Kanonenrohr umsetzen Gribeauval

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  • joerg.scheibe
    Erfahrener Benutzer
    Capitaine
    • 02.10.2006
    • 592

    Kanonenrohr umsetzen Gribeauval

    Ein Lafettentyp im System Gribeauval weist doppelte Auflagerpunkte für das Rohr auf, die volkstümlich als Auflager für den Schuß bzw. für den Transport angesehen werden.
    Wenn das stimmt - nun gut.

    Kann bitte mal jemand erhellen, wie vor bzw. nach dem Gefecht das Rohr umgesetzt wird? (Ein Windenbock wird ja wohl nicht stets zur Hand gewesen sein)
    Haben z.B. jeweils vier Mann unter Nutzung der Richtspaken an der Mündung bzw. unter der Kugel an der Kammer angesetzt und das Ding verhoben?

    Für Aufklärung dankt
    Jörg
    The light at the end of the tunnel
    is from an oncoming train.
  • muheijo
    Erfahrener Benutzer
    Capitaine
    • 01.10.2006
    • 553

    #2
    Zitat von joerg.scheibe Beitrag anzeigen
    Ein Lafettentyp im System Gribeauval weist doppelte Auflagerpunkte für das Rohr auf, die volkstümlich als Auflager für den Schuß bzw. für den Transport angesehen werden.
    Wenn das stimmt - nun gut.

    Ich habe mir grad mal die Kanonen bei Wiki angeguckt.

    Es erklært zwar nicht, warum es 2 Auflagerpunkte gab, aber:
    Was spricht eigentlich dagegen, die Kanone quasi Schussbereit zu transportieren, also dass das Kanonenrohr in dem vorderen Auflager bleibt?
    Zumal das Rohr dort auch gesichert ist.

    Gruss, muheijo

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    • Sans-Souci
      Erfahrener Benutzer
      Major
      • 01.10.2006
      • 1841

      #3
      Aus der

      Instruction générale sur le service de toutes les bouches à feu en usage dans l'artillerie. Nouvelle édition, Metz 1790.:

      KOMMANDOS
      ZUM EXERZIEREN
      MIT DEN FELD-GESCHÜTZEN.




      Um ein Geschützrohr von 8 oder 12 aus dem Marschlager
      in das Schildzapfenlager zu bringen.




      Préparez-vous à changer d'encastrement.


      DIE zweiten Handlanger nehmen die Schildpfannendeckel [susbandes] ab, der rechts verkeilt das Rad, der Kanonier links löst die Hebestangen mit Hilfe des ersten Handlangers; sie geben eine davon dem ersten Handlanger rechts, eine dem Kanonier rechts und behalten jeweils eine.


      Changez d'encastrement.


      Der erste Handlanger links steckt seine Hebestange in die Mündung; der erste Handlanger rechts und der Kanonier links setzen das Ende der Hebestange unter die Traube des Rohres [bouton] und heben den Stoßboden des Rohres mit der Hilfe der zweiten Handlanger an; der Kanonier rechts dreht dabei den Rücken zur Protze, setzt seine Hebestange als Rolle [en rouleau] unter das Bodenstück des Rohres, und läßt sie gerade bis zum Visierreif [cintre de mire] vorgehen; der erste Handlanger rechts setzt daraufhin seine Hebestange quer unter die, welche in der Mündung steckt, und der Kanonier links steckt das Ende der seinen in den rechten Delphin [anse], um das Rohr festzuhalten; die zweiten und dritten Handlanger rechts leisten den ersten Hilfe, der zweite und der dritte links stellen sich an die quer liegende Hebestange, und der dritte rechts an die, welche in der Mündung steckt. Auf das Kommando ferme, das vom Offizier gegeben wird, wirken sie alle zusammen mit Kraft, Vorsicht und ohne zu stoßen, um das Rohr sehr langsam in das Schildzapfenlager zu bringen, wobei der Kanonier rechts seine Hebestange dreht, um diese Bewegung zu erleichtern: Wenn das Rohr an seiner Stelle ist, kehren die dritten Handlanger auf ihre Positionen zurück, die zweiten Handlanger machen die Schildpfannendeckel wieder fest und der rechts entfernt den Hemmschuh des Rades, die ersten drücken auf das Langefeld des Rohres; die Kanoniere machen ihre Hebestangen los und stellen sie aufrecht gegen die Arme des Munitionskastens [coffret]; der links stellt die Richtschraube wieder auf und der rechts hält den Richtkeil [semelle]; woraufhin die ersten Handlanger ihre Positionen wieder einnehmen, doch dabei ihre Hebestangen behalten; die Kanoniere stecken die ihren mit dem schmalen Ende in die viereckigen Manövrierringe [anneaux carrés de manoeuvre].

      Kommentar

      • muheijo
        Erfahrener Benutzer
        Capitaine
        • 01.10.2006
        • 553

        #4
        Sehr schøn, aber was ist der Vorteil, dass das Kanonenrohr beim Transport in dem Marschlager ist?
        Wurde das in der Praxis immer gemacht?

        Gruss, muheijo

        Kommentar

        • Sans-Souci
          Erfahrener Benutzer
          Major
          • 01.10.2006
          • 1841

          #5
          Durch das Marschlager lag beim Transport des Geschützes der Schwerpunkt des Gewichts zwischen den Achsen von Lafette und Protze.

          Aus Hoyer: Wörterbuch der Artillerie, Tübingen 1808:

          Marschlager der Laffete (Encastrement de route) ist bei sehr gebrochenen Laffeten, wo das Zapfenzentrum vor der Achse liegt, zur Dauer [= Haltbarkeit] sowohl als zur beßern Beweglichkeit des aufgeprotzten Geschützes unentbehrlich.

          Kommentar

          • joerg.scheibe
            Erfahrener Benutzer
            Capitaine
            • 02.10.2006
            • 592

            #6
            Ich danke recht artig,

            auch für die mitgelieferte korrekte Fachterminologie

            Jörg
            The light at the end of the tunnel
            is from an oncoming train.

            Kommentar

            • Blesson
              Erfahrener Benutzer
              Adjudant
              • 03.10.2006
              • 778

              #7
              Die von Oli dargestellte Umbettung vom Chargierlager in das Marschlager mit Hilfe der Richtbäume ist natürlich nur für bis zu zwölfpfündigen Feldgeschütze praktikabel, nicht aber den schweren Belagerungs- oder Festungsgeschützen auf Walllafetten oder hohen Rahmlafetten, also etwa ab Kaliber 18 Pfund aufwärts. Hier gleiten die Schildzapfen kontrolliert abwärts in das Marschlager, während das Umbetten in der anderen Richtung sich erheblich schwieriger gestalten dürfte, weil hierzu der Lafettenschwanz angehoben werden müßte?

              Bei den Festungs- und Belagerunggeschützen wird in der Regel ein dreibeiniges Hebezeug (Kran) mit Winde und Flaschenzug verwendet, das natürlich auch für Feldgeschütze verwendet werden kann, so es denn zur Hand ist. Hier wird dann deutlich, wozu schwere Geschütze noch die Delphine brauchen... Bei den mehr als mannhohen Rahmlafetten lassen sich die Rohre ohnehin nur mit dem Hebezeug in das Lager heben!

              Hierzu noch eine Anekdote aus
              Beitrag zur Geschichte des Festungskrieges in Frankreich im Jahre 1815 Von Johann Ludwig Urbain Blesson, S73ff und Anmerkung 24.
              zeigt uns, wenn was passieren kann, wenn man das Umbetten unter feindlichem Feuer praktizieren muß.

              Bei der Belagerung von Maubeuge im Sommer 1815 ließ ein pr. Artillerieoffizier die eisernen englischen 24-pfündigen Geschütze in eine vorbereitete Batterie bringen. Die Rohre waren allerdings noch im Marschlager und mußten in das Chargierlager umgesetzt werden, was dem Preußen ungewohnt war, so daß Winde und Hebezeug herangebracht werden mußte, und welches am dämmernden Tage seitens der Belagerten nicht ganz unbemerkt blieb: Das Hebezeug ragte nämlich nicht unerheblich über die Brustwehr hinaus, und so kam es, wie es kommen mußte: mehrere Winden büßten mit Leib und Leben für den Fehler des Artillerieoffiziers.

              LB
              Zuletzt geändert von Blesson; 13.11.2009, 18:49.
              Do, ut des

              http://www.ingenieurgeograph.de

              Kommentar

              • Blesson
                Erfahrener Benutzer
                Adjudant
                • 03.10.2006
                • 778

                #8
                Zitat von Sans-Souci Beitrag anzeigen
                Durch das Marschlager lag beim Transport des Geschützes der Schwerpunkt des Gewichts zwischen den Achsen von Lafette und Protze.

                Aus Hoyer: Wörterbuch der Artillerie, Tübingen 1808:
                Der Schwerpunkt aller (intakten) Geschütze liegt immer zwischen Achse und Lafettenschwanz, andernfalls würde das freistehende Geschütz ja nach vorn kippen. Aber im Chargierlager ist die Gewichtsverteilung so ausbalanciert, daß das Gewicht hauptsächtlich auf den Achsen ruht, und infolgedessen der Lafettenschwanz für die Seitenrichtung leichter hin- und hergeworfen werden kann. Viele Rekonstruktionen lassen sich wegen der schlechten Balance schwer bewegen.... Deshalb kann ich mir meist nicht verkneifen, jedes Feldgeschütz einmal kurz am Lafettenschwanz anzulupfen: Gelingt mir dies mühelos, ist es gut, wenn nicht, dann naja... ich hebe mir jedenfalls nicht gerne einen Bruch. Wenn das Geschütz einen Kobolz nach vorne macht, ist es aber auch nicht gut.

                A propos Hebelwirkung: Mit dem Anheben des Lafettenschwanzes verschiebt sich der Schwerpunkt sogar noch weiter nach vorne, so daß sich der Lafettenschwanz noch leichter bewegen oder schneller auf- bzw. abprotzen läßt. Der Schwerpunkt kann dann sogar direkt über der Achse liegen, aber bitte nicht weiter vorne, aus besagten Gründen. Dies ist für die leichteren Feldgeschütze sogar erwünscht. Hier erkennt man weiter unschwer, warum es wichtig ist, beim Feuern den Munitionkasten aus den Lafettenwänden zu heben... Manch ein Artillerist bewegt eben lieber seine Muskeln als sein Hirn.

                Jetzt ist es die spannende Frage, wie groß das Auflagegewicht des Lafettenschwanzes nach der Erfahrung sein sollte - gefragt ist also der Kompromiß zwischen Stabilität und Beweglichkeit. Vergessen wir außerdem nicht den Rückstoß: Hier ist unerwünscht, wenn das Geschütz mit einem geringen Auflageweicht mehrere Schritt weit zurückhüpft. Die Kufen können nur mit hohen Auflagegewicht bremsen, ein Stoßbalken ist auch nicht immer zu Hand und das Eingraben des Lafettenschwanzes empfiehlt sich auch nicht immmer. Eine leicht anlaufende Bettung gibt es nur im Festungskriege...

                Bei einem sechspfündigen Feldgeschütz schätze ich das Auflagegewicht mal auf einen halben Kanonier? Wer hält dagegen?
                Zuletzt geändert von Blesson; 13.11.2009, 19:37.
                Do, ut des

                http://www.ingenieurgeograph.de

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