Guten Abend,
nachdem im Thread Wunschschauspieler geäußert wurde, Talleyrand sei ein Wendehals, und ich angekündigt hatte, mich zu diesem Thema noch zu äußern, das aber eigentlich nicht in besagten Thread gehört, meine "Stellungnahme" also jetzt hier, und zwar in zwei Teilen, denn der Text ist zu lang für das Forum:
Warum Talleyrand kein Wendehals war
Meiner Begründung zuvorschicken möchte ich, dass ich keineswegs leugnen will, dass Talleyrand korrupt war, und sehr viel Vergnügen an Macht und Geld fand. Ebenso wenig will ich abstreiten, dass bei den meisten seiner Entscheidungen, die Fahne zu wechseln, neben ganz rationalen (und meiner Meinung nach mehr als vernünftigen) Überlegungen ganz persönliche Beweggründe eine Rolle spielten – aber bei wem tun sie das nicht? Und ich finde, dass diese persönlichen Motive nicht nur sehr gut nachvollziehbar, sondern auch durchaus legitim sind, was ich im Folgenden darlegen möchte. Gehen wir doch einmal die einzelnen Wendepunkte durch, die ihm gewöhnlich so vorgeworfen werden:
1.) Karriere in der Kirche
Als Talleyrand 15 Jahre alt war, enterbte ihn sein Vater und übertrug alle Titel und Rechte auf seinen jüngeren Bruder Archambaud. Gegen die Entscheidung seiner Eltern, ihn Priester werden zu lassen, kam er nicht an – man kann allerdings nicht sagen, dass er sich nicht gewehrt hätte. Immerhin widersetzte er sich ein geschlagenes Jahr, ins Priesterseminar zu gehen. Aber was konnte ein Fünfzehnjähriger 1769 gegen seine Eltern (und seinen sehr mächtigen Onkel) ausrichten? Niemand stand ihm bei, niemand half ihm. Hätte er wirklich sagen können, „Mama, Papa – Onkel - Ihr könnt mich alle mal!“? Ich glaube nicht. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als sich schließlich ihrer Entscheidung zu beugen.
Warum hat er sich dann später tatsächlich zum Priester weihen lassen? Da war er doch schon 25, da hätte er sich doch wehren können! Fouché ist doch auch vorher ausgestiegen, heißt es immer, es wäre also schon gegangen, auch gegen den Willen der Familie. Ja, aber Fouché war nicht behindert. Was hätte Talleyrand denn tun sollen? Enterbt, behindert und dann noch von seiner Familie verstoßen (was natürlich passiert wäre, wenn er sich nicht hätte weihen lassen) – keine gute Voraussetzung für ein glückliches Leben (und eine steile Karriere).
Und jetzt kommt eine Eigenschaft Talleyrands zu tragen, die ganz grundlegend ist für das, was immer gerne als Opportunismus interpretiert wird: Er war ein absoluter Realist, Idealismus war ihm völlig fremd. Und so nahm er immer das zur Basis seines Handelns, was war, und nicht, was er sich vielleicht gewünscht hätte. Da er in der Lage war, den jeweiligen Ist-Zustand sehr gut zu verstehen und genau zu analysieren, richtete er sich immer erst einmal in dem ein, was ihm zur Verfügung stand, und versuchte, das Beste daraus zu machen – was ihm im Allgemeinen auch immer sehr gut gelang.
Eine weitere Eigenschaft, die dazu beitrug, dass er sich eben auch in Grundzuständen einrichtete, die ihm eigentlich gar nicht passten, war seine unglaubliche Leidensfähigkeit. So dauerte es bei ihm auch immer viel zu lange, bis er sich aufraffte, um dem, worunter er litt (oder was ihm nicht mehr passte), ein Ende zu machen. Das war zum Teil Trägheit – und das kann man ihm in der Tat zum Vorwurf machen – kam aber sicher auch durch seine Behinderung. Talleyrand litt bereits als Kind unter chronischen Schmerzen in den Beinen und vor allem in dem deformierten Sprunggelenk, das permanent entzündet war, und das wurde mit den Jahren nicht besser. Und er hat sehr früh gelernt, dass er im Leben nur dann zurecht kommen und etwas anderes als ein bedauernswerter Krüppel sein kann, wenn er die Zähne zusammenbeißt und seine Schmerzen und sein Unglück – und auch alles andere - mit Würde erträgt. Seine Schmerzgrenze lag auch, was Napoleon anging, ziemlich hoch, dazu aber später.
Die Ausgangslage war also die Kirche – einen anderen Weg sah er für sich nicht – er hatte den Zustand, ein Kirchenmann zu sein, ertragen gelernt, und richtete sich nun also so gut wie möglich darin ein. Hätte er nun, als sein Onkel ihn zum Generalbevollmächtigen des Klerus machte, nein sagen sollen? Die letzten elf Jahre im Priesterseminar und an der Sorbonne (wo er Theologie studiert und promoviert hatte) in den Wind schießen, statt ihnen einen Sinn zu geben? Hätte die Weihe, sicher einer der schrecklichsten Tage in seinem Leben, umsonst sein sollen? Der Job verlieh ihm einigen Einfluss, und mehr als das, er war ein Sprungbrett zu wahrer Macht. Hätte da irgendjemand nein gesagt?
Nun bahnte sich sich die Revolution an. Und der Generalbevollmächtige des Klerus, der für die Finanzen der Kirche zuständig war und die Brücke zwischen Kirche und Staat darstellte, bekam in Versailles – wo er mit Leuten wie Calonne und Necker verkehrte – mehr von der Finanzkrise mit, als die meisten seiner Landsleute. Dass es so nicht mehr weiter gehen konnte, muss ihm schon sehr früh klar geworden sein, und die sich anbahnenden Veränderungen waren durchaus in seinem Sinne. Das, wofür sich Talleyrand in seiner Zeit als Abgeordneter in der Nationalversammlung einsetzte, und hinter denen er immer stand, sind lauter sehr sinnvolle und gute Sachen: Artikel VI der Menschenrechte (freier Zugang zu allen Ämtern und freie Berufswahl für alle, ungeachtet ihres Standes) geht auf seine Rechnung, er reformierte das Polizeiwesen, die Versicherungen, das Schulwesen – darauf war er zu Recht sehr stolz, und seine Direktiven diesbezüglich galten noch 100 Jahre später in Frankreich. Er setzte sich für die bürgerliche Gleichstellung der Juden ein, für Pressefreiheit, für die Freiheit des Individuums. Vor allem die Freiheit (in jeder Hinsicht) war ihm ein Anliegen, und das änderte sich nie.
Dann verstaatlichte er die Kirchengüter und schwor einen Eid auf die zivilrechtliche Konstitution, und das ist es wohl, was ihm für immer den Ruf eines Verräters anhängt: Ein Bischof, der die Kirche enteignet und einen Eid leistet, mit dem er sich dem Einfluss Roms entzieht! Sich dem Einfluss Roms zu entziehen ist natürlich de facto nicht möglich, sondern stellt nichts anderes dar als die Demontage der Karriere als Kleriker. Das muss so geplant gewesen sein, denn ausgerechnet Talleyrand war ganz sicher nicht so naiv, zu glauben, dass er damit nicht seine Laufbahn in der Kirche beendet. Wenn es also Kalkül war, dann gab es ganz sicher zwei Gründe: Er brauchte die Kirche nicht mehr, das Sprungbrett hatte seinen Dienst geleistet. Er verließ nur ein System, dem er ohnehin nur widerwillig und gezwungenermaßen gedient hatte – wenn auch reichlich spät, und das liegt an seiner oben ausgeführten Art, alles grundsätzlich erst einmal sehr lange hinzunehmen, und sich dann erst sehr spät dagegen zu wenden. Der persönliche Grund, der sicher auch hinter der Entscheidung stand, ist die Rache am System. Das System hatte ihm ausgedient, aber er machte es auch für sein persönliches Unglück verantwortlich, und die Verstaatlichung der Kirchengüter ist ganz sicher Teil eines Rachefeldzugs gegen die Kirche als solche. Auch, wenn die Enteignung dem Anschein nach schlicht dazu diente, etwas (sehr Sinnvolles) gegen den Staatsbankrott zu unternehmen. Ich finde nicht, dass man ihm das verübeln kann.
Dass Talleyrand 1792 ins Exil gegangen ist, kann man ihm auch nicht ernsthaft vorwerfen. Hätte er sich denn guillotinieren lassen sollen? Er hatte immer für eine konstitutionelle Monarchie nach englischem Vorbild plädiert, was denkbar wenig opportun war, als die ganze Sache so eskalierte. Und gegen die Eskalation hätte er auch nichts ausrichten können. Er wäre ganz sicher geblieben, wenn er eine Möglichkeit dazu gesehen hätte - die vier Jahre in England und Amerika waren wirklich nicht die besten seines Lebens.
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nachdem im Thread Wunschschauspieler geäußert wurde, Talleyrand sei ein Wendehals, und ich angekündigt hatte, mich zu diesem Thema noch zu äußern, das aber eigentlich nicht in besagten Thread gehört, meine "Stellungnahme" also jetzt hier, und zwar in zwei Teilen, denn der Text ist zu lang für das Forum:
Warum Talleyrand kein Wendehals war
Meiner Begründung zuvorschicken möchte ich, dass ich keineswegs leugnen will, dass Talleyrand korrupt war, und sehr viel Vergnügen an Macht und Geld fand. Ebenso wenig will ich abstreiten, dass bei den meisten seiner Entscheidungen, die Fahne zu wechseln, neben ganz rationalen (und meiner Meinung nach mehr als vernünftigen) Überlegungen ganz persönliche Beweggründe eine Rolle spielten – aber bei wem tun sie das nicht? Und ich finde, dass diese persönlichen Motive nicht nur sehr gut nachvollziehbar, sondern auch durchaus legitim sind, was ich im Folgenden darlegen möchte. Gehen wir doch einmal die einzelnen Wendepunkte durch, die ihm gewöhnlich so vorgeworfen werden:
1.) Karriere in der Kirche
Als Talleyrand 15 Jahre alt war, enterbte ihn sein Vater und übertrug alle Titel und Rechte auf seinen jüngeren Bruder Archambaud. Gegen die Entscheidung seiner Eltern, ihn Priester werden zu lassen, kam er nicht an – man kann allerdings nicht sagen, dass er sich nicht gewehrt hätte. Immerhin widersetzte er sich ein geschlagenes Jahr, ins Priesterseminar zu gehen. Aber was konnte ein Fünfzehnjähriger 1769 gegen seine Eltern (und seinen sehr mächtigen Onkel) ausrichten? Niemand stand ihm bei, niemand half ihm. Hätte er wirklich sagen können, „Mama, Papa – Onkel - Ihr könnt mich alle mal!“? Ich glaube nicht. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als sich schließlich ihrer Entscheidung zu beugen.
Warum hat er sich dann später tatsächlich zum Priester weihen lassen? Da war er doch schon 25, da hätte er sich doch wehren können! Fouché ist doch auch vorher ausgestiegen, heißt es immer, es wäre also schon gegangen, auch gegen den Willen der Familie. Ja, aber Fouché war nicht behindert. Was hätte Talleyrand denn tun sollen? Enterbt, behindert und dann noch von seiner Familie verstoßen (was natürlich passiert wäre, wenn er sich nicht hätte weihen lassen) – keine gute Voraussetzung für ein glückliches Leben (und eine steile Karriere).
Und jetzt kommt eine Eigenschaft Talleyrands zu tragen, die ganz grundlegend ist für das, was immer gerne als Opportunismus interpretiert wird: Er war ein absoluter Realist, Idealismus war ihm völlig fremd. Und so nahm er immer das zur Basis seines Handelns, was war, und nicht, was er sich vielleicht gewünscht hätte. Da er in der Lage war, den jeweiligen Ist-Zustand sehr gut zu verstehen und genau zu analysieren, richtete er sich immer erst einmal in dem ein, was ihm zur Verfügung stand, und versuchte, das Beste daraus zu machen – was ihm im Allgemeinen auch immer sehr gut gelang.
Eine weitere Eigenschaft, die dazu beitrug, dass er sich eben auch in Grundzuständen einrichtete, die ihm eigentlich gar nicht passten, war seine unglaubliche Leidensfähigkeit. So dauerte es bei ihm auch immer viel zu lange, bis er sich aufraffte, um dem, worunter er litt (oder was ihm nicht mehr passte), ein Ende zu machen. Das war zum Teil Trägheit – und das kann man ihm in der Tat zum Vorwurf machen – kam aber sicher auch durch seine Behinderung. Talleyrand litt bereits als Kind unter chronischen Schmerzen in den Beinen und vor allem in dem deformierten Sprunggelenk, das permanent entzündet war, und das wurde mit den Jahren nicht besser. Und er hat sehr früh gelernt, dass er im Leben nur dann zurecht kommen und etwas anderes als ein bedauernswerter Krüppel sein kann, wenn er die Zähne zusammenbeißt und seine Schmerzen und sein Unglück – und auch alles andere - mit Würde erträgt. Seine Schmerzgrenze lag auch, was Napoleon anging, ziemlich hoch, dazu aber später.
Die Ausgangslage war also die Kirche – einen anderen Weg sah er für sich nicht – er hatte den Zustand, ein Kirchenmann zu sein, ertragen gelernt, und richtete sich nun also so gut wie möglich darin ein. Hätte er nun, als sein Onkel ihn zum Generalbevollmächtigen des Klerus machte, nein sagen sollen? Die letzten elf Jahre im Priesterseminar und an der Sorbonne (wo er Theologie studiert und promoviert hatte) in den Wind schießen, statt ihnen einen Sinn zu geben? Hätte die Weihe, sicher einer der schrecklichsten Tage in seinem Leben, umsonst sein sollen? Der Job verlieh ihm einigen Einfluss, und mehr als das, er war ein Sprungbrett zu wahrer Macht. Hätte da irgendjemand nein gesagt?
Nun bahnte sich sich die Revolution an. Und der Generalbevollmächtige des Klerus, der für die Finanzen der Kirche zuständig war und die Brücke zwischen Kirche und Staat darstellte, bekam in Versailles – wo er mit Leuten wie Calonne und Necker verkehrte – mehr von der Finanzkrise mit, als die meisten seiner Landsleute. Dass es so nicht mehr weiter gehen konnte, muss ihm schon sehr früh klar geworden sein, und die sich anbahnenden Veränderungen waren durchaus in seinem Sinne. Das, wofür sich Talleyrand in seiner Zeit als Abgeordneter in der Nationalversammlung einsetzte, und hinter denen er immer stand, sind lauter sehr sinnvolle und gute Sachen: Artikel VI der Menschenrechte (freier Zugang zu allen Ämtern und freie Berufswahl für alle, ungeachtet ihres Standes) geht auf seine Rechnung, er reformierte das Polizeiwesen, die Versicherungen, das Schulwesen – darauf war er zu Recht sehr stolz, und seine Direktiven diesbezüglich galten noch 100 Jahre später in Frankreich. Er setzte sich für die bürgerliche Gleichstellung der Juden ein, für Pressefreiheit, für die Freiheit des Individuums. Vor allem die Freiheit (in jeder Hinsicht) war ihm ein Anliegen, und das änderte sich nie.
Dann verstaatlichte er die Kirchengüter und schwor einen Eid auf die zivilrechtliche Konstitution, und das ist es wohl, was ihm für immer den Ruf eines Verräters anhängt: Ein Bischof, der die Kirche enteignet und einen Eid leistet, mit dem er sich dem Einfluss Roms entzieht! Sich dem Einfluss Roms zu entziehen ist natürlich de facto nicht möglich, sondern stellt nichts anderes dar als die Demontage der Karriere als Kleriker. Das muss so geplant gewesen sein, denn ausgerechnet Talleyrand war ganz sicher nicht so naiv, zu glauben, dass er damit nicht seine Laufbahn in der Kirche beendet. Wenn es also Kalkül war, dann gab es ganz sicher zwei Gründe: Er brauchte die Kirche nicht mehr, das Sprungbrett hatte seinen Dienst geleistet. Er verließ nur ein System, dem er ohnehin nur widerwillig und gezwungenermaßen gedient hatte – wenn auch reichlich spät, und das liegt an seiner oben ausgeführten Art, alles grundsätzlich erst einmal sehr lange hinzunehmen, und sich dann erst sehr spät dagegen zu wenden. Der persönliche Grund, der sicher auch hinter der Entscheidung stand, ist die Rache am System. Das System hatte ihm ausgedient, aber er machte es auch für sein persönliches Unglück verantwortlich, und die Verstaatlichung der Kirchengüter ist ganz sicher Teil eines Rachefeldzugs gegen die Kirche als solche. Auch, wenn die Enteignung dem Anschein nach schlicht dazu diente, etwas (sehr Sinnvolles) gegen den Staatsbankrott zu unternehmen. Ich finde nicht, dass man ihm das verübeln kann.
Dass Talleyrand 1792 ins Exil gegangen ist, kann man ihm auch nicht ernsthaft vorwerfen. Hätte er sich denn guillotinieren lassen sollen? Er hatte immer für eine konstitutionelle Monarchie nach englischem Vorbild plädiert, was denkbar wenig opportun war, als die ganze Sache so eskalierte. Und gegen die Eskalation hätte er auch nichts ausrichten können. Er wäre ganz sicher geblieben, wenn er eine Möglichkeit dazu gesehen hätte - die vier Jahre in England und Amerika waren wirklich nicht die besten seines Lebens.
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