Warum scheiterte die dezimale Uhrzeit?

Einklappen
X
 
  • Filter
  • Zeit
  • Anzeigen
Alles löschen
neue Beiträge
  • Blesson
    Erfahrener Benutzer
    Adjudant
    • 03.10.2006
    • 778

    Warum scheiterte die dezimale Uhrzeit?

    Wufi:
    Zur Zeiteinteilung:

    Wenn ichs recht im Kopf habe, hat der Konvent 1793 ein entsprechendes Gesetz verabschiedet (1Tag=10h à 100min à 100sec). Praktische Probleme (entsprechende Uhren mussten ja erst konstruirt werden) verzögerten die Einführung bis nach Robespierres Sturz. Und da der Wohlfahrtsausschuss die treibende Kraft gewesen war, versandete das Projekt anschliessend.
    Ich bezweifele, daß der Sturz Robespierres die alleinige Ursache gewesen ist.

    Meine Thesen:

    (1) Das Projekt wurde ja auch von der Akademie der Wissenschaften betrieben - aber anders als für das Meter gab es keine herausragenden Wissenschaftler wie Delambre, Cassini, Lavoisier, Laplace, Lalande, Legendre, Borda, Lenoir, Condorcet etc. die darfür eingetreten wären. Die Konstruktion von Uhren galt nämlich als rein mechanisches Problem, nicht als eine wissenschaftliche Herausforderung: Ich erinnere an Harrisons Erfindung des Chronometers in Großbritannien, die durch Astronomen, und die o.g. Herren waren meistenteils Astronomen (!), aktiv behindert wurde. Es muß für einen Astronomen wie Maskelyne wahrhaft beleidigend gewesen sein, seine schöne elaborierte Monddistanzenmethode für die Navigation durch eine einfache Zeitmessung ersetzt zu sehen, die sich binnen weniger Jahrzehnte in der christlichen Seefahrt durchsetzte.

    (2) Der Um- oder Neubau der Uhren vom Duodezimal-System auf das Dezimalsystem hätte ungeheure Kosten nach sich gezogen, und den Stand der Uhrmacher auf Kosten der Allgemeinheit bereichert. Aber was hätte es genutzt, da man sich ja ohnehin schon auf die Standardisierung in Stunden, Minuten und Sekunden geeinigt hatte, ganz anders als bei den Längenmaßen? Nur eine Einteilung in Zeitzonen, die die unendlichen vielen lokalen Zeiten beseitigt hätte, wäre ein Forschritt gewesen und hätte die Vergleichbarkeit der Uhrzeiten befördert, wie es dann erst 40 Jahre später durch den Fahrplan der Eisenbahn und durch die Fabrikarbeit erzwungen wurde. Offenbar bestand in den 1790er Jahren noch keine ökonomische Notwendigkeit und noch weniger Einsicht der politisch führenden Kaste.

    LB
    Zuletzt geändert von Blesson; 12.07.2007, 17:04.
    Do, ut des

    http://www.ingenieurgeograph.de
  • admin
    Administrator
    Colonel
    • 30.09.2006
    • 2690

    #2
    Das Junktim der Zeit mit der Ökonomie ist in der Tat herauszustellen ... man geht auch davon aus, dass der ökonomische Fortschritt eine "Beherrschung der Zeit" voraussetzte ("Ökonomisierung des täglichen Lebens") - vorher regelte das Tageslicht den Ablauf der Werktätigen, später dann eben die Uhr.
    (Persönliche Note: das ist auch der Grund, warum ich mir trotz umfangreicher beruflicher Termine schon seit vielen Jahren den "Luxus" leiste, keine Uhr zu haben und "subjektiver Herr meiner Zeit zu sein")

    Aber zurück zum Topic: wie viele der Menschen damals waren denn schon von der Uhr abhängig - ich glaube nicht so viele - aber mir leuchten die Gründe von Dir, Blesson, ein ... das ist einfach ein zu scharfer Einschnitt in das alltägliche Leben. Der Meter hat sich ja über Frankreich hinaus auch nur langsam gegen die regionalen Maße durchgesetzt - außer auf der "unbeugsamen Insel" (wo sonst, wenn nicht dort!).

    Markus Stein
    "Wenn wir geboren werden, weinen wir, weil wir diese große Narrenbühne betreten" (King Lear) ... jedem also sein ganz persönliches (Hof-) Narrenleben

    Kommentar

    • Epoche-Napoleon
      Benutzer
      Fourrier
      • 05.10.2006
      • 84

      #3
      Revolutionäre Zeitrechnung

      Hallo zusammen,

      wenn ich mich recht erinnere, waren die Menschen damals, insbesondere in meiner rheinischen Heimat doch sehr stark der Kirche und deren Jahreslauf und deren Festtagen verbunden. Diese Ablehnung war sicherlich auch ein Grund, weswegen die revolutionäre Zeit und die Kalenderzählung sich nicht auf breiter Flut durchsetzte.

      Gruß
      Micha

      Von der Französischen Revolution bis Waterloo

      Kommentar

      • Blesson
        Erfahrener Benutzer
        Adjudant
        • 03.10.2006
        • 778

        #4
        Bester Micha,

        schön, das ist aber eigentlich keine Antwort auf meine Thesen. Es geht um die tägliche Zeitmessung, nicht um den neuen Kalender, der nicht notwendigerweiser mit der Dezimalen Zeiteinteilung des Tages verknüpft sein muß.

        In der Tat würde ich aber auch die Meinung teilen, daß die Abschaffung der religiös bestimmten Festtage einen außerordentlichen Einschnitt Jahresablauf bedeutet hat, mehr als hingenommen werden konnte und wollte. Der Widerstand ist hinlänglich bekannt, was in der schnellen Abschaffung des neuen Kalenders mündete.

        LB
        Do, ut des

        http://www.ingenieurgeograph.de

        Kommentar

        • Blesson
          Erfahrener Benutzer
          Adjudant
          • 03.10.2006
          • 778

          #5
          Zitat aus Ken Alder:

          Gesetz vom 18. Germinal III ( 7. april 1795): Der Kalender wurde zwar beibehalten, doch eine Dezimalisierung wurde verworfen, - angeblich weil die Kosten für eine Austausch sämtlicher Uhrem im Staat unerschwinglich gewesen sei. zudem hatte die Dezimalisierung lediglich nur den Astronomen, nicht aber den Bürgern genutzt.
          Zuletzt geändert von Blesson; 12.07.2007, 16:58.
          Do, ut des

          http://www.ingenieurgeograph.de

          Kommentar

          • joerg.scheibe
            Erfahrener Benutzer
            Capitaine
            • 02.10.2006
            • 592

            #6
            zudem hatte die Dezimalisierung leithlich nur den Astronomen, nicht aber den Bürgern genutzt.

            (Auch wenn es nicht zur dezimalen Uhrzeit gehört)
            Gern vergessen: Dezimalisierung des Kalenders bedeutete verschärfte Ausbeutung der Lohnabhängigen, denn plötzlich sollte nur noch jeder zehnte Tag frei sein.

            Jörg
            The light at the end of the tunnel
            is from an oncoming train.

            Kommentar

            • gnlwth
              Erfahrener Benutzer
              Tambour-Major
              • 09.10.2006
              • 324

              #7
              Guten Morgen,

              zudem hatte die Dezimalisierung leithlich nur den Astronomen, nicht aber den Bürgern genutzt.
              Ich wuesste nicht, wozu das nuetzen sollte - Rektaszension wird in Stunden, Minuten und Sekunden gemessen (im Gegensatz zur Deklination, die in Grad, Bogenminuten und Bogensekunden angegeben wird). Die Rektaszension eines beobachteten Objekts laesst sich also leicht bestimmen, wenn man die Uhrzeit (und das Datum) kennt, und gleichzeitig verhaeltnismaessig problemlos in Grad umrechnen (wenn man sich etwa fuer den Winkelabstand zweier Objekte voneinander interessiert). Haette man die Uhren dezimalisiert, haette man das mit dem Bogenmass auch tun muessen (so dass der Kreis dann etwa 100 Grad haette, oder etwas in der Art) - und dann haette man saemtliche Himmelskarten umrechenen muessen (und jedes Pointingmodell jedes Teleskops). Abgesehen davon, dass das eine unendliche und vollkommen sinnlose Arbeit waere, will ich nicht wissen, wie viele Schiffe dann niemals dort angekommen waeren, wo sie hinwollten..
              Als Astronom kann ich also sagen, dass ich keinerlei Interesse an einer Dezimalisierung von Uhren (und damit Koordinaten am Himmel) haette!


              Schoenen Gruss,
              Gnlwth
              Talleyrand - der Mensch und die Persönlichkeit

              Kommentar

              • joerg.scheibe
                Erfahrener Benutzer
                Capitaine
                • 02.10.2006
                • 592

                #8
                Geschätzte Sternenkiekerin,

                nun ist die Dezimalisierung des Bogens seit geschätzt etlichen Jahrzenhnten gern und problemlos angewandte Praxis in der Landmesserei und damit zusammenhängenden Gebieten (360 Grd = 400 Gon)

                Auch schon vor der allgemeinen Verbreitung des Taschenrechners.

                Selbst die trigonometrischen Tabellen meiner Schulzeit (lang zurück) hatten nur noch dezimale Teile von Graden, keine Minuten und Sekunden.

                Geschadet hat es meines Wissens nicht.

                Manövrieren Schiffe und Flugzeuge eigentlich heute immer noch nach Minuten + Sekunden oder nach Dezimalgraden (wenn sie nicht sowieso nach Gauss-Krüger-Koordinaten vom Satelliten dezimal gesteuert werden)?

                Bleiben am Ende nur die Astronomen als Bewahrer traditioneller Winkelbeziehungen?

                Gruß
                Jörg
                The light at the end of the tunnel
                is from an oncoming train.

                Kommentar

                • wufi
                  Erfahrener Benutzer
                  Tambour-Major
                  • 03.10.2006
                  • 311

                  #9
                  Um nochmals auf Blessons Thesen zurückzukommen

                  Das wichtigste Argument war sicherlich, dass eine Standardisierung schon vorhanden war, ausserdem war es nicht nötig die Uhrzeit in eine Form zu bringen, die zum rechnen geeignet war.
                  Der Wille zur umsetzung muss ja auch bei der Bevölkerung vorhanden sein. Bei den Längen- Hohl- und Gewichtsmassen war offensichlich ein Bedürfniss vorhanden (da viele mehr schlecht als recht rechnen konnten, war die Umstellung ja auch einfacher fürs einfache Volk)

                  (ps an den admin, die unbegsamen haben sich 1971 ergeben)
                  Je l'ay emprins

                  Kommentar

                  • admin
                    Administrator
                    Colonel
                    • 30.09.2006
                    • 2690

                    #10
                    Zitat von wufi Beitrag anzeigen
                    ps an den admin, die unbegsamen haben sich 1971 ergeben
                    ähm, meinen wir die gleichen auf Britannien? Oder sprichst Du auf bestimmte Ereignisse bei Eurem Völkchen? Gab es dort etwa in bestimmten Regionen bis 1971 noch nicht den Meter?

                    Das nenn' ich Autonomie ... aber das sind wir Deutschen ja von Euch Schweizern gewohnt

                    Markus Stein
                    "Wenn wir geboren werden, weinen wir, weil wir diese große Narrenbühne betreten" (King Lear) ... jedem also sein ganz persönliches (Hof-) Narrenleben

                    Kommentar

                    • wufi
                      Erfahrener Benutzer
                      Tambour-Major
                      • 03.10.2006
                      • 311

                      #11
                      Zitat von admin Beitrag anzeigen
                      ähm, meinen wir die gleichen auf Britannien? Oder sprichst Du auf bestimmte Ereignisse bei Eurem Völkchen? Gab es dort etwa in bestimmten Regionen bis 1971 noch nicht den Meter?
                      Das nenn' ich Autonomie ... aber das sind wir Deutschen ja von Euch Schweizern gewohnt
                      Sehr witzig :devil:mitund

                      Grossbritannien hat (nach meinen Zahlen und MassBüchlein) seit 1971 das Imperiale System stufenweise abgeschafft.
                      Obs die Leute in der Praxis kapiert haben sei dahingestellt
                      Zuletzt geändert von wufi; 12.07.2007, 10:59.
                      Je l'ay emprins

                      Kommentar

                      • admin
                        Administrator
                        Colonel
                        • 30.09.2006
                        • 2690

                        #12
                        wufi, sollte kein Affront sein ... aber ich denke, Du nimmst es mit dem teuflischen Humor ...

                        Ja offiziell ist der Meter zwar gültig, aber gelebt wird mit dieser Angabe wohl noch nicht in GB ... ob sie das jemals richtig tun werden?

                        Schöne Grüße nach CH
                        Markus Stein
                        "Wenn wir geboren werden, weinen wir, weil wir diese große Narrenbühne betreten" (King Lear) ... jedem also sein ganz persönliches (Hof-) Narrenleben

                        Kommentar

                        • Blesson
                          Erfahrener Benutzer
                          Adjudant
                          • 03.10.2006
                          • 778

                          #13
                          Hier noch ein link zum republikanischen Kalender und dezimalen Uhrzeit:



                          und ein bild einer Taschenuhr mit 10 Tagesstunden aus der gleichen Quelle:



                          Es war systematisch konsequent, daß das Kalendergesetz vom 4. Frimaire Jahr II [24. November 1793] ab dem 1. Vendémiaire III [22. September 1794] die dezimal gegliederte Tageseinteilung - eine Dezimaluhr - vorsah. In Artikel 11 hieß es : „Der Tag von einer Mitternacht zur anderen ist in zehn Teile oder Stunden eingeteilt, jedes des
                          Es war systematisch konsequent, daß das Kalendergesetz vom 4. Frimaire Jahr II [24. November 1793] ab dem 1. Vendémiaire III [22. September 1794] die dezimal gegliederte Tageseinteilung - eine Dezimaluhr - vorsah. In Artikel 11 hieß es : „Der Tag von einer Mitternacht zur anderen ist in zehn Teile oder Stunden eingeteilt, jedes Teil in zehn andere und so weiter bis zur kleinsten meßbaren Einheit der Zeit. Der hundertste Teil einer Stunde heißt Dezimal-Minute, der hundertste Teil einer Minute heißt eine Dezimal-Sekunde." Die Menschen hielten allerdings an ihren Gewohnheiten fest. Angesichts dieses Befunds sah sich der Konvent am 18. Germinal III [7. April 1795] veranlaßt, die Bevölkerung aufzurufen, „ihre Hingabe an die einige und unteilbare Republik unter Beweis zu stellen, indem sie die neuen Einheiten zur Grundlage ihren Rechnungen und Geschäfte macht." Gleichzeitig setzte das Parlament die Befolgung des Gesetzes über die dezimale Tageseinteilung auf unbestimmte Zeit aus.

                          Gesetzes über die dezimale Tageseinteilung auf unbestimmte Zeit aus.
                          Zuletzt geändert von Blesson; 13.07.2007, 17:32.
                          Do, ut des

                          http://www.ingenieurgeograph.de

                          Kommentar

                          • Sans-Souci
                            Erfahrener Benutzer
                            Major
                            • 01.10.2006
                            • 1847

                            #14
                            Neue Uhren hätten jedenfalls wegen der dezimalen Uhrzeit nichtgebaut werden müssen, lediglich neue Zifferblätter hätte man malen müssen.

                            Kommentar

                            • Blesson
                              Erfahrener Benutzer
                              Adjudant
                              • 03.10.2006
                              • 778

                              #15
                              Zitat von Sans-Souci Beitrag anzeigen
                              Neue Uhren hätten jedenfalls wegen der dezimalen Uhrzeit nichtgebaut werden müssen, lediglich neue Zifferblätter hätte man malen müssen.
                              Wenn es nur die Ziffernblätter gewesen wären, also Bester Oli, das ist schlicht falsch:

                              Der Große Zeiger der Dezimaluhr hätte nur eine Umdrehung pro Tag gemacht, während der große Zeiger bei der 24h Einteilung zwei Runden macht. Der damit synchronisierte kleine Zeiger für die Minuten hätte zehn Umdrehung für die Dezimalzeit pro Tag zurücklegen müssen, bei der alten Zeit sind es dagegen 2 x 12 Umläufe.

                              Das alte System ist in seiner Basis duodezimal, was die entsprechende Zahl von Zähnen in der Konstruktion bei den Zahnrädern bedeutet, also ziemlich inkompatibel mit dem Dezimalsystem ist.

                              LB
                              Zuletzt geändert von Blesson; 01.08.2007, 23:55.
                              Do, ut des

                              http://www.ingenieurgeograph.de

                              Kommentar

                              Lädt...
                              X
                              😀
                              😂
                              🥰
                              😘
                              🤢
                              😎
                              😞
                              😡
                              👍
                              👎