10.2006
        • 1377

        #4
        Die Argumentation, dass die Verwundung Bagrations zur Niederlage führte, wird ähnlich auch in anderen Fällen angewendet, z.B. bei Kutaisov. Manche behaupten doch glatt, sein Tod hätte zur Folge gehabt, dass die russische Artilleriereserve nicht eingesetzt worden sei, was nicht stimmt.
        Was Toll betrifft, so kann durchaus ein Oberst die Posittion für eine Armee auswählen, denn er war doch de facto Generalquartiermeister der vereinigten Armeen und genoss Kutusows Vertrauen.
        Die Position bei Borodino, und vor allem die Aufstellung der Truppen, war denkbar schlecht gewählt, schließlich konnte der Gegner bei einer Niederlage der linken Flanke in den Rücken der Armee gelangen und sie vom Rückzug nach Moskau abschneiden. Das schwierige Gelände und das letztlich doch noch erfolgte Verlegen von Truppen des rechten Flügels verhinderte diese Möglichkeit. Außerdem waren die Polen einfach zu schwach zu einem erfolgreichen Aufrollen.
        Bis heute streiten sich die Geister, was die Schevardinoschanze wirklich sein sollte. Markierte sie ursprünglich die äußerste linke Flanke oder war sie nur eine Stellung, die den Aufmarsch der Alliierten verlangsamen sollte? Der erste Fall hätte fast schon an Verrat gegrenzt, also ob die Russen die Existenz der alten Straße nach Smolenks nicht gekannt hätten, auf der man den linken Flügel recht bequem einkreisen konnte.

        Grüße

        Gunter

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        • KDF10
          Erfahrener Benutzer
          Chef de Bataillon
          • 19.12.2010
          • 1278

          #5
          Für die Schewardino-Schanze soll Bennigsen verantwortlich gewesen sein. Es waren bereits vor Borodino zwei Positionen für eine Schlacht ausgewählt worden. In Gschatsk hatte man mit Schanzarbeiten begonnen, als Kutusow eintraf, der ließ weiterschanzen und gab anschließend den Befehl zum Rückzug. Bei Zarewo Saimistsche gefiel Bagration die Stellung nicht. Beide Positionen waren laut Clausewitz besser als Borodino. Barclay de Tolly schrieb, dass er die Stellung bei Gschatsk ausgewählt hatte. Deshalb wurde sie letztendlich nicht genommen, weil ihm ein Teil des Ruhmes hätte zufallen können. Zwischen Borodino und Moskau gab es nach Clausewitz keine gute Stellung mehr. Hier ist das Intrigenspiel in der russischen Führung entscheidend für diese Position gewesen. In meinen Augen ist die Schewardino-Schanze absoluter Schwachsinn. Hätte man die Arbeitszeit dazu verwendet die Rajewsky-Schanze besser auszubauen oder die Bagarations-Schanzen, wäre das sinnvoller gewesen. Alle Schanzen waren nur Sandhaufen ohne großartige Hindernisse. Und am 6. September hätte man auch noch was an den Schanzen tun können anstatt Gottesdienste zu veranstalten und Heiligenbilder durch die Gegend zu tragen.

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          • Gunter
            Erfahrener Benutzer
            Chef de Bataillon
            • 01.10.2006
            • 1377

            #6
            Die russische Führung hatte ernsthafte Probleme, die nicht vom Gegner verursacht wurden. Die Intrigen der Generale gegeneinander erreichten fast ein derart kritisches Ausmaß, dass dadurch unmittelbar eine entscheidende Niederlage verursacht werden konnte. Während des Feldzuges waren sie jedenfalls mehrfach nahe daran. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass vor allem der einfache Soldat der russischen Elite den Hintern gerettet hat, ihr eigener Beitrag war mehr als bescheiden und allzu häufig sogar kontraproduktiv.

            Grüße

            Gunter

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            • KDF10
              Erfahrener Benutzer
              Chef de Bataillon
              • 19.12.2010
              • 1278

              #7
              Ja und nein. Ja, wenn es um die russische Führung geht, nein wenn es um den einfachen Soldaten geht. Ein einäugiger 67jähriger, der nur noch im Schritt reiten konnte, und das nur über kurze Strecken, ist kein geeigneter Führer für so eine Armee. Bennigsen war auch schon 67, Platow 61. Wenn man sein ganzes Leben bei Wind und Wetter im Felde gestanden hat, dann plagen einen schon einige Zipperlein, besonders im Winter. Ich bin zwar nicht so alt wie es Kutusow damals war, habe nicht bei Wind und Wetter im Felde gestanden, aber ich weiß wovon ich rede. Die einfachen russischen Soldaten haben zweifellos alles gegeben und eine wichtige Rolle gespielt. Ohne Führung hätten die aber auch nichts erreicht. Da gab es wirklich hochtalentierte Offiziere, die Kutusow als Belastung gesehen haben. Die haben diesen Krieg entschieden und nicht Kutusow. Die kommen aber (nicht nur) in der russischen Geschichtsschreibung viel zu kurz.

              Ist zwar Off Topic, aber ich habe ja schon geschrieben, dass ich auf das Buch "Battle of Borodino" warte, und inzwischen das Buch "The Battle of the Berezina" erhalten habe. Da möchte ich einmal Mikaberidze zitieren (Seite 18): "I have greatly benefited from the help of the wonderful people at the Napoleon Series forum ... and Napoleon On-Line." Was dieses Forum betrifft, bezieht sich das auf Thomas Hemmann, Markus Stein und Markus Gärtner, die Mikaberidze namentlich erwähnt. Auch wenn das eventuell in alten Beiträgen schon einmal erwähnt worden sein sollte, erlaube ich mir hier, das für die jüngeren Forumsmitglieder noch einmal zu erwähnen.
              Zuletzt geändert von KDF10; 09.09.2012, 21:19.

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              • Gunter
                Erfahrener Benutzer
                Chef de Bataillon
                • 01.10.2006
                • 1377

                #8
                Die genannten Personen waren noch längst nicht die gebrechlichsten der russischen Militärelite. Irgendwie muss uns heute so manches in der russischen Führung regelrecht irre vorkommen. Die haben z.B. 1812 einen Jugendlichen eine Brücke konstruieren lassen, der eine Beförderung ablehnte, weil ihn sein eigenes geringes Alter erschreckte. Was das russische Offizierskorps maßgeblich auszeichnete, war seine Jugend, und das bedeutete nicht zwingend zugleich Unerfahrenheit. Heute würde man das Kindersoldaten nennen.

                Grüße

                Gunter

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                • KDF10
                  Erfahrener Benutzer
                  Chef de Bataillon
                  • 19.12.2010
                  • 1278

                  #9
                  Na ja, Blücher war auch noch nicht mal 16 Jahre alt, als er in die schwedische Armee eintrat. In Russland war das allerdings wirklich extrem. Das Kadettenkorps erinnert mich irgendwie an die Waldorfschulen. Das Kind gleich nach der Geburt anmelden, damit man später auch einen Platz bekommt. Irgendwo habe ich gelesen, dass ein Säugling bereits mit zweieinhalb Monaten im russischen Kadettenkorps angemeldet wurde. Nach fünf "Dienstjahren" war er dann vermutlich schon Rittmeister .

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                  • Gunter
                    Erfahrener Benutzer
                    Chef de Bataillon
                    • 01.10.2006
                    • 1377

                    #10
                    Ich bezweifle, dass sich die russischen Kadettenkorps nur annähernd wie eine Waldorfschule angefühlt haben

                    Spaß beiseite, die Kadettenausbildung war noch nicht mal die Norm des russischen Offiziersnachwuchses. Die meisten jungen Herren wurden direkt bei den Regimentern und sonstigen Korps eingestellt und dienten "von der Pike an". Natürlich gab es da jede Menge pro forma-Einträge von ganz kleinen Kindern, die dann wenn sie halbwegs allein zurechtkamen automatisch Offizier wurden. Diese Auswüchse wurden jedoch schrittweise zurückgefahren, die wohl auch nur den Söhnen der hochrangigsten Militärs möglich waren. Bei der Infanterie waren pro Kompanie zwei Offiziersanwärter im Range eines Unterfähnrichs und Portepeefähnrichs üblich. Zwei der Portepeefähnriche trugen die Fahnen des Bataillons. Nach ca. 3 Jahren als Anwärter konnten diese Leute zum Fähnrich befördert werden und somit zum Offizier. In dieser Zeit war "learning by doing" angesagt, sie schauten sich einfach ab, wie das die Kompanie- und Bataillonsführer machten. Während der Kriege ab 1812 wurden noch schnellere Beförderungen als sonst vorgenommen, was die so schon nicht rosige Qualität der Ausbildung sinken ließ. Dafür hatten die Kandidaten praktische Kriegserfahrung.

                    Grüße

                    Gunter

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