Gegossene Kanonenkugeln nachgeschmiedet?

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  • Drusus
    Erfahrener Benutzer
    Tambour-Major
    • 09.10.2006
    • 278

    Gegossene Kanonenkugeln nachgeschmiedet?

    Hallo Allesamt,

    ich las über die Munition der österreichischen Artillerie zu Zeiten der Koalitionskriege: "Das Material der Vollkugel war ausschließlich aus Gusseisen und wurde nach dem Guss nochmals überschmiedet". Wie kann man siech denn dieses "Überschmieden" vorstellen? Da wird doch nicht etwa jede einzelne Kugel von Hand mit dem Hammer bearbeitet worden sein, oder etwa gar doch?

    Viele Grüße,
    Günter
    "But Linden saw another sight, when the drum beat at dead of night,
    commanding fires of death to light the darkness of her scenery." (Thomas Campbell)
  • admin
    Administrator
    Colonel
    • 30.09.2006
    • 2691

    #2
    Der Dolleczek (sehr empfehlenswert und derzeit günstig zu erhalten, siehe http://www.napoleon-online.com/forum...read.php?t=597) schreibt hierzu:

    Das Material der Vollkugel war ausschliesslich Gusseisen und die bereits vorgeschrittene Kenntnis des Eisengusses garantierte die Calibermässigkeit mehr als vorhin. Doch pflegte man bei uns die gegossenen Kugeln noch einmal zu glühen und zu überschmieden, damit sie weicher werden.

    Ich denke, dass ist anschaulich formuliert ... die "weichere" Konsistenz kann ich aber nicht erklären, da fehlt's mir halt an der Ballistik bzw. Physik (Blesson und/oder gnlwth können hierzu sicher mehr sagen).

    Schöne Grüße
    markus stein
    "Wenn wir geboren werden, weinen wir, weil wir diese große Narrenbühne betreten" (King Lear) ... jedem also sein ganz persönliches (Hof-) Narrenleben

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    • sebastian
      Benutzer
      Caporal
      • 11.07.2007
      • 54

      #3
      Hallo!

      Durch das Gießen entstehen Spannungen im kristllienen Gefüge des Eisens. Ein darauffolgendes erneutes Erwärmen unterhalb der Schmelztemperatur führt zu einer Entspannung im Gefüge und das Material wird "weich" und ist nicht mehr hart und spröde.

      mfg Sebastian
      www.hollabrunn1805.twoday.net

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      • admin
        Administrator
        Colonel
        • 30.09.2006
        • 2691

        #4
        Danke Sebastian, das erklärt das Ganze aus der Materialphysik/-chemie ... aber warum sollten die Kugeln weicher sein? Hatten sie dann andere Schußqualitäten, wurde das Rohr mehr geschont? Oder ist der Grund ganz woanders zu suchen ...

        Schöne Grüße
        markus stein
        "Wenn wir geboren werden, weinen wir, weil wir diese große Narrenbühne betreten" (King Lear) ... jedem also sein ganz persönliches (Hof-) Narrenleben

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        • sebastian
          Benutzer
          Caporal
          • 11.07.2007
          • 54

          #5
          Durch das Abfeuern muss eine stoßartige Kraft auf die Kugel wirken und eine spröde Kugel kann zu Bruch kommen und würde unkontrolliert durch die Gegend fliegen, oder auch im Rohr Beschädigungen hervorrufen.

          mfg Sebastian
          www.hollabrunn1805.twoday.net

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          • admin
            Administrator
            Colonel
            • 30.09.2006
            • 2691

            #6
            Danke ... das leuchtet mir jetzt ein ...

            und ich hatte mal vor zig Jahren Chemie-Leistungskurs

            Markus Stein
            "Wenn wir geboren werden, weinen wir, weil wir diese große Narrenbühne betreten" (King Lear) ... jedem also sein ganz persönliches (Hof-) Narrenleben

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            • Drusus
              Erfahrener Benutzer
              Tambour-Major
              • 09.10.2006
              • 278

              #7
              Danke für die Erklärungen und auch den Buchtipp.

              Was mir jetzt aber immer noch nicht klar ist, ist die Technik des Nachschmiedens (überschmieden). Hatte man dafür eine Maschine oder wurden die glühenden Kugeln wirklich mit dem Schmiedehammer bearbeitet? Letzteres kann ich mir kaum vorstellen, da das ja auf Kosten der runden Form gehen müsste.

              Viele Grüße,
              Günter
              "But Linden saw another sight, when the drum beat at dead of night,
              commanding fires of death to light the darkness of her scenery." (Thomas Campbell)

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              • sebastian
                Benutzer
                Caporal
                • 11.07.2007
                • 54

                #8
                Hallo
                Zu dieser Zeit gab es sicher schon mit Wasserkraft betriebene Schmiedehämmer. Das heißt man legte die fertig gegossene Kugel, welche nach dem Guß immer Größer war als der Kaliber, den man nachher mochte, in ein Gesenk, welches aus zwei Teilen bestand (jeder Teil hatte die genaue Form einer Hälfte der Kugel). Den zweiten Teil legte man nun auf die Kugel. Dann schlug der Hammer ein paar mal drauf und man hatte die fertige Kugel im gewünschtem Kaliber. Anders kanns ich mir nicht vorstellen. Das richtige Gesenkschmieden gab es erst ab dem Ende des 19.Jh. Ich hab dir zwei Bilder dazugehängt.

                mfg Sebastian
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                • Blesson
                  Erfahrener Benutzer
                  Adjudant
                  • 03.10.2006
                  • 778

                  #9
                  Bsiher haben wir nur Antworten, die den heutigen Stand der Technik und Wissenschaft widergeben, gehört, nicht aber Zeitzeugen:

                  Wie immer hilft die Originalliteratur, also Scharnhorst; Handbuch für Offiziere, Teil Artillerie,

                  Überschmieden der Stückkugeln, § 24

                  Man hat bei einigen Artillerien die Wirkung des Geschützes durch Überschmieden der neugegossenen eisernen Kugel auf einem hohlen Ambos, mit einer concaven Hammer, zu erhöhen geglaubt, weil sie allerdings durch diese Operationen eine größerere Dichtigkeit, eine vollkommenere Kugelgestalt und eine glatte Oberfläche bekommen. Es scheint daher, daß die überschmiedeten Kugeln die Seele der Kanonen weniger beschädigen, daß sie besser ricochettieren, und endlich daß sie weniger vom Rost angegriffen werden. Allein diese angeführter Nachteile treten nur verhältnigsmäßig bei schlechtgegossenen Kugeln ein; dagegen verursacht das Überschmieden derselben durch das Feuerungsmaterial und das Arbeitslohn einen ansehnlichen Aufwand, der mit jenen, mehr eingebildeten als wirklichen Vorteilen durchaus in keinem Verhältnis stehet. Bei dem großen Einfluß des Bodens auf das Ricochettieren, und einer Menge zufälliger Dinge auf die genauigkeit der Schüsse überhaupt, wird man durch sorgfältigeres Formen der Munition, und durch eine strenge Auswahl bei der Übernahme derselben, die nämliche Absicht ohne eine solche Vergrößerung der Kosten erreichen.
                  Meine Kommentare:
                  1) Durch Wasserkraft oder anderweitig angetriebene Gesenkschmieden scheinen also noch nicht verbreitet gewesen zu sein, ggf. aber schon im weiter entwickelten England.
                  2) Kugeln wurden in sog. Kugelkästen gegossen, siehe Abb. im Streit, Milit. Enzyklopädie
                  3) Modern ausgedrückt, äußert sich Scharnhort zu einer verbesserten Qualitätskontrolle beim Gießen, die einen weiteren Arbeitsgang, nämlich das Überschmieden, überflüssig macht.
                  4) Vom zerspringen der eisernen Kugeln im Rohr ist mir aus zeitgen. Quellen nichts bekannt; beim Ricochettieren desgleichen. Beim Auftreffen auf Mauerwerk prallt die Kugel eher ab, im Ziegelwerk kann sie bei senkrechtem Aufprall steckenbleiben. Generell ist ein Zerspringen allerdings nicht auszuschließen. Das Zerspringen von Schlackekugeln im 17. JH ist hingegen belegt, weshalb sie schnell außer Gebrauch kamen.
                  5) Die Verformung der Kugeln scheint bei dem vorgegebenen Spiel von 1-2 Linien ebenfalls nicht relevant gewesen zu sein, da Kugeln auf den Schlachtenfeldern aufgesammelt und wieder verwendet wurden.
                  6) Daraus kann man entnehmen, daß zumindestens bei der pr. Artillerie ab ca. 1805 das Überschmieden wohl nicht mehr üblich war, gleichwohl nicht auszuschließen ist, wenn die Abnahmekommissionen bei den Eisengießereien vor Ort anderer Meinung waren. Aber da das Überschmieden zusätzliche Kosten verursachte, wird man im verarmten Preußen davon Abstand genommen haben.



                  LB
                  Zuletzt geändert von Blesson; 01.08.2007, 12:16.
                  Do, ut des

                  http://www.ingenieurgeograph.de

                  Kommentar

                  • Drusus
                    Erfahrener Benutzer
                    Tambour-Major
                    • 09.10.2006
                    • 278

                    #10
                    Hallo Allesamt,

                    ich danke für die weiteren Antworten. Der Scharnhorst-Text bestätigt, was ich mir auch schon gedacht hatte - zeitintensiv und somit teuer, besonders im Vergleich zum Mehrnutzen.

                    Viele Grüße,
                    Günter
                    "But Linden saw another sight, when the drum beat at dead of night,
                    commanding fires of death to light the darkness of her scenery." (Thomas Campbell)

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                    • Sans-Souci
                      Erfahrener Benutzer
                      Major
                      • 01.10.2006
                      • 1850

                      #11
                      Eine weitere Meinung dazu vom preußische Major v. Plümicke in seinem 1820 in Berlin in zwei Bänden erschienenem Handbuch für die Königlich Preußischen Artillerie-Offiziere (Bd. 1, S. 246):

                      Man hat auch in Frankreich eine Zeitlang die Kanonen-Kugeln überschmiedet, besonders um sie in Rücksicht der Größe mehr zu vergleichen [= egalisieren] und schwerer zu machen. Da sie aber hierdurch viel theurer werden und auch wegen der Entfernung der Gußrinde weit mehr rosten: so findet dieses Verfahren nicht mehr Statt.
                      Auf derselben Seite zum (Über)schmieden der Kartätschkugeln:

                      Die Kartätschkugeln zum Feldgebrauche werden nicht gegossen sondern geschmiedet. Hierzu dient ein Ambos mit einer halbkugelförmigen Aushöhlung und ein duch Wasser in Bewegung gesetzter Hammer von gleicher Gestalt. Die Kugeln werden durch das Schmieden schwerer und fester, sind auch dem Springen nicht so leicht ausgesetzt als die gegossenen, welche ihrer Wohlfeilheit wegen zum Gebrauche vor und in Festungen bestimmt sind. Auch kann man auf gleiche Art die Kartätschkugeln sehr gut mit gewöhnlichen Handhämmern in Gesenken schmieden.

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