Barras oder der Komödienstadl?

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  • excideuil
    Erfahrener Benutzer
    Sergent-Major
    • 24.09.2009
    • 207

    Barras oder der Komödienstadl?

    Guten Abend,

    mein Interesse an der Person Talleyrand hat dazu geführt, dass ich neben seinen Biografien und seinen Memoiren auch Biografien, Memoiren, Briefe ... von Personen aus seinem Umfeld heranziehe, um mehr über die Person Talleyrand zu erfahren.

    Die Memoiren des Vicomte Paul de Barras, immerhin einmal allmächtiger Direktor der französischen Republik und erfahrener Staatsstreicher, sind dabei eine willkommene Abwechslung. Ja, sie widerlegen sogar, dass Quellenstudium trocken oder gar mühsam sein müsse. Nein, ganz im Gegenteil, sie reizen sogar das Zwerchfell. Quellenstudium kann also sogar sehr gesund sein ...

    Bekanntlich hatte Talleyrand am 18. Brumaire die Aufgabe, Barras zum Rücktritt zu bewegen. Zusammen mit Admiral Bruix erledigte er diesen Job.

    OT. Barras:
    "Mein Entschluß ist sofort gefasst, mit der Festigkeit, die mir so oft in schwierigen Augenblicken zur Verfügung gestanden hat. Ich glaube, dass meine Demission tatsächlich gegeben und meine Rolle zu Ende ist; ich entschließe mich, den folgenden Brief zu schreiben:" 1)

    den ich an dieser Stelle erspare!

    "Ich übergebe diesen Brief Bruix und Talleyrand, die ihn für vollendet erklären; es ist das wiederholt der Ausdruck Talleyrands gewesen, der noch sagt, mein Verhalten sei "großmütig und erhaben und es sei mir vorbehalten, stets der erste Vaterlandsfreund Frankreichs zu sein". Die beiden Abgesandten ziehen sich mit Tränen in den Augen zurück, Talleyrand, indem er mir die Hand küßt und mir wiederholt, dass er mir seinen Dank im Namen des Vaterlandes ausspreche, dessen Retter ich nochmals sei." 2)

    Echt rührend, oder? Oder doch eher mittendrin im Komödienstadl? Mon. de Barras, der für einen Herzogtitel die Republik gegen Louis XVIII. getauscht hätte, tritt mit einem feuchten Händedruck aus der Historie ab? Man muss wohl sehr einfachen Gemütes sein, um dieser Roßtäuscherei aufzusitzen!

    Keine Sorge, die Auflösung kommt ein paar Seiten weiter!

    Barras fügt in seine Memoiren "eine Art Enthüllung der Handlungen und Taten Talleyrands" ein, "welche Frau von Staël mir anvertraute" 3)
    Die dann folgende Aufstellung summiert die finanziellen Erträge Talleyrands neben seinem offiziellen Einkommen auf 117, 69 Millionen Franken. (nach damaligem und heutigem Goldwert umgerechnet, entspricht dies 775 Millionen Euro! Gemessen am damaligen Geldumlauf ist diese Summe schwindelerregend und auch nicht wirklich von der Hand zu weisen!)

    Mon. de Barras listet die Einzelbeträge nicht etwa (nur) auf, um Talleyrand in Mißkredit zu bringen, nein, in der Liste findet sich auch eine Summe von 4 Millionen Franken, die für seine Demission vorgesehen war!

    "Ich bin eine besondere Erklärung über den letzten Punkt schuldig, das heißt darüber, dass meine Demission, deren historischen Verlauf ich ohne jeden Rückhalt berichtet habe, nicht der Gegenstand eines Geldvorschlags gewesen ist. Ich darf wohl behaupten, die Unterhändler würden nicht gewagt haben, auch nur dieses Wort verlauten zu lassen." 4)

    Talleyrand wagt sich nicht, über Geld zu reden? Mario Barth und Co. wären heute froh über eine solche Steilvorlage!

    Aber Mon. de Barras setzt noch einen drauf:
    "Ebenso erkläre ich noch hinsichtlich dieses Punktes, dass, wenn Bonaparte in dieser Absicht irgend eine Summe verausgabt hat, sie gänzlich im Besitze Talleyrands geblieben ist, der bei vielen anderen Anlässen sich soweit treu geblieben ist, dass er gemeint hat, er müsse, da doch keiner mehr verdiene, gekauft zu werden als er, zunächst sich einmal mit eigener Hand auszahlen." 5)

    Nun, ja, ich weiß nicht, meiner Meinung nach viel Wind für jemanden, der nichts erhalten haben will.

    Aber, egal ob nun Talleyrand oder Barras die Millionen eingestrichen hat, Geschichte kann durchaus sehr amüsant sein.

    In dem Sinne wünsche ich einen guten Abend!

    Grüße
    excideuil



    1) Memoiren von Paul Barras, Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, Leipzig, Berlin, Wien, Bd. 4, 1896 Seite 77
    2) Seite 78
    3) Seite 250
    4) Seite 257
    5) Seite 258
  • gnlwth
    Erfahrener Benutzer
    Tambour-Major
    • 09.10.2006
    • 324

    #2
    Guten Abend,

    man muss sich beim Studium von Barras' Memoiren natürlich vor Augen halten, dass nicht nur Barras gelogen hat, dass sich die Balken biegen, sondern auch, dass sie erst 1895 veröffentlicht wurden, und entsprechend zensiert, redigiert und editiert. Was da also drin steht, stammt aus den unterschiedlichsten Federn und hat die unterschiedlichsten Hintergründe - insofern also mit äußerster Vorsicht zu genießen.

    Aber natürlich gebe ich Dir Recht, dass das ein ziemlich lächerlicher Versuch von Barras war (der ja nicht gerade dafür bekannt war, Douceurs empört von sich zu weisen), von seinem eigenen Treiben während des Directoirs abzulenken.

    Zur Demission von Barras und Talleyrands Rolle dabei lässt sich wohl Folgendes sagen: Es würde wohl niemanden wundern, wenn Talleyrand sich bei der ganzen Aktion bereichert hätte. Vermutlich hat er Barras einen kleinen Teil des Geldes, das ihm Bonaparte et al. zu diesem Zweck gaben, angeboten, und Barras dann über den Tisch gezogen. Hinterher hat er sich dann sicherlich zu seinem Verhandlungsgeschick beglückwünscht und beschlossen, dass er sich den Rest des Geldes jetzt aber auch redlich verdient hat.
    Wie dämlich müsste Barras auch gewesen sein, wenn er ohne eine Abfindung endgültig und vollkommen von der politischen Bühne abgetreten ist? Dämlich ist es natürlich auch, zuzugeben, dass man sich derart hat linken lassen.
    Was genau damals passiert ist, weiß natürlich (heute) kein Mensch. Eines allerdings weiß man, und zwar, was in dem Brief stand, den er unterschrieben hat - und wer diesen geschrieben hat: nämlich keineswegs Barras selbst, so wie er es in seinen Memoiren behauptet, sondern Roederer und Talleyrand. Ich nehme es auf mich, zu ergänzen, was Du uns ersparen wolltest, und zitiere:

    Je rentre avec joie dans les rangs de simple citoyen, heureux, après tant d'orages, de remettre entiers et plus respectables que jamais les destins de la République dont j'ai partagé le dépôt. Salut et respect!

    Joie???? Kicher! Die Freude kann ich mir vorstellen - allerdings nicht auf Seiten von Barras, sondern beim Aufsetzen dieses Briefes. Das ist die Rache für all die Erniedrigungen, die Talleyrand von seinen Chefs erfahren hat... Der mehr oder weniger erzwungene Rücktritt war sicher schon schmählich genug, aber dann noch sowas unterschreiben zu müssen... das muss schon ganz schön Überwindung gekostet haben (und die andere Seite viel Geld).


    Zum Finanziellen: Die Summe, die Barras als Talleyrands Einkommen nennt, ist sicherlich zu hoch gegriffen. Talleyrand war sicher nicht arm (obwohl er quasi mit nichts in den Taschen aus Amerika zurück kam und vom Direktorium zum Teil in Naturalien (!), wie etwa Lagerhallen/Scheunen voller Weizen bezahlt wurde), aber richtig reich ist er eigentlich erst durch den 18. Brumaire selbst geworden, weil er vorher - wie er einmal Napoleon erklärte, als der fragte, woher er das ganze Geld eigentlich hätte - alle Staatsanleihen gekauft hat, deren er habhaft werden konnte, und hinterher dann natürlich ein gemachter Mann war. (Natürlich ist es eine leichte Entscheidung, im großen Stil an der Börse zu spekulieren, wenn man an einem Staatsstreich beteiligt ist - denn wenn es schief geht, hat man ohnehin ganz andere Sorgen, und wenn es gut geht, dann aber so richtig gut! Auf die Idee ist der General Bonaparte nicht gekommen, was ihn dann auch entsprechend gefuchst hat.) Wenn sich die Summe also auf die Zeit nach dem 18. Brumaire bezieht, dann ist sie vielleicht halbwegs realistisch. Vorher hatte Talleyrand aber sicher nicht so viel Geld.

    Eine ganz andere Frage ist es, wieviel Geld er zur Verfügung hatte, um Barras zu bestechen. Ich halte die Zahl vier Millionen auch für zu hoch gegriffen (habe übrigens auch schon andere Summen gelesen, z.B. zwei Millionen, aber auch das ist viel). Die Frage ist, ob der General Bonaparte (und seine Mitverschwörer) so viel Geld gehabt hätten. Ich erinnere daran, dass sich Napoleon vor seiner Abreise nach Ägypten von Talleyrand (!) 100000 Francs geliehen hat (Du kennst sicher die Geschichte, wenn nicht, ich habe sie hier schon einmal erzählt). (Das zeugt übrigens nicht nur von Napoleons Geldknappheit, sondern auch von einem recht entspannten Umgang mit Geld bei Talleyrand - nicht viele Leute würden zu jemandem, den sie unter Umständen nie wieder sehen, weil er gerade, sagen wir einmal, morgen nach Kabul oder Baghdad fliegt, ein paar tausend Euro leihen (geschweige denn sie in ihrer Schreibtischschublade liegen haben).


    Na ja, aber wir werde nie wissen, was wirklich passiert ist. Barras lügt, Talleyrand schweigt.

    Vielleicht war es so?:




    Schönen Gruß,
    Gnlwth
    Zuletzt geändert von gnlwth; 31.10.2009, 20:17.
    Talleyrand - der Mensch und die Persönlichkeit

    Kommentar

    • excideuil
      Erfahrener Benutzer
      Sergent-Major
      • 24.09.2009
      • 207

      #3
      Guten Abend,

      in der Tat, Memoiren, gerade wenn sie das Verhalten des Verfassers rechtfertigen sollen, sind immer mit äußerster Vorsicht zu genießen. Das trifft aber nicht nur auf die Werke von Barras zu, sondern auch auf die von Talleyrand, Remusat ... und nicht zuletzt natürlich auf die von Las Cases und der anderen "Jünger" zu ...

      In der Tat, Barras hätte besser schweigen sollen, aber so hat er öffentlich den Preis bestimmt, der ihm zugedacht gewesen sein soll. Glaubt man den Biografen, bestanden die 2-3 Millionen aus Wechseln des Finanzmannes Ouvrard, dessen Anwesenheit bei der Abdankungsszene damit einen doch recht zwielichtigen Touch bekommt.

      Die Auflistung der "Trinkgelder" Talleyrands bezieht sich auf die Zeit bis zum Wiener Kongreß. Egal, ob ein paar Millionen mehr oder weniger, das Ausmaß der Bestechlichkeit Talleyrands ist aber schon bezeichnend und darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass die Mehrzahl der Millionen aus dem Ausland stammte.

      Was die Summe für Barras angeht, sollen nach der Auflistung insgesamt 10 Millionen vorgesehen gewesen sein, Barras soll "nur" 3 Millionen erhalten haben, den Rest habe Talleyrand sich mit Bruix und Fouché geteilt, sein Anteil seien 4 Millionen gewesen.

      In der Tat wirft die Szene, dass sich Napoleon Geld von Talleyrand borgt einige Fragen auf. Weniger, dass Talleyrand, der Geld nicht um des Geldes wegen liebte, scheinbar immer über große Summen verfügte, eher die Tatsache, dass der Sieger von Italien, dessen Siege der franz. Republik viele Millionen gebracht hatten, selbst arm wie eine Kirchenmaus war und sich von dem lasterhaften ehemaligen Bischof von Autun 100000 Franc borgen musste. Gerade von ihm! Schon merkwürdig!
      Napoleon wird eine gewisse Faszination für die alte Aristokratie nachgesagt. Möglicherweise hat diese Szene des für ihn völlig unverständlichen Umganges mit (viel) Geld auf ihn einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Zurückgezahlt hat er es Talleyrand jedenfalls vielfach.

      Was nun Talleyrands Antwort zu den Spekulationen zum 18. Brumaire angeht, halte ich sie eher für eine Schmeichelei für den Autokraten, um sich weitere Fragen zu ersparen. Talleyrand, wie man ihn kennt: Er liefert ein Bonmot, dass den Gegenüber erfreut, und hat im Grunde doch nichts gesagt!

      Grüße
      excideuil

      Kommentar

      • gnlwth
        Erfahrener Benutzer
        Tambour-Major
        • 09.10.2006
        • 324

        #4
        Guten Morgen,

        Was nun Talleyrands Antwort zu den Spekulationen zum 18. Brumaire angeht, halte ich sie eher für eine Schmeichelei für den Autokraten, um sich weitere Fragen zu ersparen. Talleyrand, wie man ihn kennt: Er liefert ein Bonmot, dass den Gegenüber erfreut, und hat im Grunde doch nichts gesagt!
        ich fürchte, das verstehe ich nicht. Was Talleyrand zu Napoleon gesagt hat, ist doch kein Bonmot (sondern vermutlich sogar ziemlich unverschleierte Wahrheit), und vor allem keine Schmeichelei! Übersetzt heißt das ja quasi, "Übrigens, dufter Staatsstreich, Chef - schade nur, dass Sie nicht so schlau waren wie ich, und an das Naheliegendste gedacht haben. Tja, jetzt bin ich noch reicher als vorher, und Sie wissen immer noch nicht, wie Sie die Schulden Ihrer Frau bezahlen sollen."
        Im Wesentlichen hat er hier, finde ich, schlicht und in aller Deutlichkeit gesagt, womit er sehr viel Geld verdient hat, nämlich durch ein äußerst lukratives Insidergeschäft, aber besonders erfreulich oder gar schmeichelhaft war die Antwort für Napoleon ja eigentlich nicht. Oder meinst Du etwas anderes?

        Daraus, dass er bestechlich war, hat er ja auch nie einen Hehl gemacht - im Gegenteil. Ich erinnere an die XYZ-Affäre: da war er ja sogar einigermaßen konsterniert, als die Amerikaner sauer wurden, weil er schon Geld wollte, bevor die Verhandlungen überhaupt erst angefangen hatten - so nach dem Motto, "wie kommen die eigentlich dazu, zu glauben, ich würde irgendwelche Verhandlungen anfangen, ohne dass man mich dafür bezahlt - für wie blöd halten die mich?"

        Das mit der Bestechlichkeit ist so eine Sache - schwer zu beurteilen, weil er sich ja immer für Sachen hat bezahlen lassen, die er ohnehin gemacht hätte. Oder kennst Du einen Fall, wo er seine Meinung "dem Geld angepasst" hat?

        Schönen Gruß,
        Gnlwth
        Talleyrand - der Mensch und die Persönlichkeit

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        • excideuil
          Erfahrener Benutzer
          Sergent-Major
          • 24.09.2009
          • 207

          #5
          Bestechung

          Guten Abend gnlwth,

          bei Orieux findet sich Talleyrands berühmte Antwort und die Ansicht des Biografen, dass sich Talleyrand einer unbequemen Antwort mit einer Schmeichelei entzogen hat... (Vergl. Orieux: Talleyrand, Frankfurt, 1972, Seite 302)

          Gut, Talleyrands Antwort ist vielleicht in diesem Fall kein Bonmot, zeigt aber die geistige Gewandheit des Fürsten, der mit seiner Antwort ein Thema erledigt, eine weitere Frage überflüssig macht.

          Die Wahrheit über den Reichtum des Fürsten ist es sicher nicht. Sicherlich hat er mit wechselndem Erfolg an der Börse spekuliert, die Haupteinnahmequelle waren die Bestechungen oder auch die Versuche dazu. Allerdings waren seine Möglichkeiten der Gestaltung der Friedensabschlüsse oder Verhandlungen begrenzt und so kam es immer wieder zu "Affären" der sich geprellt fühlenden Fürsten, Staaten oder Städte.

          Napoleon hatte natürlich auch gewisse Kenntnis, hat es aber (zumindest in den ersten Jahren) auch toleriert:
          "Er stammt aus einem großen Haus, das entschuldigt alles." (Orieux, Seite 302)

          Josephine ist ein eigenes Kapitel. Ich bin im Zweifel, ob seine Gefühle für sie echt waren oder ob er sie für seinen Eintritt in die Aristokratie sah. Egal, immerhin hat Napoleon trotz seines Verständnisses für Geld immer und immer wieder alle Fünfe gerade sein lassen. Sicherlich nicht oft genug, sonst hätte sie sich nicht von Fouché anwerben lassen ...

          Thema Bestechung:
          Wer ist moralisch verwerflicher, der, der die Absicht hat, zu bestechen oder der, der sich bestechen lässt?
          Wer ist glaubwürdiger, der, der glaubt, Treue mit Titeln oder Geld erkaufen zu können oder der, der die Titel und das Geld nimmt und doch nach seiner Überzeugung handelt?

          Grüße
          excideuil

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