Tote Preußen auf dem Dachboden...

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  • Aide de Camp
    Erfahrener Benutzer
    Sergent
    • 14.12.2020
    • 167

    Tote Preußen auf dem Dachboden...

    Am 24.01.23 stand in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ein kurzer aber interessanter Artikel von Lorenz Hemicker über neueste Knochenfunde von Gefallenen auf dem Schlachtfeld von Waterloo. Das Brisante an der Geschichte ist der Fundort. Überreste der Gefallenen sind nicht etwa bei Ausgrabungen geborgen worden, sondern von Anwohnern Jahrzehnte lang in Pappkartons auf dem Dachboden gelagert worden, nachdem die Gebeine der Gefallenen bei Bauarbeiten in den 80'er Jahren in der Nähe von Plancenoit gefunden wurden...

    Der Artikel der FAZ liegt leider hinter einer Bezahlschranke, aber der Podcast ist zugänglich. In ihm berichtet Robin Schäfer darüber, warum es bisher so wenig Funde von Gefallenen auf den napoleonischen Schlachtfeldern gibt. Schäfer liefert einen interessanten und bedrückenden Einblick in die Knochenverwertungsabläufe der Zucker- und Düngemittelwirtschaft des 19. Jahrhunderts...

  • Voltigeur
    Erfahrener Benutzer
    Tambour-Major
    • 29.10.2006
    • 305

    #2
    Hallo Alle Zusammen,

    So ein Zufall, im letzten " Napoléon " 1er war fast genau derselbe Artikel.
    Zwar nichts über einen Dachbodenfund, aber warum man in Waterloo so gut wie keine Knochenreste / Gefallene findet.
    Eigentlich dürften die Bauern nur die Knochen der Pferde ausgraben, doch bald wurde klar das da nicht nur Pferdekochen dabei waren.
    Da diese Knochen zu Düngemittel und Zuckerverarbeitung benutzt wurden, stellten sie eine interessante Einnahmequelle für die Bauern da.
    Bald wurden alle Knochen die man ausgrab weiter verkauft, egal ob Mensch, oder Tier.

    Grüsse vom Voltigeur

    Kommentar

    • Aide de Camp
      Erfahrener Benutzer
      Sergent
      • 14.12.2020
      • 167

      #3
      Zumindest für Waterloo ist ja durch zeitgenössische Berichte recht gut belegt, an welchen Stellen Massengräber angelegt worden sein sollen. Überprüfungen an diesen Stellen, insbesondere durch die Organisation "Waterloo uncovered" haben allerdings bisher nichts zu Tage gefördert. Auch auf den großen Schlachtfeldern des Jahres 1813 steht man vor ähnlichen Rätseln. Für Großgörschen gibt es mehrere Berichte von den Massenbestattungen. Gerade im Dörferdreieck Rahna - Kaja - Großgörschen müssen damals tausende Gefallene in Massengräbern beisgesetzt worden sein. Gefunden hat man bisher so gut wie nichts, wenn überhaupt etwas, dann nur Gräber mit verhältnismäßig wenig Toten oder Einzelgräber.

      Möglicherweise wurden auch dort die Gebeine einige Jahrzehnte nach den Ereignissen der Düngerwirtschaft zugeführt. Die chemische Industrie ist Mitte des 19. Jahrhunderts ja eine der Basisinnovationen in der Industrieellen Revolution gewesen. Interessant sind in diesem Zusammenhang Verladeberichte der großen Häfen. In Großbritannien, wo sich zur damaligen Zeit die Zentren der Knochenmehlherstellung zur Filtrierung von Zucker befanden, sind solche "Knochenlieferungen" schon für Anfang der 1820'er Jahre nachgewiesen. In der Novemberausgabe 1822 der "London Observer Newspaper" findet sich folgender Auszug:

      It is estimated that more than a million bushels of “human and inhuman bones” were imported from the continent of Europe into the port of Hull. The neighbourhood of Leipsic, Austerlitz, Waterloo, etc, where the principal battles were for some 15 or 20 years before, were swept alike of the bones of the hero and the horse which he rode. Thus collected from every quarter, they were shipped to Hull, and thence forwarded to the Yorkshire bone grinders, who, by steam-engines and powerful machinery, reduce them to a granulary state. In this condition they were sent chiefly to Doncaster, one of the largest agricultural markets of the country, and were there sold to the farmers to manure their lands. The only substance gradually evolving as the bone calcines, makes of all substantial manure better manure than almost any other substance - particularly human bones."

      Ein weiterer direkter Hinweis findet sich im im "London Spectator Magazine" vom 07.11.1829. Dort heißt es:

      "Traffic in human bones - A ship from Hamburg arrived at Lossiemouth last week, laden with bones, the property of an agriculturalist of Morayshire, and intended for manure. The master of the vessel states that the bones were collected from the plains and marches of Leipsic and are part of the remains of the thousands who fell in the battles fought betwixt France and the Allies in October 1813."

      Gut möglich, dass diese Schiffsladungen aus Gebeinen der Schlachtfelder von Leipzig und Großgörschen stammen. Behördliche Akten werden zu diesen Vorgängen in den heutigen Archiven wohl kaum zu finden sein, weil zu vermuten ist, dass dieses delikate Handelsgut wohl eher auf privatwirtschaftliche Initaitive den Weg zu den Verladehäfen nach England gefunden hat...

      Damit ließe sich aber gut erklären, warum bis zum heutigen Tag so wenige Massengräber auf den napoleonischen Schlachtfeldern entdeckt worden sind und man heutzutage auf solch bizarre Zufallsfunde wie in Waterloo angewiesen ist, wenn es um den Nachweis und den Verbleib von Gefallenen der beteiligten Nationen geht.

      Kommentar

      • corporal
        Erfahrener Benutzer
        Tambour-Major
        • 25.04.2007
        • 306

        #4
        Sic transit gloria mundi.
        Danke für diese hochinteressanten Fakten.

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