Russlandfeldzug 1812

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  • KDF10
    Erfahrener Benutzer
    Chef de Bataillon
    • 19.12.2010
    • 1278

    #61
    Zitat von Tom Beitrag anzeigen
    Und noch eine persönliche Anmerkung zu Friedrich Wilhelm III.: Für mich tritt aus seiner Korrespondenz der stets fürsorgliche oberste Kriegsherr hervor, der für seine Offiziere und deren Familien väterlich sorgte (zahllose Beispiele bei Priesdorff), daneben der vorsichtige, nüchterne Staatsmann, der die Luftschlösser seiner Untergebenen (Losschlagen 1809 / 1812 gegen Frankreich) mit Reserviertheit aufnahm und alles tat, das preußische Staatsschiff durch die schweren Zeiten 1797-1815(-1840) zu lotsen. Man lese z.B. bei Oncken: Österreich und Preußen die nüchtern-realistischen Einschätzungen des Königs zur Politik Anfang 1813 nach. Ferner Janson: Friedrich Wilhelm III. in der Schlacht usw. usf. Wohl selten hatte ein König schwierigere Zeiten durchzustehen.

    Viele Grüße, Tom
    Danke Tom, Friedrich Wilhelm III. ist der einzige preußische König über den es keine Biographie gibt. Nach Napoleon war er dumm wie ein Sergeant, und Friedrich Engels, der war nicht nur Sozialist, sondern ein sehr guter Journalist, bezeichnete ihn als den größten Holzkopf, der je auf einem Thron gesessen hat.

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    • HKDW
      Erfahrener Benutzer
      Colonel
      • 02.10.2006
      • 2962

      #62
      Sehr interessante Memoiren über 1812, von Roos - vielleicht für KDF interessant - zum runterladen

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      • KDF10
        Erfahrener Benutzer
        Chef de Bataillon
        • 19.12.2010
        • 1278

        #63
        Danke HKDW, ich habe auch was Neues (jedenfalls für mich) gefunden, die Stimme Russlands in deutscher Sprache. Ganz interessant was da von russischer Seite zum Krieg von 1812 geschrieben wird. Hier mal der Link zum Archiv über 1812:

        http://german.ruvr.ru/search.html?sort=date&page=1&q=1812

        Auf der 4. Seite habe ich das gefunden: "Im Jahr 1807 kehrte Lasarjew nach Russland zurück und wurde hier zum Unterleutnant zur See ernannt.
        Der junge Offizier nahm am Russisch-Schwedischen Krieg 1808-1809 teil Im Vaterländischen Krieg 1812 befehligte der junge Leutnant Lasarjew das Segelschiff „Phönix“ und erhielt für seine bewiesene Tapferkeit eine Silbermedaille."


        Wofür hat der eine Tapferkeitsmedaille bekommen? Was hat die russische Marine gemacht? Anfang August waren russische Schiffe vor Riga und fuhren auf der (dem?) Aa bis Mitau. Es gab dort aber keine Gefechte, und ein Leutnant kommandierte ein Segelschiff?

        Ich weiß, dass man die russische Geschichtsschreibung, auch heute noch, nicht vorbehaltlos hinnehmen darf, aber interessant sind die Artikel auf jeden Fall.

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        • Tom
          Erfahrener Benutzer
          Chef de Bataillon
          • 03.10.2006
          • 1068

          #64
          Einige Biografien über Friedrich Wilhelm III.

          Zitat von KDF10 Beitrag anzeigen
          Danke Tom, Friedrich Wilhelm III. ist der einzige preußische König über den es keine Biographie gibt. Nach Napoleon war er dumm wie ein Sergeant, und Friedrich Engels, der war nicht nur Sozialist, sondern ein sehr guter Journalist, bezeichnete ihn als den größten Holzkopf, der je auf einem Thron gesessen hat.
          Hier einige Biografien etc. über Friedrich Wilhelm III.:

          + Kretzschmer: Friedrich Wilhelm III.: sein Leben, sein Wirken u. seine Zeit. 1840



          + Eylert: Charakter-Züge und Historische Fragmente aus dem Leben des Königs von Preußen Friedrich Wilhelm III.


          + Minutoli: Beiträge zu einer künftigen Biografie Friedrich Wilhelms III.


          + Janson: König Friedrich Wilhelm III in der Schlacht


          Eine neuere wissenschaftliche Biografie ist von 1992:
          + Stamm-Kuhlmann: König in Preußens großer Zeit. Friedrich Wilhelm III. der Melancholiker auf dem Thron
          http://www.amazon.de/Preu%C3%9Fens-g...4490816&sr=8-2

          Stamm-Kuhlmann listet S. 734ff über zwei Seiten "Bisherige Bücher zu Friedrich Wilhelm III." und "Biografische Abrisse, Porträts" auf .

          Napoleon und Friedrich Engels scheinen mir - aus unterschiedlichen Gründen - befangen, wobei man deren angeführte Zitate (Quellen??) sicher noch im Kontext betrachten müsste.

          Viele Grüße, Tom
          Zuletzt geändert von Tom; 08.01.2011, 14:00.

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          • KDF10
            Erfahrener Benutzer
            Chef de Bataillon
            • 19.12.2010
            • 1278

            #65
            Meine Information zu Biographien über Friedrich Wilhelm III. stammt aus dem Buch von Wilhem Treue "Deutsche Geschichte Band 1" - Weltbild Verlag, Augsburg 1990. Die Biographie von 1992 gab es da also noch nicht. Preußische Literatur aus dem 19. Jahrhundert über einen lebenden oder verstorbenen Herrscher ist weitgehend nicht anderes als Lobhudelei.

            Nachtrag: Das Thema gehört nicht unbedingt zum Russlandfeldzug 1812. Ich habe einen neuen Thread aufgemacht "Napoleon 1805 - 1815". Wir können das da weiter diskutieren, wenn es dir recht ist.

            Gruß

            KDF10
            Zuletzt geändert von KDF10; 08.01.2011, 15:28.

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            • KDF10
              Erfahrener Benutzer
              Chef de Bataillon
              • 19.12.2010
              • 1278

              #66
              @Tom

              Wegen Friedrich Wilhelm III. habe ich noch einmal nachgeschlagen. Der stets fürsorgliche oberste Kriegsherr war weder das, noch ein vorsichtiger, nüchterner Staatsmann. Er war ein Spielball Napoleons, weil er seiner Aufgabe nicht gewachsen war und nur deshalb hat er als König schwierige Zeiten erlebt.

              1805 befahl er die Mobilmachung und bedrohte damit Napoleon, hielt sich aber aus dem Krieg selbst heraus. Obwohl Preußen am Krieg überhaupt nicht beteiligt war, musste es durch den Vertrag von Schönbrunn am 15. Dezember 1805 Ansbach an Bayern und das Herzogtum Kleve-Berg an Frankreich abtreten, das zum Großherzogtum unter Murat, dem Schwager Napoleons wurde. Seine Untertanen dort hat der angeblich fürsorgliche Friedrich Wilhelm III. also verkauft. Als Entschädigung hat er sich das Kuckucksei Hannover andrehen lassen, das Napoleon überhaupt nicht gehörte, sondern England. Nachdem er 1806 angeblich gehört hatte, dass Napoleon mit England über die Rückgabe Hannovers verhandelte, das ja nun preußisch war, stellte er Napoleon ein Ultimatum, in dem er forderte, dass die französischen Soldaten aus Süddeutschland abgezogen werden sollten. Dann begann er einen Krieg, obwohl sein Verbündeter Russland mit dem Aufmarsch seiner Armee noch nicht fertig war. Die Folge war, dass, als Russland in den Krieg eingreifen konnte, die preußische Armee bereits bis auf 20.000 Mann vernichtet war (Festungsbesatzungen nicht mitgerechnet). Die russische Armee stellte 111.000 Mann, mit den Preußen also etwa 130.000 Mann. Zu Kriegsbeginn hatte die preußische Armee etwa 120.000 Mann, hinzu kamen die Sachsen, die mit Preußen verbündet waren. Insgesamt hatte man also ein Potential von fast 300.000 Mann, von dem aber mehr als die Hälfte bereits Ende 1806 tot, verwundet oder gefangen war, weil der „vorsichtige, nüchterne“ Staatsmann Friedrich Wilhelm III. einfach nur unfähig war.

              In der damaligen zeitgenössischen Literatur war jeder König oder Landesfürst fürsorglich, vorsichtig und nüchtern. Was anderes durften die Autoren gar nicht schreiben, auch wenn unter dem Rheinbund mehr als 200.000 Deutsche in Napoleons Armeen verheizt wurden. Die „fürsorglichen“ Landesväter in Sachsen, Württemberg und Bayern hat Napoleon zu Königen gemacht. Allein aus diesen Ländern wurden dafür mehr als 100.000 Soldaten im Dienste Napoleons getötet oder verwundet. Außerhalb Preußens wurde das Verhalten von Friedrich Wilhelm III. 1805 übrigens offen als Verrat an Deutschland bezeichnet.

              Auch in Preußen wurde das ähnlich gesehen, man durfte das nur nicht öffentlich äußern, weil man sonst im Zuchthaus landete. Einige Briefe sind aber dazu überliefert. Hier ein besonders bemerkenswertes Zitat aus einem Brief, den der preußische Prinz Louis Ferdinand (ein Neffe des Königs) am 9. Januar 1806 an seine Schwester schrieb: „Kann man sich denn wirklich in dem Maße täuschen wollen, kann man einen Erfolg hoffen, wenn man nichts tut, ihn hervorzubringen, wenn man keinen Entschluss fasst? Alles was geschieht ist so widerspruchsvoll, dass auch der Unerfahrenste sehen muss, wie alles den Stempel der Unentschlossenheit trägt. Wir leben in den Tag hinein, in einer Art von Erstarrung, die unbegreiflich ist, wenn man an die Wichtigkeit des Augenblicks denkt. (…) [Was folgt war zu dem Zeitpunkt beinahe prophetisch] Dann wird der Krieg unter noch ungünstigeren Aussichten wieder ausbrechen, und einsam und ohne Alliierte wird Preußen fallen, wie die anderen gefallen sind, ohne dass jemand für sein Schicksal Teilhabe haben wird, da es selbst für niemandes Schicksal Teilnahme gezeigt und da seine feige und schwächliche Politik Europa ins Verderben gestürzt hat.“

              Quelle: Eckart Kleßmann: „Deutschland unter Napoleon in Augenzeugenberichten“ – Karl Rauch Verlag, Düsseldorf 1965 (Seite 58ff). Es gibt da noch mehr zum Thema, aber die Briefe alle anzuführen, würde zu weit führen. Wer mag kann das nachlesen.

              Wenige Monate später fiel Louis Ferdinand im folgenden Krieg.
              Zuletzt geändert von KDF10; 12.01.2011, 17:27.

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              • Tom
                Erfahrener Benutzer
                Chef de Bataillon
                • 03.10.2006
                • 1068

                #67
                Methodisches am Beispiel Preußen 1805 & Friedrich Wilhelm III.

                Einige Ansichten über Methodik

                a) Fakten und Bewertung
                Vielleicht etwas grundsätzliches zur Methodik hier: Geschichtswissenschaft besteht 1. aus Faktenkenntnis und 2. aus Bewertung / Interpretation. Ohne Faktenkenntnis steht jede Bewertung / Interpretation auf schwankendem Boden. In der math. Logik gibt es einen Satz, der besagt, dass man aus einer falschen Prämisse jede Schlussfolgerung ziehen kann.

                Faktenlage: Schauen wir uns also die Situation, in der sich Preußen 1805 befand, genauer an. Von Westen drohte Frankreich mit imperialen Ambitionen, von Osten Russland ebenso. Ende September waren russische Truppen drauf und dran, in Ostpreußen einzumarschieren - der preußische König war entschlossen, seine Neutralität bewaffnet aufrecht zu erhalten -, am 3. Oktober marschierten die Franzosen tatsächlich ins Ansbachische ein. Im preußischen Staatsrat vom 9. Oktober wurde eine bewaffnete Vermittlung (zwischen Frankreich und Russland / Österreich) beschlossen, allerdings gestattete man nunmehr den Russen den Durchmarsch durch Preußen. (Alles dargestellt nach Oncken: Österreich und Preußen im Befreiungskriege, Bd. II, S. 14ff. Man konsultiere auch Ranke: Denkwürdigkeiten Hardenberg). Die anschließende zögernde Politik Haugwitz´ist bekannt.

                Bewertung: Preußen und sein König Friedrich Wilhelm III. waren objektiv in einer schwierigen Lage, nämlich der, zwischen den beiden Großmächten zermalmt zu werden. Die vorsichtige, zögernde Haltung Friedrich Wilhelms III., der sein Land nicht in Kriegsabenteuer verstricken wollte, erscheint mir zumindest verständlich. Die Situation des Jahres 1806 konnte er nicht voraussehen (wir sollten uns hüten, mit der Kenntnis der späteren Ereignisse 1806 und 1813-15 Jemanden in der Situation von 1805 zu beurteilen). Deswegen ist auch ein "Dümmer gehts nimmer" ( http://www.napoleon-online.com/forum...ead.php?t=2136 ) als Bewertung Friedrich Wilhelms III. in 1805 für mich inakzeptabel.

                b) Quellenkunde
                Die wertvollsten Quellen sind Primärquellen (Akten, Augenzeugenberichte u.ä.). Hier setzt ernsthafte Geschichtsforschung an. Erst danach folgen Sekundärquellen. Unabhängig davon ist jede Quelle natürlich kritisch zu betrachten.
                Unter diesen Annahmen sind gerade die wissenschaftlichen Historiker des 19. Jahrhunderts besonders ernst zu nehmen (ich denke hier an Leute wie Pertz, Ranke, Delbrück, Oncken, Lehmann, Mommsen usw.). Nebenbei bemerkt, sehe ich nicht viele Geschichtsschreiber des 20. Jahrhunderts in dieser Liga. Historikern wie den oben genannten zuzuschreiben "Preußische Literatur aus dem 19. Jahrhundert über einen lebenden oder verstorbenen Herrscher ist weitgehend nicht anderes als Lobhudelei." ( http://www.napoleon-online.com/forum...?t=2130&page=7 ) scheint mir nicht gerechtfertigt zu sein.

                c) Hineinversetzen in die geschichtlichen Personen
                Ich unterstelle, dass die Menschen, die vor 200 Jahren gelebt haben, auch nicht dümmer und nicht schlechter als wir Heutigen waren. Man sollte gelegentlich versuchen, sich in ihre Lage reinzuversetzen, um die Motive bestimmter Entscheidungen zu verstehen. Welche Informationen hatten die damals Handelnden, zu welcher Auffassung der Lage kamen sie? Welche Ziele hatten sie? Welche Ressourcen standen ihnen zur Verfügung? Wenn man diese Fragen einigermaßen vernünftig (möglichst aktenmäßig) geklärt hat, löst sich manches Rätsel von selbst.
                Herabsetzungen ("Dümmer gehts nimmer", "Der russische Zar hatte von militärischen Dingen überhaupt keine Ahnung" oder "Kaiser Franz II., als österreichischer Kaiser Franz I., war gelernter Gärtner, und wohl einer der besten Botaniker seiner Zeit.") helfen nicht weiter. Alle drei gemeinten Herrscher (Friedrich Wilhelm III., Alexander I., Franz I.) standen dem größten Feldherrn ihrer Zeit, einem großen Staatsmann und Organisator, nämlich Napoleon, gegenüber und waren von ihm tödlich bedroht. Napoleon niederzuwerfen, erforderte enorme gemeinsame Anstrengungen und wäre von unterdurchschnittlich begabten Menschen sicherlich nicht zu leisten gewesen.
                Nebenbei bemerkt: Die schwierigste Aufgabe von allen ist m.E. das Feldherrntum. Hier werden die allerhöchsten Anforderungen an die handelnde Person gestellt: geistige Fähigkeiten, Abstraktionsvermögen, soziale Kompetenz, Reaktionsschnelligkeit, Arbeitskraft, Ausdauer, eiserne Willensstärke, kurz: Charakter.
                Fazit: "Die Kunst ist schwierig, die Kritik ist leicht."
                Zuletzt geändert von Tom; 12.01.2011, 22:09.

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                • KDF10
                  Erfahrener Benutzer
                  Chef de Bataillon
                  • 19.12.2010
                  • 1278

                  #68
                  Zitat von Tom Beitrag anzeigen
                  Einige Ansichten über Methodik

                  Nebenbei bemerkt: Die schwierigste Aufgabe von allen ist m.E. das Feldherrntum. Hier werden die allerhöchsten Anforderungen an die handelnde Person gestellt: geistige Fähigkeiten, Abstraktionsvermögen, soziale Kompetenz, Reaktionsschnelligkeit, Arbeitskraft, Ausdauer, eiserne Willensstärke, kurz: Charakter.
                  Fazit: "Die Kunst ist schwierig, die Kritik ist leicht."
                  Diese Kompetenzen fehlten bei allen Dreien. Siehe Jena und Auerstedt, siehe Austerlitz. Deshalb die Frage, war Napoleon nur deshalb der große Feldherr, weil er von den Schwächen seiner Gegner profitierte? Die Aussage von Louis Ferdinand ist doch deutlich. Die panikartigartige Flucht von Friedrich Wilhelm III. nach Jena und Auerstedt, ebenso wie die von Alexander I. nach Austerlitz macht deutlich, dass es da weder Charakter noch eiserne Willensstärke gab, von den anderen Fähigkeiten ganz zu schweigen. Ganz besonders fehlten die gemeinsamen Anstrengungen, Napoleon zu schlagen, jedenfalls bis 1813.
                  Zuletzt geändert von KDF10; 12.01.2011, 22:34.

                  Kommentar

                  • Sans-Souci
                    Erfahrener Benutzer
                    Major
                    • 01.10.2006
                    • 1841

                    #69
                    weitere methodische Anmerkungen

                    Ein weiterer Aspekt, den man berücksichtigen sollte, wenn man schon historische Persönlichkeiten auf einen einfachen Merksatz reduzieren möchte, ist der einer möglichen Entwicklung des Charakters im Laufe der Zeit.

                    Hat Friedrich Wilhelm III aus seinen Fehlern im Feldzug 1806 gelernt ? Oder stattdessen falsche Schlüsse gezogen ? Sich gar nicht geändert ?

                    Oder war Napoleon 1814 von Charakter und Fähigkeiten her derselbe wie 1796 ? Und ist er es die ganze Zeit zwischendurch geblieben ?

                    Und zum Prinzen Louis Ferdinand von Preußen: Bloß weil eine Person irgendwann irgendetwas geschrieben hat, was einem selber in der Argumentation gerade in den Kram paßt, stellt das noch keinen Beweis für die Richtigkeit der eigenen These dar. Nicht jeder seiner Zeitgenossen (die ihn alle besser kannten als wir heute mit unserem Wissen aus - bestenfalls - zweiter Hand) hielt damals den Prinzen Louis Ferdinand für einen begnadeten Staatsmann.

                    Das nur am Rande - für mich liegt der Reiz der historischen Forschung in der Fülle und Vielschichtigkeit der Details, den sich widersprechenden Ansichten und Behauptungen in den der Quellen, die oft nicht eindeutig auf einen Nenner zu bringen sind. Mir persönlich bringen da Cocktailparty-Weisheiten wie "
                    Der stets fürsorgliche oberste Kriegsherr war weder das, noch ein vorsichtiger, nüchterner Staatsmann." oder "Napoleon / war / war nicht / nur deshalb der große Feldherr, weil er von den Schwächen seiner Gegner profitierte." keinen Erkenntnisgewinn.

                    In den Fakten liegt die Wahrheit, nicht im Urteil über sie.

                    Oliver

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                    • Sans-Souci
                      Erfahrener Benutzer
                      Major
                      • 01.10.2006
                      • 1841

                      #70
                      gründliche Erörterungen, wie sie sein sollten

                      Als Hausaufgabe zum Thema, für jeden, der sich berufen fühlt. Bei einer zufriedenstellenden Lösung (die an sich ja schon Lohn genug ist) gibt es von mir noch eine gute Flasche Rotwein dazu. "Zufriedenstellend" bedeutet in diesem Forum, daß Markus, unser Admin, den Aufsatz für gut genug hält, ihn hier auf Napoleon-Online zu veröffentlichen.

                      Hier nun die Aufgabenstellung:

                      Prinz Louis Ferdinand schreibt am 9. Januar 1806 an seine Schwester:

                      Kann man sich denn wirklich in dem Maße täuschen wollen, kann man einen Erfolg hoffen, wenn man nichts tut, ihn hervorzubringen, wenn man keinen Entschluss fasst? Alles was geschieht ist so widerspruchsvoll, dass auch der Unerfahrenste sehen muss, wie alles den Stempel der Unentschlossenheit trägt. Wir leben in den Tag hinein, in einer Art von Erstarrung, die unbegreiflich ist, wenn man an die Wichtigkeit des Augenblicks denkt.
                      1.) Wer alles ist in dem Brief mit "man" gemeint und welcher Täuschung aufgrund welcher politischen Einschätzungen erlag "man" ?

                      2.) Wer teilte noch die Meinung des Prinzen ? Auf welchen politischen Einschätzungen beruhte sie ?

                      3.) Gab es von des Prinzen und "man" abweichende weitere Ansichten, wie die Politik Preußens zu gestalten sein ? Falls ja, auf welchen politischen Einschätzungen beruhten sie, und von wem wurden sie vertreten ?

                      4.) Welchen Einfluß hatten die verschiedenen in 1) bis 3) aufgeführten "Parteien" (vielleicht ist dieser Begriff auch völlig fehl am Platze ?) auf die Politik Preußens, und worauf beruhte deser Einfluß ?

                      5.) Gibt es Indizien, daß Vertreter der in 1) bis 3) aufgeführten Anscihten sich bei ihren politischen Einschätzungen nicht nur von ihrer Auffassung vom "Wohle des Staates", sondern auch von eigennützigen Zwecken leiten ließen ?

                      6.) Wenn man weitergehen will, kann man natürlich auch noch untersuchen, in wieweit die jeweiligen politischen Einschätzungen den offen (und möglicherweise auch den geheimgehaltenen) Absichten der anderen Staaten Europas entsprachen.

                      Alle Behauptungen müssen natürlich mit Quellenangaben belegt werden. Als Belege verwendet werden dürfen nur Aussagen (Memoiren, Briefe etc.) von Personen, die damals gelebt haben, unter Berücksichtung, wann die Texte geschrieben wurden (z.B. mit Wissen um den Ausgang des Krieges von 1806/7 und des von 1813/4), und ob sie aus erster Hand oder nur von Hörensagen berichten.

                      Oli

                      Kommentar

                      • KDF10
                        Erfahrener Benutzer
                        Chef de Bataillon
                        • 19.12.2010
                        • 1278

                        #71
                        Zitat von Sans-Souci Beitrag anzeigen
                        Und zum Prinzen Louis Ferdinand von Preußen: Bloß weil eine Person irgendwann irgendetwas geschrieben hat, was einem selber in der Argumentation gerade in den Kram paßt, stellt das noch keinen Beweis für die Richtigkeit der eigenen These dar.
                        Ich lese gerade das oben erwähnte Buch, bin aber erst bei Juli 1807 angelangt. Es gibt mehrere weitere negative Aussagen über Friedrich Wilhelm III. Hab ich gerade heute morgen gelesen (Seite 258). Ein Brief des bayerischen Gesandten de Bray vom 20. Juli 1807, den er nach einem Gespräch mit Napoleon an seinen König schrieb: "Über den König von Preußen äusserte er sich höchst ungünstig und in Ausdrücken, die ich nicht wiedergeben mag. Der Kaiser hielt diesen Monarchen für beschränkt, charakter- und talentlos. (...) Ich bemerkte darauf, dass der Kaiser doch wohl von der Königin einen günstigeren Eindruck empfangen habe. "Ja" erwiderte er, "mit der Königin ist es etwas anderes, sie ist eine Frau von Geist und Haltung - sie ist ihrem Gemahl weit überlegen."

                        Gruß

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                        • Latour-Maubourg
                          Erfahrener Benutzer
                          Sergent-Major
                          • 01.10.2006
                          • 196

                          #72
                          Zitat von Tom Beitrag anzeigen
                          Faktenlage: Schauen wir uns also die Situation, in der sich Preußen 1805 befand, genauer an. Von Westen drohte Frankreich mit imperialen Ambitionen, von Osten Russland ebenso. Ende September waren russische Truppen drauf und dran, in Ostpreußen einzumarschieren
                          hier wäre eine Quelle wünschenswert, denn man kann genausogut von Napoleon behaupten dass er Russland mit seiner Invasion zuvorkam. ausserdem erscheint mir so eine Ambition Russlands unwahrscheinlich, da sie 1805 ja noch als Bündnispartners Österreichs und Englands ausgereizt waren, und ein Jahr später selbst Verbündeter Preussens.

                          Kommentar

                          • Latour-Maubourg
                            Erfahrener Benutzer
                            Sergent-Major
                            • 01.10.2006
                            • 196

                            #73
                            "Der russische Zar hatte von militärischen Dingen überhaupt keine Ahnung"
                            ein Zitat von KDF10 aus dem anderen thread, macht aber evtl. mehr Sinn hier drauf einzugehn.

                            Alexander I war vielleicht kein Militärisches Genie, auch waren die Berater in der ersten Hälfte des Krieges nicht die hellsten Köpfe, aber ab ca. 1811 hat sich das doch etwas geändert. Barclay de Tolly wurde Nachfolger von Araktscheijew udn hat die Russische Armee massgebend zu einer modernen Streitmacht umgewandelt. auch erlaubte der Zar die von BdT beführwortete Strategie des Abnutzungs-Rückzugs während der Franz. Invasion 1812 bis zur Schlacht von Smolensk.
                            Die erste wichtige Intevention Zar Alexanders war in der Schalcht von Kulm 1813. hier überredete er Barclay de Tolly die Schlacht anzunehmen und den Österreichern gegen das sie verfolgende I Corps Vandamme zu unterstützen. wie sich herausstellen sollte war dies eine bedeutende Entscheidung, da die Hauptarmee nach dem glänzenden Sieg Napoleons bei Dresden nun wieder selbst die Initiative hatten.
                            1814 auch, nach der von Kosaken abgefangenen Depeche, entschloss der Zar sich das Corps Wintzingerode als Köder zu Opfern um Napoleon von Paris wegzulocken, und die beiden Marschälle Marmont und Mortier mit der Hauptarmee anzugreifen und dann auf Paris vorzugehn, ohne dass Napoleon dann noch hätte reagieren können, wies ja auch gekommen ist.
                            abgesehn davon hat Alexander I während seiner Herrschaft Russland beträchtlich vergrössert, Finnland, Bessarabien und den grössten Teil Polens. sicher kein Zufall.

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                            • Tom
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                              Chef de Bataillon
                              • 03.10.2006
                              • 1068

                              #74
                              Literatur Preußen 1805

                              Zitat von Latour-Maubourg Beitrag anzeigen
                              hier wäre eine Quelle wünschenswert, denn man kann genausogut von Napoleon behaupten dass er Russland mit seiner Invasion zuvorkam. ausserdem erscheint mir so eine Ambition Russlands unwahrscheinlich, da sie 1805 ja noch als Bündnispartners Österreichs und Englands ausgereizt waren, und ein Jahr später selbst Verbündeter Preussens.
                              Hallo Latour,

                              ich hatte wenige Zeilen später die zwei Literaturbelege (Oncken: Österreich und Preußen... sowie Ranke: Denkwürdigkeiten Hardenberg), auf die ich mich abstützte, genannt. Oncken bringt archivalische Auszüge u.a. aus Schreiben Metternichs (damals Botschafter / "Minister" in Berlin) und Hardenberg ist Augenzeuge ersten Ranges. Es gibt natürlich noch sehr viel mehr Literatur, z.B. Gr. Generalstab: Die preußischen Kriegsvorbereitungen ... 1805. In: Kriegsgeschichtliche Einzelschriften, Heft 1, Kircheisen: N. und seine Zeit (Bd. 6), Fournier: N. usw.

                              Gruß, Tom
                              Zuletzt geändert von Tom; 14.01.2011, 07:52.

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                              • KDF10
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                                Chef de Bataillon
                                • 19.12.2010
                                • 1278

                                #75
                                Napoleon wurde politisch zu dem Krieg von 1812 gezwungen, meinte Liebenstein (glaube ich, ich hab so viele Bücher, und sollte mir wohl mehr Notizen machen). 1811 (?) hat Napoleon gegenüber dem bayerischen General Wrede geäußert: "In drei Jahren bin ich Herr der Welt." Napoleons ursprüngliche Absicht war, den Krieg in Spanien zu beenden, und nach einer Ruhepause Russland anzugreifen, also vermutlich 1814 oder 1815. Sein Problem war, dass Österreich und Preußen hinter seinem Rücken aufrüsteten, Preußen etwa mit dem Krümper-System. Hätte er bis 1814 gewartet, wären Österreich und Preußen militärisch wesentlich stärker gewesen, und hätten sich möglicherweise mit Russland verbündet. Deshalb musste er 1812 den Krieg mit Russlands beginnen, soweit die These Liebensteins. Bereits im Herbst 1811 schloss Scharnhorst in Sankt Petersburg ein Bündnis mit Russland, dass aber nur für den Fall eines Angriffs auf Preußen galt, den es 1812 nicht gab, womit das Bündnis, auch durch den Vertrag zwischen Preußen und Frankreich, erledigt war.

                                Zu Alexander I. habe ich grundsätzlich eine andere Meinung. Barclay de Tolly hat er 1812 fallen gelassen. Eine moderne Streitmacht war die russische Armee 1812 nicht. Sie war weit hinter anderen Armeen zurück. Ein Grund warum so viele ausländische Offiziere in der russischen Armee dienten. Die aufzuzählen, würde eine ellenlange Liste ergeben. Die einfachen Soldaten waren überwiegend Leibeigene. Ihr "Besitzer" musste zwei von 500 Seelen 1812 für die Armee stellen. Kaum vorstellbar, dass er seine besten Leute geschickt hat. Vielmehr hat er die geschickt, die ihm entbehrlich erschienen oder ihm ein Dorn im Auge waren. In einigen Fällen sind Männer auch nur zu Soldaten geworden, weil sie eine attraktive Frau hatten, auf die der Adlige ein Auge geworfen hatte.

                                Ob Alexander I. Barclay de Tolly wirklich überredet hat, die Schlacht von Kulm 1813 anzunehmen, weiß ich nicht. Wäre die Schlacht verloren gegangen, hätte Barclay de Tolly die Schuld gehabt, da sie gewonnen wurde war Alexander I. der Sieger?

                                Zwei gute Bücher zu dem Thema:

                                Jacques Presser: Napoleon Das Leben und die Legende, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1977

                                Alan Palmer: Alexander I. Gegenspieler Napoleons, Bechtle Verlag, Esslingen 1982

                                Gruß
                                Zuletzt geändert von KDF10; 14.01.2011, 14:56.

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