Taktik und Realität

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  • corporal
    Erfahrener Benutzer
    Tambour-Major
    • 25.04.2007
    • 306

    Taktik und Realität

    Jetzt beschäftige ich mich schon einige Jährchen mit der Taktik in napoleonischen Gefechten und bin immer auf der Suche nach deren realen Umsetzung.
    Und trotzdem: bei einem kleinen Wargame - und wohl auch unter dem Eindruck des derzeit von mir gelesenen (sehr empfehlenswerten) Buches von Griffith "Rally once again" (zwar über den ACW, aber mit vielen Bezügen zur nap. Zeit) - ist mir zuletzt bewusst geworden, wie wenig ich mir aktuell dazu vorstellen kann.
    Etwa ein ganz ordinärer Infanterieangriff in Linie: rücken vor, bleiben in ca 80m vor der feindlichen Linie stehen, Feuergefecht, weichen zurück ... ja, und wie weiter?
    Man liest oft von "mehreren Angriffen", vom "mehrfachen Besitzwechsel einer Position, zB eines Dorfes" - aber wie kann man sich das im Detail vorstellen?
    Liefen die Kerls (un)geordnet zurück, wurden gesammelt, gingen wieder vor? Wurde gleichsam zur Erholung Rückmarsch befohlen und dann neuerlich vor?
    Wo finde ich dazu weiterführende Literatur?
  • admin
    Administrator
    Colonel
    • 30.09.2006
    • 2687

    #2
    Ganz spannendes Thema - ich hatte mich ja mal mit dem "psychologischen" Empfinden der Teilnehmer bei Borodino beschäftigt (siehe http://www.napoleon-online.de/Borodino.pdf) ... aber als erste Lektüre ist auf jeden Fall das Buch von Rory Muir über Tactics and the Experience of Battle in the Age of Napoleon (bei Amazon als TB unter http://www.amazon.de/Tactics-Experie...1968482&sr=8-2 ) zu empfehlen.

    Sehr anschaulich geschrieben mit sehr vielen Beispielen ... ansonsten Memoiren, Memoiren und, ach ja, Memoiren ...

    Schöne Grüße nach Ösi-Land - wir freuen uns ja schon alle auf den 16.6., ist ja fast Waterloo-Tag

    Markus Stein
    "Wenn wir geboren werden, weinen wir, weil wir diese große Narrenbühne betreten" (King Lear) ... jedem also sein ganz persönliches (Hof-) Narrenleben

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    • Sans-Souci
      Erfahrener Benutzer
      Major
      • 01.10.2006
      • 1841

      #3
      Ein frühes Beispiel für einen Versuch, den Ablauf eines Gefechtes psychologisch zu erklären, findet sich bei Quistorp, die relevanten Auszüge hier:

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      • corporal
        Erfahrener Benutzer
        Tambour-Major
        • 25.04.2007
        • 306

        #4
        Vielen Dank für die bisherigen Hinweise.

        Den Muir habe ich - aber offenbar nicht aufmerksam genug gelesen. Werde ich mir als nächstes nochmals vornehmen.

        Keegan ist zwar eines der informativsten Bücher in diesem Themenbereich, er beschäftigt sich aber nach meiner Erinnerung weniger mit der Realität taktischer Anwendungen, sondern - nicht minder interessant - mit dem Empfinden der Soldaten im Gefecht.

        Zum 16. 6. fallen mir nur Quatre-Bras und Ligny ein - könnte das daran liegen, dass ich mich für Fussball nur so weit interessiere, als ich es als Vater eines in diesem Sinne begeisterten Buben tun muss?
        Sollte die Anspielung unseres geschätzten Herrn Administrators also in diese Richtung gehen, fällt mir - historisch ausgerichtet, wie ich nunmal bin - auch nur Cordoba ein. Gebe allerdings zu, dass dies fast schon einem Vergleich der k.(u.)k. Armeen mit dem heutigen öBH gleichkommt ...
        Nein, letzteres ist sicher besser als Hicke und seine starken Männer von Flanke (köstliche Serie im österr. Rundfunk zur Veralberung unserer Fussballer - die einem solches allerdings auch nicht gerade schwer machen).

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        • admin
          Administrator
          Colonel
          • 30.09.2006
          • 2687

          #5
          Hallo verehrter Corporal,

          ich habe für die Recherchen zum Borodino-Vortrag sehr viel vom Holzhausen "Die Deutschen in Russland" profitiert, es lohnt sich, hier in die Tiefe zu gehen ... sicher auch lohnenswert der Roth von Schreckenstein (habe ich vor kurzem erworben, daher noch nicht in der Tiefe betrachtet).

          Grundsätzlich glaube ich, dass im Rahmen eines Angriffs ab einem gewissen Moment die Menschen, als einzelne, einem starken Überlebenstrieb nachgehende Individuen, nicht mehr "zu führen" waren. Wahrscheinlich lässt sich eine Schlacht mit nichts anderem als der "Chaostheorie" erklären und es entschied letztlich ein Momentum, das sicher auf ein Gefühl Einzelner (Leittiere bzw. Alpha-Tiere?) zurück geht, und das letztlich entschied, ob sich ein Angreifer durchsetzte oder eben abgewehrt wurde.

          Die Fragen sind ja:
          - ab wann weiche ich als Verteidiger?
          - wie viele gefallener/verwundeter Kameraden ertrage ich, bis ich mich zurückziehe
          - kann ich unter der immensen Adrenalinkonzentration (und das können wir uns alle wohl nicht vorstellen, außer wir waren schon "bewusst" in einer lebensbedrohlichen Situation - was ich natürlich Keinem wünsche) überhaupt noch rational denken?

          Sicher spricht beim letzten Punkt einiges dafür, dass man auf Automatismen zurückgreife ... also ggf. auch auf das Erlernte; soll heißen, ist der Rekrut nur ausgiebig genug gedrillt, wird der "Organismus" eher auf das hier Verinnerlichte zurückgreifen als der "Frischling" in der Schlacht.

          Interessant wären in diesem Zusammenhang also auch psychologische Studien des Menschen in solch einer Extremsituation ... etwas, das mich immer interessiert hat und das ich noch in der Tiefe erforschen möchte (nur die Zeit fehlt) ... denn Psychologie ist eine der Grundlagen der Geschichte, weil Geschichte von Menschen gestaltet wird, und Menschen erkläre ich mir eben aus der Psychologie heraus.

          Off-Topic an: na da hoffe ich, dass Du, werter Corporal, psychologisch so weit geschult bist, um Deinen Bub am 16.6. gut trösten zu können ... nix für ungut, aber ungefähr nach 60' werden Eure Jungs einfach nicht mehr können ... und Du weißt, der gemeine Deutsche ist zäh und ausdauernd
          Und zu Cordoba fällt mir nur eine schöne maurische Sehenswürdigkeit ein ... hab' ich da was verpasst?

          Schöne Grüße aus dem Land des zukünftigen Europameisters
          Markus Stein
          "Wenn wir geboren werden, weinen wir, weil wir diese große Narrenbühne betreten" (King Lear) ... jedem also sein ganz persönliches (Hof-) Narrenleben

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          • HKDW
            Erfahrener Benutzer
            Colonel
            • 02.10.2006
            • 2962

            #6
            Das hat doch eigentlich Clausewitz schon schön beschrieben, es geht um das Todschalgen des Mutes - dass Angriffe oft steckenblieben und damit sich erst recht Verlusten ausliefert erklärt sich eben auch durch die Fluchtdistanz des Menschen.

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            • corporal
              Erfahrener Benutzer
              Tambour-Major
              • 25.04.2007
              • 306

              #7
              Der Muir wird mein nächstes "Vollbuch" (= vollständig zu lesen). Ich habe ihn mit dem - auch recht interessanten Nosworthy durcheinandergemischt.

              Und die "Psychologie der Schlachten" halte ich überhaupt für eines der faszinierendsten Themen - na ja, einige Lebenszeit haben wir ja noch alle miteinander ...

              Off-topic kann ich nicht widerstehen, die geradzu sprichwörtliche Bescheidenheit unseres großen Bruders bewundern.
              60 Minuten - da muss aber in der Pause sehr viel Kaffee gereicht werden!
              Indes: nur wer derart in sich ruht, kann sich fortwährend der Blamage aussetzen. Wir sind eben Phäaken, also Griechen, somit olympisch beseelt: dabei sein ist alles, und wenn wir es zwecks Erreichung dieses Minimalzieles selbst veranstalten.

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              • admin
                Administrator
                Colonel
                • 30.09.2006
                • 2687

                #8
                Bin gespannt, wie Du den Muir findest ... das Verhalten und Empfinden in der Schlacht ist wirklich ein sehr interessantes Thema, das ich auch mal vertiefen möchte ... erste Ansätze hatte ich ja mit der Schlacht von Borodino (die ja bzgl. "Höllenfeuer" kaum zu überbieten war während der Napoleonischen Kriege) schon bearbeitet.

                Leider liefert die große Psychologie-Datenbank Psyndex auf den ersten sehr schnellen Blick nicht viel mit Gehalt ... ich kann mir aber nicht vorstellen, dass es darüber in dieser Wissenschaft keine interessanten Abhandlungen gibt. Wobei ich zuhause noch ein Buch habe, das versucht, den "Heldenstatus" der Deutschen Soldaten in WK 1 und 2 zu untersuchen - ist im Fachverlag für Historiker erschienen und könnte vielleicht etwas zu dieser Thematik hier beitragen ... muss ich heute Abend mal schauen.

                Wenn Du, verehrter Corporal, interessante Texte zusammen gestellt hat, bitte nur her damit, die würde ich dann gerne auch auf der Homepage bringen.

                @HKDW: kannst Du den Clausewitz-Text hier reinstellen oder einen Hinweis geben, in welchem seiner Werke er sich darauf bezieht (ich such's dann raus)?

                Off-Topic: höflich wie Ihr Ösis, und v.a. Ihr Wiener seid, wollt ihr "Euren bescheidenen Bruder" in Sicherheit wiegen und hofft dann auf einen Überraschungseffekt - allein es fehlt ja der Glaube (wolltet Ihr nicht sogar die Nationalmannschaft abmelden?) ... aber vielleicht klappt's ja, wenn Ihr "unsere Jungs" nur fleißig mit Euren leckeren, aber für die sportliche Betätigung eher hinderlichen Mehlspeisen füttert; mit solch einem Handicap könnte ja sogar etwas wie Spannung am 16.6. aufkommen
                Aber selbst Eure Literaten werfen schon Nebelkerzen, um vom kommenden Fiasko abzulenken ... hier http://www.zeit.de/themen/leben/spor...8/briefwechsel ein köstlicher, wöchentlicher Briefwechsel der Literaten Eva Menasse (für Ösiland) und Harald Martenstein (Euer "großer Bruder")

                Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt ... in diesem Sinne schöne Grüße nach Ösiland (hey, und die Schweizer wollen wir hier nicht vergessen, gell Wufi und Voltigeur?)
                Markus Stein
                "Wenn wir geboren werden, weinen wir, weil wir diese große Narrenbühne betreten" (King Lear) ... jedem also sein ganz persönliches (Hof-) Narrenleben

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                • joerg.scheibe
                  Erfahrener Benutzer
                  Capitaine
                  • 02.10.2006
                  • 592

                  #9
                  Nicht gänzlich von der Hand zu weisen

                  sind m.E. einzelne Gedanken, die sich weiland L.Tolstoi zu diesen Themen gemacht hat, wenngleich sie -hier ist die Parallele zu einem anderen Topic- sein Buch nicht gerade zum Reißer machen.
                  Man muß die Stellen in den gefühlten 2000 Seiten nur finden.....

                  Gruß
                  Jörg
                  The light at the end of the tunnel
                  is from an oncoming train.

                  Kommentar

                  • HKDW
                    Erfahrener Benutzer
                    Colonel
                    • 02.10.2006
                    • 2962

                    #10
                    Muir fand ich nicht so gut, Nosworthy auch nicht, da sind doch die Bücher von Jany - Gefechtslehre viel interessanter.

                    Kommentar

                    • HKDW
                      Erfahrener Benutzer
                      Colonel
                      • 02.10.2006
                      • 2962

                      #11
                      Übrigens alles schön im Circulaire 1 / 1996 nachzulesen

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                      • brumbaer
                        Neuer Benutzer
                        Soldat
                        • 16.01.2008
                        • 14

                        #12
                        Der Empfehlung des Muir, schliesse ich mich gerne an.
                        Was ihn auszeichnet und zum guten "Einstiegspunkt" macht ist der gut lesbare Stil, sein Einbeziehen des psychologischen Aspekts, dass er sich vielen Aspekten der Schlacht widmet und natürlich die vielen Zitate.

                        Der Nosworthy gibt auch einen guten Überblick.
                        Die Reglements fand ich informativ, aber es ist eigentlich mehr als viele wissen wollen.
                        Die Osprey über Taktik brachten nichts Neues, Haythornwaithe (Kavallerie und Infanterie) habe ich gelesen, aber ich kann mich nicht mehr so recht daran erinnern, was darauf hinweist, dass ich sie nicht als herausragend empfand.

                        Und zu guter letzt mein "Liebling":
                        Die Schriften von Carl Decker liegen mir vom Stil her (kurz, knapp) sehr und ich finde sie als Abhandlung über Taktik sehr empfehlenswert.
                        Die psychologische Seite (wie in der Ausgangsfrage angesprochen) erkennt er an und und bezieht sie ein, aber auf eine sachliche Art und Weise und nicht auf persönlicher Ebene wie Muir es tut.

                        Ob man einem Autor glaubt oder nicht sei jedem selbst überlassen, denn egal welche Quelle bzw. welche Analyse man heranzieht ob sie richtig oder falsch ist, werden wir heute nicht mehr entscheiden können. Selbst wenn mehrere Quelle auf das gleiche zeigen oder mehrere Analysten zu dem gleichen Schluss kommen heisst es weder dass der Sachverhalt wahr ist, noch dass die Schlussfolgerung richtig ist. Dazu sind Berichte zu gefärbt und die Autoren schreiben zu viel voneinander ab bzw. übernehmen vorherrschende Meinungen.
                        Man kann eigentlich nur so viel lesen wie möglich, bis man findet, was den eigenen Vorstellungen entspricht bzw. sich die Analysen und Interpretationen zu eigen machen, die einem logisch und verständlich erscheinen.

                        mfg
                        SH

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                        • Colet
                          Benutzer
                          Fourrier
                          • 27.08.2008
                          • 95

                          #13
                          Da hier schon an anderer Stelle auf Quellen über den amerikanischen Bürgerkrieg hingewiesen wurde, kann ich als alte Bürgerkriegologin unbedingt empfehlen: Richard Wheeler, Voices of the Civil War. Er zeichnet den Verlauf des Krieges ausschließlich in Primärquellen nach, die durch alle Ränge gehen und auch Zivilisten einbeziehen, und das gibt einen sehr lebendigen Eindruck der Schlachtverläufe bzw. der psychischen Zustände (Quellen sind Briefe und Tagebuchaufzeichnungen).
                          Auf der literarischen Seite für alle, die nicht in 2000 Seiten Tolstoi wühlen wollen: Lew Tolstoi, Der Überfall (gibt es als Hörbuch) - worin er die Eindrücke seiner eigenen Kriegerfahrungen in einer Erzählung verarbeitet hat.
                          Colet

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