Napoleon als Wegbereiter fünf bedeutender Gesetzesbücher

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  • admin
    Administrator
    Colonel
    • 30.09.2006
    • 2732

    Napoleon als Wegbereiter fünf bedeutender Gesetzesbücher

    In der aktuellen ZEIT vom 18.3.2010 findet sich in der Rubrik Zeitläufte ein sehr interessanter Beitrag des renommierten Rechtshistorikers Uwe Wesel über den aus seiner Sicht sehr bedeutenden Anteil Napoleons an der neuzeitlichen Rechtsgeschichte - v.a. interessant dass hier nicht nur auf den immer wieder zitierten Code civil, sondern auch auf das Handels- und Strafgesetzbuch abgezielt wird.

    Wie immer ist der Beitrag gleich online zu lesen, und zwar unter http://www.zeit.de/2010/08/A-Code-Napoleon

    Angenehme Lektüre wünscht
    Markus Stein
    "Wenn wir geboren werden, weinen wir, weil wir diese große Narrenbühne betreten" (King Lear) ... jedem also sein ganz persönliches (Hof-) Narrenleben
  • excideuil
    Erfahrener Benutzer
    Sergent-Major
    • 24.09.2009
    • 207

    #2
    Zitat von admin Beitrag anzeigen
    In der aktuellen ZEIT vom 18.3.2010 findet sich in der Rubrik Zeitläufte ein sehr interessanter Beitrag des renommierten Rechtshistorikers Uwe Wesel über den aus seiner Sicht sehr bedeutenden Anteil Napoleons an der neuzeitlichen Rechtsgeschichte - v.a. interessant dass hier nicht nur auf den immer wieder zitierten Code civil, sondern auch auf das Handels- und Strafgesetzbuch abgezielt wird.

    Wie immer ist der Beitrag gleich online zu lesen, und zwar unter http://www.zeit.de/2010/08/A-Code-Napoleon

    Angenehme Lektüre wünscht
    Markus Stein
    Nun, meine Lektüre fand schon auf der ersten Seite ihr Ende, denn da heißt es:

    "Napoleon wollte nicht nur groß sein als Feldherr, auch als Gesetzgeber. Das hat er gleich verkündet und mit der Arbeit am Code civil begonnen."

    Bekanntlich wurde die Arbeit zum Code Civil schon VOR N. Machtergreifung begonnen. Er konnte daher maximal erkennen, dass dieser Code und auch die begleitenden Gesetzbücher Ergebnisse der Revolution waren und durch ihn nur befördert werden konnten, um seine Ziele zu erreichen ... Ihm den Ruhm an diesen Gestzbüchern ans Rever zu heften, dazu mag der Artikel taugen, an der Realität geht er wohl vorbei.

    Grüße
    excideuil

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    • Lutz Langer
      Erfahrener Benutzer
      Sergent-Major
      • 03.11.2006
      • 178

      #3
      Ich schließe mich excideuil hier vollkommen an. U.a. ist hier Jaques Presser sehr interessant, der auch deutlich zeigen kann, wo Napoleon die Handbremse angezogen hat. Im Napoleons Version waren deutlich Rückschritte zu revolutionären (aus heutiger Sicht modernen) Errungenschaften zu erkennen, egal ob Themen wie Menschenrechte, Schulrecht oder anderes. Vieles von dem Ursprünglichen ist dann später (also trotz Napoleon) wieder eingeführt worden.

      Grüße

      Lutz

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      • Mephisto
        Erfahrener Benutzer
        Capitaine
        • 01.10.2006
        • 625

        #4
        Klingt ja ganz so, als ob da N wirklich Mist gebaut hat!!!
        Hat er also einen anderen an der Perfektion des Code gebremst!
        Einen anderen, der den Code in seiner heutigen Fassung sozusagen fertig auf dem Schreibtisch hatte!?!
        Ja, wen denn nur - ausser sich selbst!?!
        Gruß
        Mephisto

        "Es sind zwey Formeln, in denen sich die sämmtliche Opposition gegen Napoleon befassen und aussprechen lässt,
        nämlich Afterredung (aus Besserwissenwollen) und Hypochondrie." Goethe 1807 :attention:

        Kommentar

        • Lutz Langer
          Erfahrener Benutzer
          Sergent-Major
          • 03.11.2006
          • 178

          #5
          Hallo Mephisto

          Nun, Napoleon hat den Code Civil eingeführt und wird deswegen häufig gerühmt. Mit der Revolution bzw. dem Ende der Monarchie hatten sich ja viele Dinge geändert bzw. sollten noch geändert werden. Die Gesetze hinkten oft der Praxis hinterher bzw. es fehlte das (bzw. die) Gesamtwerk(e). Napoleon hat mit dem Code Civil diese Lücke geschlossen bzw. das schon begonnene Bestreben nach Rechtssicherheit beendet. Tatsächlich geht aber vieles Inhaltliche darin auf andere und oft schon begonnene oder schon eingeführte revolutionäre oder direktorische Gesetze oder Gesetzentwürfe zurück. Napoleon hat in seinem Wirken an dem Code sicher auch positive Dinge beigetragen, aber es lässt sich auch zeigen, dass ihm manche Dinge zu weit gingen und er diese zurücknahm. Jacques Presser hat dem ein sehr gut recherchiertes Kapitel gewidmet.

          Was ist dann die tolle Leistung Napoleons an dem Code Civil, außer der Einführung von größtenteils Vorhandenem, was aber teilweise hinter Fortschrittlichem der Zwischenzeit nach 1789 blieb?

          LG Lutz

          Kommentar

          • excideuil
            Erfahrener Benutzer
            Sergent-Major
            • 24.09.2009
            • 207

            #6
            Zitat von Mephisto Beitrag anzeigen
            Klingt ja ganz so, als ob da N wirklich Mist gebaut hat!!!
            Hat er also einen anderen an der Perfektion des Code gebremst!
            Einen anderen, der den Code in seiner heutigen Fassung sozusagen fertig auf dem Schreibtisch hatte!?!
            Ja, wen denn nur - ausser sich selbst!?!
            Mist gebaut haben würde ich es nicht nennen.

            Federführend war der erfahrene Jurist und damals Konsul Jean Jacques Cambacérès. N. hat etlichen Versammlungen beigewohnt und etliche §§ in seinem Sinne geändert. Zu dem, was Lutz schon angeführt hat, möchte ich die Beschneidung der Rechte der Frauen hinzufügen.

            In der Summe kam also eine Version heraus, die ohne N. viel revolutionärer gewesen wäre, was ganz nebenbei noch belegt, dass N. mit der Revolution nicht allzuviel am Hut hatte.

            Die von Lutz angeführte Biografie von Jacques Presser: "Napoleon - Entschlüsselung einer Legende" ist unbedingt lesenswert!

            Grüße
            excideuil

            Kommentar

            • gnlwth
              Erfahrener Benutzer
              Tambour-Major
              • 09.10.2006
              • 324

              #7
              Guten Abend,


              [...]möchte ich die Beschneidung der Rechte der Frauen hinzufügen.
              Na ja. Die "Droits de l'homme" beschränkten sich schon auch nur auf die Männer. Frauen galten auch hier nicht als Menschen - wenn ich mich nicht irre, werden bei den Besitzrechten der Bürger Grundeigentum und Häuser, Pferde und Frauen aufgelistet.

              Und ich zitiere aus dem Rapport sur l'instruction publique:

              "La maison paternelle vaut mieux à l'éducation des femmes; elles ont moins besoin d'apprendre à traiter avec les intérêts d'autrui, que de s'accoutumer à la vie calme et retirée. Destinées aux soins intérieurs, c'est au sein de leur famille (p.124) qu'elles doivent en recevoir les premières leçons et les premiers exemples. Les pères et mères, avertis de ce devoir sacré, sentiront l'étendue des obligations qu'il impose: la présence d'une jeune fille purifie le lieu qu'elle habite, et l'innocence commande à ce qui l'entoure, le repentir ou la vertu. Que toutes vos institutions tendent donc à concentrer l'éducation des femmes dans cet asyle domestique: il n'en est pas qui convienne mieux à la pudeur, et qui lui prépare de plus douces habitudes."


              Den Volltext davon gibt es hier.


              Dieser Text (den ich mal unkommentiert stehen lassen will) ist von 1791, mitten aus der Revolution, und er ist keineswegs von irgendwelchen komischen Konservativen, sondern (leider!) von Talleyrand. Der Rapport sur l'instruction publique blieb gesetzesgültig und mehr oder weniger unangetastet bis zum Beginn der Dritten Republik - ohne, dass Napoleon noch irgend etwas zur Beschneidung der Rechte von Frauen dazu beitragen musste.


              Ein Gutes hat dieser Abschitt über die Schulbildung von Mädchen aber gehabt: Er hat Mary Wollstonecroft auf den Plan gerufen, die als Reaktion auf Talleyrands Gesetzesentwurf zum Schulwesen ihr bahnbrechendes Buch A Vindication of the Rights of Women with Strictures on Political and Moral Subjects, To M. Talleyrand-Périgord, late Bishop of Autun (1792) schrieb (Volltext hier), und damit die Frauenrechtsbewegung begründete.

              Also, was ich sagen will: Ja, Napoleon war ganz sicher frauenfeindlich und hat nicht gerade dafür gesorgt, dass Frauen mehr Rechte bekamen. Aber beschneiden musste er die Rechte der Frauen auch nicht - er musste einfach beibehalten, was auch vorher schon so war: auch in der französischen Revolution bekamen Frauen keine Rechte eingeräumt, wie man gut daran sehen kann, dass selbst ausgesprochen liberale und eigentlich frauenfreundliche Politiker wie Talleyrand Gesetzestexte verfassten, die Frauen keine höhere Bildung zugestanden.


              Schöne Grüße,
              Gnlwth
              Zuletzt geändert von gnlwth; 26.06.2010, 23:03.
              Talleyrand - der Mensch und die Persönlichkeit

              Kommentar

              • excideuil
                Erfahrener Benutzer
                Sergent-Major
                • 24.09.2009
                • 207

                #8
                Zitat von gnlwth Beitrag anzeigen

                Also, was ich sagen will: Ja, Napoleon war ganz sicher frauenfeindlich und hat nicht gerade dafür gesorgt, dass Frauen mehr Rechte bekamen. Aber beschneiden musste er die Rechte der Frauen auch nicht - er musste einfach beibehalten, was auch vorher schon so war: auch in der französischen Revolution bekamen Frauen keine Rechte eingeräumt, wie man gut daran sehen kann, dass selbst ausgesprochen liberale und eigentlich frauenfreundliche Politiker wie Talleyrand Gesetzestexte verfassten, die Frauen keine höhere Bildung zugestanden.


                Schöne Grüße,
                Gnlwth
                Hallo Gnlwth,

                nachdem ich meine Emotionen nach dem heutigen und wohl historischen
                Spiel in den Griff bekommen habe, möchte ich Dir antworten.

                Zunächst meine Hochachtung an dein Wissen. Ich bin immer wieder beeindruckt!

                Ganz sicher hast du auch recht, wenn die Rechte der Frauen sich erst in der Verfassung der dritten Republik änderten.

                Der Code Civil ist aber keine Verfassung. Er regelt die Verhältnisse der Menschen zueinander ähnlich unserem BGB.

                Und auf diesen hat N. Einfluss genommen:
                So erkennt Presser N. Einflussnahme in Hinsicht eines § zur Scheidung an, verweist aber auf die dynastischen Interessen N. Er verweist aber auch darauf das N. "hinsichtlich der Frau an anderer Stelle die rigorosesten Bestimmungen trifft."
                (Jacques Presser, N. ...., Reinbek, 1979, Seite 268-269)

                Fournier schreibt: "das auf seinen Einfluß hin namentlich die Einschränkung der ehelichen Scheidungsgründe zu Ungunsten der Gattin erfolgte".
                (August Fournier: Napoleon I., Essen, o.J. Bd.1 Seite 286)

                Fournier: "Zeugen wissen von seinen scharfsinnigen Bemerkungen und klaren Ansichten zu reden, unter die sich freilich auch manchmal eine recht unjuristische Auffassung mischte. Da aber die beiden Kammern einzelne Titel verwarfen, kam der Code Civil erst nach Veränderungen in deren Zusammensetzung im Jahre 1804 zustande."
                (ebenda)
                Gut formuliert!

                Aber nicht nur der Code Civil war im Ergebnis reaktionär.

                Über den Code Pénal schreibt Presser: "Dieses Strafgesetzbuch ist erst 1810 fertig geworden, in der Zeit der großen Gegenströmung zum ancien régime hin. Es trägt daher sein Kennzeichen, und sei es nur in Gestalt der grausamen Strafen, die es androht: für den Vatermörder die öffentliche Enthauptung mit Zurschaustellung auf dem Schafott, barfuß, im Hemd, den Kopf mit einem schwarzen Schleier bedeckt und die rechte Hand abgeschnitten, weiterhin die Zwangsarbeit in ihrer barbarischsten Form, das Brandmal und dergleichen."
                (Presser, Seite 271)

                Für mich eher Mittelalter als Ergebnis der Französischen Revolution.

                Talleyrand war ein Kind des ancien régime, er war gemäßigt revolutionär, ein Mehr kann man von ihm nicht erwarten.

                Grüße
                excideuil

                Kommentar

                • gnlwth
                  Erfahrener Benutzer
                  Tambour-Major
                  • 09.10.2006
                  • 324

                  #9
                  Hallo excideul,

                  Zunächst meine Hochachtung an dein Wissen. Ich bin immer wieder beeindruckt!
                  Danke - das Kompliment gebe ich gerne zurück!

                  Talleyrand war ein Kind des ancien régime, er war gemäßigt revolutionär, ein Mehr kann man von ihm nicht erwarten.
                  Das passt zwar jetzt nicht unmittelbar zum Thema, ich möchte mich aber dazu trotzdem äußern: Ich bin da ehrlich gesagt hin und her gerissen. Zum einen denke ich genauso, ja, er war ein Kind seiner Zeit und vielleicht konnte er gar nicht anders - ein derart radikaler Vorschlag, wie Frauen die gleiche Bildung zugänglich zu machen wie Männern, lag ihm vielleicht nicht wegen des Diskussionsgegenstandes an sich so fern, sondern deshalb, weil diese Idee so radikal war, und er grundsätzlich so gemäßigt.
                  Andererseits glaube ich, dass dieses "Frauen sind für den Haushalt bestimmt" eigentlich seiner tatsächlichen Meinung widersprach und deshalb einfach politisches Kalkül war: gleiche Schulbildung für alle hätte er vielleicht nicht durchgekriegt; wenn er wollte, dass sein Gesetzesentwurf eine Chance hatte, angenommen zu werden, dann durfte er keine so wahnwitzigen Ideen beinhalten, wie Bildung für Frauen.
                  Ich glaube es deutet tatsächlich einiges darauf hin, dass es seiner tatsächlichen Meinung widersprach:

                  *die Frauen, in die er sich verliebte, oder mit denen er ein Verhältnis hatte, waren meistens nicht gerade dumm und ungebildet, ganz im Gegenteil. An Germaine de Staël schrieb er aus dem englischen Exil, er vermisse sie, denn sie sei der einzige Mensch gewesen, mit dem man sich hier vernünftig habe unterhalten können. Und über Dorothée de Dino sagte er, sie sei der intelligenteste Mensch gewesen - Mann oder Frau - den er je getroffen habe. Sie sei der einzige Mensch, dem er voll und ganz vertraue, und mit dem er über alles rede - und deren Meinung und Urteil er hoch achtete. Er wusste um die Fähigkeiten von Frauen, und er schätzte sie.

                  *als Fürst von Benevent führte er die Schulpficht für Jungen und Mädchen ein - das hätte er nicht tun müssen, aber es schien ihm wichtig, dass auch Mädchen zur Schule gingen.

                  *und nicht zuletzt zeigen seine berühmten Aussprüche, "il faut faire marcher les femmes" und "les femmes, c' est la politique", dass er durchaus glaubte, dass Frauen etwas von Politik verstanden und auch bewegen konnten (obwohl "il faut faire marcher les femmes" natürlich auch ein ganz schöner Macho-Spruch ist - er ist es, der die Frauen in Bewegung setzt und dirigiert, sie selbst führen ja nur aus, was sich der Meister Schlaues ausgedacht hat).

                  Wie auch immer, deshalb glaube ich, dass er da 1791 eine Chance verpasst hat. Da hätte er vielleicht tatsächlich ein bisschen radikaler sein müssen und tun, was er wirklich dachte (vorausgesetzt, er dachte es wirklich) - sonst hat er sich ja auch nicht unbedingt an Konventionen gehalten. Und wann, wenn nicht 1791, hätte er (oder irgend jemand) die Möglichkeit gehabt, die Gesellschaftsordnung so radikal umzukrempeln? Vielleicht wäre es gegangen, und vielleicht hätte er es versuchen sollen - denn dass er wirklich glaubte, Frauen seinen quasi vom Schicksal für ein Leben im Haus bestimmt (destinées!), das glaube ich nicht. Es war zwar eine Tatsache, dass Frauen auf der politischen Bühne höchstens indirekte Macht ausüben konnten, aber ihm muss klar gewesen sein, dass das nicht an der schicksalsgegebenen Dummheit der Frauen lag, sondern an der Gesellschaft.


                  Das gehört zu den Dingen, die ich ihn gerne mal fragen würde, wenn ich ihn mit einer Zeitmaschine besuchen könnte: Was er sich dabei eigentlich wirklich gedacht hat. Ob ich eine ehrliche Antwort bekäme? Man weiß es nicht...

                  Viele Grüße,
                  Gnlwth
                  Talleyrand - der Mensch und die Persönlichkeit

                  Kommentar

                  • excideuil
                    Erfahrener Benutzer
                    Sergent-Major
                    • 24.09.2009
                    • 207

                    #10
                    @gnlwth

                    Was das Kompliment angeht, bin ich der Meinung, dass du ganz sicher viel mehr zu Talleyrand weißt, bestimmt mehr als ich je zusammenbrächte! Das muss ich mal loswerden!

                    Was Talleyrand zum Thema Bildung in der Revolution vorgetragen hat, war für lange Zeit bestimmend, das läßt sich kaum bestreiten auch wenn immer versucht wird, diese Ideen N. ans Revers zu pappen.
                    Dass er die Bedeutung der Bildung richtig einzuschätzen vermochte, zeigte sich auf dem Wiener Kongress als er beim "Seelenschacher" versuchte, die gebildeten "Seelen" als höherwertig darzustellen. Freilich setzte er sich nicht durch, waren neben ihm nur Diplomaten der Feudalstaaten am Werk. Selbst Castlereagh war da nicht auf Augenhöhe.

                    Ich denke, Talleyrand war nicht ohne Grund ein Ausnahmediplomat. Gerade, weil er vielschichtig gebildet, unheimlich viel von Wirtschaft, von Bildung und von den Zusammenhängen der Gesellschaft verstand, konnte er die Ratschläge geben, die Entscheidungen treffen, die noch heute staunend machen.

                    Dennoch, Talleyrand war ein Kind des ancien régime. Schau dir mal den Part seiner Memoiren, wo er über seine Oma (eigentlich Uroma) die Fürstin von Chalais berichtet. Mal ganz davon abgesehen, dass es die schönste Zeit seiner Kindheit war! Ich denke, er hat dort etwas gelernt, was ihn prägt: Verantwortung des Fürsten für sein Volk.

                    Talleyrand hat Benevent nie besucht, ließ sein Fürstentum durch einen Stellvertreter regieren. Seine Maßnahmen aus der Ferne, dass militärische Überfälle aufhörten oder seine Untertanen vor Aushebungen gesichert waren, machen deutlich, dass Carlo Maurizio seiner Verantwortung gerecht werden wollte.

                    Betrachten wir Talleyrand in seinem Wirken, war er bis zu seiner "Flucht" nach England unstittig progressiv. Viele Ideen (Bildung, Maße, Bank von Frankreich ...) sind auf ihn zurückzuführen. Nach seiner Rückkehr aus Amerika ist es aus mit Revolution. Das lag nicht an den Amerikanern. Nein, die Revolution war beendet, und wer am kommenden System partizieren wollte, musste präsent sein ... und wir erleben aus seiner Feder Werke, die auf ein starkes Frankreich gerichtet sind ... Alles andere tritt in den Hintergrund.

                    Wir erleben in der Folge die Ernennung zum Außenminister ... sein wohl perfekt pragmatisch organisiertes Ministerium ... Monsieur de Talleyrand hatte sich eingerichtet.

                    Ich denke mal, ab seiner Ernennung zum Außenminister waren Ideen wie Bildung für Frauen tabu. Wer an der Macht ist, wird wohl oder übel ein wenig mehr konservativ sein, als es seine Überzeugung ist. Das trifft sicher im besonderen auf Talleyrand zu, was mein Beispiel zum Wiener Kongress unterstreicht. Möglicherweise hat er die Bildung der Frauen als notwendig erkannt, ich weiß es nicht, verfochten hat er sie nicht.

                    Frauen sollten im Leben eines jeden Mannes eine große Rolle spielen. Das relativiert! Talleyrand hat das begriffen, genutzt und genossen. Nicht zuletzt in dem Sinne, dass Männer Frauen schlecht etwas abschlagen können, sei es noch so unrational. Und so muss es nicht wundern, dass Talleyrand Frauen für seine Zwecke einsetzte. Und so wird "il faut faire marcher les femmes" verständlicher.

                    Und wenn wir so schön off topic diskutieren noch eine Frage: Macht die neue Biografie zu Dorothea von Günter Erbe Sinn? Bisher ließen mich 32,90 € zweifeln.

                    Aber lass dir ruhig Zeit, ich melde mich erst einmal an die Nordsee ab. Urlaub! Juchuu!

                    ganz liebe Grüße nach München
                    excideuil

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                    • gnlwth
                      Erfahrener Benutzer
                      Tambour-Major
                      • 09.10.2006
                      • 324

                      #11
                      Hallo, guten Abend,

                      so, nach zweieinhalb Wochen Herumreisen in der Mongolei (wo es größtenteils noch nicht einmal Straßen und nur selten Brücken gibt, geschweige denn Internet) bin ich auch wieder da und online - und kann Dir (wenn auch nur kurz) antworten:

                      Macht die neue Biografie zu Dorothea von Günter Erbe Sinn? Bisher ließen mich 32,90 € zweifeln.
                      Ich fand sie ganz gut. Dorothée wird einem dadurch wirklich keineswegs sympathischer und Talleyrand spielt auch eine eher untergeordnete Rolle in dem Buch (schließlich lebte sie recht lang, und er war für sie zwar wichtig, aber eben "nur" 20 Jahre ihres 69jährigen Lebens lang). Trotzdem habe ich eine Menge gelernt. Oder wusstest Du, dass Boson de Talleyrand, ihr Enkel, das Vorbild für den Herzog von Guermantes und den Baron von Charlus in "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" war? Anscheinend kommt er sogar unverschlüsselt vor (ich habe nur "Eine Liebe von Swann" gelesen, und da taucht er nicht namentlich auf, wenn ich mich recht erinnere). Auf jeden Fall scheint er Proust ziemlich beeindruckt zu haben. Egal, jedenfalls fand ich das Buch gut, auch, weil es einen recht guten Einblick in die Zeit um 1848 gibt (auch wenn Dorothées erzkonservative Einstellung zur Revolution von 1848 (und zu eigentlich allem anderen auch) geradezu unerträglich ist).


                      Schöne Grüße,
                      Gnlwth

                      P.S.:
                      Schau dir mal den Part seiner Memoiren, wo er über seine Oma (eigentlich Uroma) die Fürstin von Chalais berichtet.
                      Diesen Teil finde ich einen der schönsten Abschnitte in seinen Memoiren (auch weil er mehr oder weniger der einzige ist, in dem mal Gefühle durchschimmern) - als ich in Chalais war (vor drei Jahren), habe ich eine Kopie der Kapitels mitgenommen und dort noch einmal gelesen - das war ganz toll, wenn man das dort liest. Wenn Du noch nie in Chalais warst, solltest Du mal hinfahren - auch ohne Oma versteht man den Zauber, den dieser Ort auf Talleyrand ausgeübt hat. Leider ist das Schloss eine in sich zusammenfallende Bruchbude, und wenn nicht bald irgendwas passiert, ist bald wirklich alles kaputt. Ins Obergeschoss darf man schon gar nicht mehr, wegen der Einsturzgefahr. Sehr schade! Also, schnell nochmal hin!
                      Talleyrand - der Mensch und die Persönlichkeit

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                      • excideuil
                        Erfahrener Benutzer
                        Sergent-Major
                        • 24.09.2009
                        • 207

                        #12
                        @gnlwth,

                        vielen Dank für Deine Antwort, auch wenn ich immer noch nicht ganz sicher bin, ob ich mir das Buch gönnen werde. Und das liegt nicht an Proust, den ich damals fuchtbar schwer zu lesen fand ...

                        Dass Dorothea recht konservativ war, kann nicht überraschen. Als geborene Prinzessin von Kurland kam sie in Talleyrands restaurativer Phase nach Paris. Talleyrands Biograf Jules Bertaut nannte sein Handeln in Erfurt "den patriotischen Verrat", was aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass sein Handeln ein starkes Frankreich in einem gleichgewichtigen Europa zum Ziel hatte, in dem Altadlige wie Charles Maurice eine gewichtige Rolle spielen sollten, die Ideen der Revolution zwar nicht negiert aber maßvoll gedeckelt werden sollten. So ist auch sein Wirken im Namen der "Legitimität" auf dem Wiener Kongress zu verstehen. Es ist wohl so, man kann von einem Aristokraten nicht erwarten, dass er wie ein Arbeiter denkt und handelt.

                        In der Tat, der Abschnitt von Chalais ist einer der wenigen emotionalen Stellen in seinen Memoiren. Aus der Sicht des Anfang der Sechzig stehendes Schreibers, der politisch und finanziell alles erreicht hatte, muss die Erinnerung an diese beste Zeit seiner Jungend einmal mehr die Bitterkeit ins Antlitz geschrieben haben, angesichts der Dinge, die ihm verwehrt blieben: Die Rechte des Erstgeborenen und damit verbunden eine eigene Familie mit offiziellen Kindern ... Gerade ihm! Und so beschreibt er die Fürstin von Chalais als quasi souverän regierende Fürstin. Ihm blieb nur sein berühmtes Lever und sein öffentlicher Tod ...

                        Nun, ich bin nicht so sehr der Reisende in Sachen Geschichte. Ich nehme sicher mit, was sich im Urlaub bietet. So habe ich kürzlich an der Nordsee im Dithmarscher Landesmuseum in Meldorf (übrigens eine mit sehr viel Liebe zum Detail gestaltete Ausstellung) vom Korsen ein paar Karikaturen gesehen, aber ich habe es noch nicht einmal nach Sagan geschafft, was nicht einmal 100 km von hier liegt ...
                        Ich finde das auch völlig in Ordnung, meine Zeit ist begrenzt, die Geschichte nur eine von vielen Interessen und meine Familie fordert zurecht ihr Recht.

                        liebe Grüße
                        excideuil

                        P.S.
                        Fast vergessen! Das Portrait, welches du als derzeit als Avatar führst, ist wohl nach 1818 entstanden obwohl es jünger wirkt als die von Prodhun und Gerard, da wohl um seinen Hals das goldene Vlies gebunden ist?
                        Zuletzt geändert von excideuil; 26.07.2010, 20:17.

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                        • gnlwth
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                          Tambour-Major
                          • 09.10.2006
                          • 324

                          #13
                          Hallo excideuil,

                          zunächst einmal Entschuldigung für die späte Antwort - aber das liegt hauptsächlich daran, dass ich genau genommen keine habe -

                          Fast vergessen! Das Portrait, welches du als derzeit als Avatar führst, ist wohl nach 1818 entstanden obwohl es jünger wirkt als die von Prodhun und Gerard, da wohl um seinen Hals das goldene Vlies gebunden ist?
                          Keine Ahnung. Keine Ahnung, wer das gemalt hat, wann, weshalb und wo... ich habe versucht, es heraus zu finden, aber bislang ist es mir nicht gelungen. Aber ich bleibe dran!

                          Schöne Grüße,
                          Gnlwth
                          Talleyrand - der Mensch und die Persönlichkeit

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                          • gnlwth
                            Erfahrener Benutzer
                            Tambour-Major
                            • 09.10.2006
                            • 324

                            #14
                            Hallo excideul,

                            also, das Raetsel, von wem das Bild ist, hat sich wohl geloest. Am letzten Wochenende war ja die Vollversammlung des Vereins "Les Amis de Talleyrand" in Valencay - ich konnte leider nicht dabei sein, aber ein Bekannter aus dem Verein, mit dem ich in regelmaessigem email-Kontakt stehe, hat fuer mich dort rumgefragt. Wo sich die Miniatur befindet, wusste man nicht, wohl aber, wer sie gemalt hat: Ein anscheinend nicht sehr bekannter Miniaturmaler namens Louis Marie Sicard (auch Sicardy oder Sicardi genannt), der von 1746 bis 1825 lebte (der Arme hat noch nicht einmal einen Wikipedia-Eintrag) - wann das Bild genau gemalt wurde, weiss ich nicht, aber offensichtlich zumindest noch zu Talleyrands Lebzeiten. Zum ersten Mal abgebildet wurde das Portrait anscheinend in einer Spezialausgabe des Magazins "Figaro" von 2008, "Bonaparte in Egypten". Die habe ich nicht, also kann ich auch nicht nachsehen, aber vielleicht findet sich in diesem Heft noch mehr Information.

                            Schoenen Gruss,
                            Gnlwth
                            Talleyrand - der Mensch und die Persönlichkeit

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                            • Sans-Gêne
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                              Fourrier
                              • 06.10.2010
                              • 93

                              #15
                              Auweia!

                              Aber nicht nur der Code Civil war im Ergebnis reaktionär.
                              Da hat jemand in einer Zeit, in der so "fortschrittliche" Gesetze wie das preußische Landrecht üblich waren an einem Gesetzeswerk mitgearbeitet, dass wegweisend auch für das heutige BGB war und diesem zur Rechtsanwendung verholfen und wird aus heutiger Sicht zum "Reaktionär" gestempelt, weil er die Frauenfrage nicht erkannte und löste.

                              Es mag zwar sehr modern sein, geschichtliche Aspekte aus ihrem zeitlichen (rechts)geschichtlichen Kontext zu lösen und aus heutiger Sich zu bewerten. Im Endeffekt entfernt man sich aber durch diese Herauslösung aus dem Kontext von der (damaligen) Realität.

                              Realität ist aber, dass Napoleon (selbstverständlich) den Code Civil niemals allein auf den Weg bringen konnte.
                              Die Entwicklung des Allgemeinen preußischen Landrechtes (ALR) dauerte gar von der Initiative durch Friedrich I. über die Ära Friedrich II. bis zum 01. Juni 1794, als es in Kraft trat. Und natürlich muss man auch in die Archive gehen, um zu erfahren, dass es ohne das redliche Zutun der Großkanzler Samuel von Cocceji (was für ein wunderbarer Nachweis jüdischen Lebens in Preußen) und Johann Heinrich von Cramer sowie Carl Gottlieb Svarez und Ernst Ferdinand Klein nicht ging.
                              Aber würde man deshalb diesen Umstand instrumentalisieren, um etwa das Ansehen Friedrichs II. als Staatsmann und Förderer eines preußischen Liberalismus als "reaktionär" zu schmähen, wie dies hier im Falle Napoleons I. im Zusammenhang mit dem Code Civil und der damals fast beispiellosen gesetzmäßigen Etablierung von Menschen - und Bürgerrechten durchschaubar geschieht?

                              Auch in Preußen wurden unter dem Eindruck der französischen Revolution, deren Gewaltherrschaft und Terror zeitweise schlimmere Auswüchse annahm, als das französische Strafrecht (code pénal) je bestimmte, freiheitliche und vernunftrechtliche Bestimmungen aus dem ALR entfernt, wie etwa die allgemeine Wohlfahrt als Staatszweck, welche vorher galten, weshalb das ALR erst 1794 in Kraft trat.
                              Das ist der Vergleich, den man ziehen muss, um sich eine Bild über die Progressivität eines Code Civil zu machen, der am 21. März 1804 eingeführt wurde.
                              Und schließlich war dieser so progressiv, dass er nach 1815 als "Rheinisches Landrecht" weiterhin in Kraft war und zwar bis zur Ablösung durch das BGB im Jahre 1900.
                              Zuletzt geändert von Sans-Gêne; 26.10.2010, 17:03.

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