Kriegsverbrechen unter Napoleon?

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  • KDF10
    Erfahrener Benutzer
    Chef de Bataillon
    • 19.12.2010
    • 1278

    #61
    War auch nicht so gemeint. Zu dem Thema gibt es hier absolute Fachleute, von denen ich noch viel lernen kann. Ganz und gar nicht ironisch gemeint, Zinnfigurenliebhaber wissen oft mehr über einzelne Eihnheiten als mancher Historiker. Wenn ich Guido Knopp nach dem 129. französischen Linieninfanerieregiment fragen würde, das aus Oldenburgern bestand, dann würde er wahrscheinlich dicke Backen machen, und danach zugeben, dass er davon keine Ahnung hat. Wenn es hier aber um das Kernthema an sich geht, nämlich Napoleon (wir befinden uns hier bei Napoleon-Online) ist ein Konsens unmöglich?

    Es gab damals weder die Genfer Konvention noch die Haager Landkriegsordnung. Ein ausgeprägtes Bewusstsein für Verbrechen gab es aber schon. Wir vergessen immer wieder, dass die Menschen der damaligen Zeit die gleichen Empfindungen hatten, wie wir heute, auch wenn manches völkerrechtlich noch nicht so geregelt war. Bei Poppe bin ich auf ein ganz aktuelles Thema gestossen. Rauchverbot in der Öffentlichkeit! Das gab es schon 1812. Weniger aus gesundheitlichen Gründen, vielmehr wegen der Brandgefahr,

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    • Nikolaj
      Erfahrener Benutzer
      Sergent
      • 27.12.2009
      • 122

      #62
      Servus allseits,

      @ Gunter
      "Vielleicht wäre es bei solchen recht offenen Fragestellungen besser, wenn man die Definition der zentralen Begriffe wie hier "Kriegsverbrechen" erstmal klar vorgiebt und zur Diskussion stellt."
      schriebst Du und dem kann ich nur zustimmen.

      Ich versuch mal einen Ansatz, den Rechtsgrundsatz "Nulla poena sine lege" (wörtl: "keine Strafe ohne Gesetz"), der in der einen oder anderen Formulierung auch für die napoleonische Epoche relevant ist. Auf unser Thema übertragen: Napoleon kann man mE nicht als Kriegsverbrecher anklagen, weil der Begriff bzw. die damit verbundene Rechtsmaterie für seine Zeit anachronistisch ist. "Kriegsverbechen", das wurde hier ja schon angesprochen, hatte einen ganz anderen Bedeutungsinhalt, meinte "spezifisch militärische Delikte" (vom Desertieren bis zum Verhexen von Waffen).

      Somit meine ich, Napoelon war kein "Kriegsverbrecher" im heutigen Sinne. Dennoch stehe ich ihm sehr kritisch gegenüber und finde - wie hier bereits vielfach angesprochen - vom Herzog v. Enghien bis zu Plünderungen reichlichst Gelegenheiten wo er "net guat tan hat" (so die anekdotisch überlieferte Antwort Kaiser Franz´ auf die Frage des Herzogs von Reichstadt, warum sein Vater Napoleon denn interniert sei)

      "Net guat tuan", schuldhaft handeln hat - das zeigt uns (leider) gerade die wissenschaftliche Aufarbeitung der Verbrechen des Schicklgruaber und seiner Kumpane - hat in diesem Fall zwei Dimensionen:

      "institutionelle" Verantwortung/Schuld
      "individuelle" Verantwortung/Schuld

      für erstere wäre etwa systematische Plünderung der Armee wegen mangelnder Logistik, für zweitere der Mordbefehl am Herzog v. Enghien beispielhaft.

      Mein Vorschlag wäre es damit: sich nicht auf der Kategorie "Kriegsverbrechen" oder - weitergehend - "Völkerrechtsverbrechen" aufzuhängen, das halte ich für eine Sackgasse, weil anachronistisch und - siehe oben "nulla poena...". Positive bzw. negative Aspekte seines Wirkens, und das durchaus auch aus der Perspektive von uns Nachgeborenen zu diskutieren, gerne auch zu werten, kann hingegen höchst fruchtbar sein und wurde hier ja auch schon ganz wunderbar vorgeführt...

      Ciao, Klaus
      PS: allfällige Vergleiche zwischen N. und Hitler halt ich für höchst entbehrlich, weil ebenfalls anachronistisch.

      Kommentar

      • Gunter
        Erfahrener Benutzer
        Chef de Bataillon
        • 01.10.2006
        • 1377

        #63
        Eins ist sicher, es ist wenig sinnvoll, Napoleon das Führen von Angriffskriegen vorzuwerfen. Er wird dessen gern sogar dann beschuldigt, wo dieser Sachverhalt garnicht zutrifft, z.B. beim Feldzug von 1809.
        Alles andere ist eine Frage der damals gültigen Rechtsnormen, die nach dem formaljuristischen Befund keineswegs mit den damaligen moralischen Mindestgrundsätzen übereinstimmen mussten, geschweige denn den heutigen. Allerdings muss man dazu auch erwähnen, dass die autokratische Rechtsbeugung (auch in Fragen von Leben und Tod) eben zu seiner Zeit durchaus gängig war, nicht nur bei dem "bösen" Diktator und Emporkömmling Napoleon. Für Monarchen gab es keine Gerichtsinstanz, somit konnte es auch keine für Napoleon geben. Vor diesem Hintergrund ist die von einigen Preußen erhobene Forderung, Napoleon hinzurichten, ein Ausdruck hinterwäldlerischer Barbarei.
        Eine schwierige Frage sind freilich Verstöße gegen völkerrechtliches Gewohnheitsrecht, gerade bei solchen Dingen wie der Gefangenenbehandlung.

        Grüße

        Gunter

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        • KDF10
          Erfahrener Benutzer
          Chef de Bataillon
          • 19.12.2010
          • 1278

          #64
          Zitat von Gunter Beitrag anzeigen
          Vor diesem Hintergrund ist die von einigen Preußen erhobene Forderung, Napoleon hinzurichten, ein Ausdruck hinterwäldlerischer Barbarei.
          Warum? Es hätte Waterloo nie gegeben, und wenn es um "hinterwäldlerische Barbarei" geht, muss man bei Napoleon nicht lange suchen.

          Kommentar

          • excideuil
            Erfahrener Benutzer
            Sergent-Major
            • 24.09.2009
            • 207

            #65
            Zitat von Gunter Beitrag anzeigen
            Eins ist sicher, es ist wenig sinnvoll, Napoleon das Führen von Angriffskriegen vorzuwerfen.
            Na, ja, Frankreich in Moskau zu verteidigen ist genauso unlogisch wie Deutschland am Hindukusch. Aber so ist das mit der Ideologie. Man muss daran glauben.

            Grüße
            excideuil

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            • Martin
              Erfahrener Benutzer
              Fourrier
              • 11.07.2007
              • 100

              #66
              An dieser Stelle etwas zum Thema Völkerrecht. Das Zitat stammt aus

              MANFRED BOTZENHART
              FRANZÖSISCHE KRIEGSGEFANGENE
              IN DEUTSCHLAND
              1870/71


              "Der wahrscheinlich erste völkerrechtliche Vertrag mit Bestimmungen über den Schutz und die menschenwürdige Behandlung von Soldaten während der Gefangenschaft ist der Freundschafts- und Handelsvertrag zwischen Preussen und den Vereinigten Staaten von Amerika aus dem Jahre 1785. Hier wurde in Art. 24 verboten, Gefangene in ferne Gebiete zu verlegen oder sie ungesundem Klima auszusetzen. Sie durften nicht in Gefängnissen untergebracht oder sonst wie Strafgefangene behandelt werden. Sie hatten Anspruch auf die gleiche Unterkunft und Verpflegung wie die Truppen der Gewahrsamsmacht und hatten das Recht, Hilfssendungen zu erhalten und mit der Heimat zu korrespondieren."

              Nachzulesen unter



              oder




              Damit gab es erste vertraglich festgelegte Verhaltens- und Umgangsregeln im Kriege, zwischen zwei Nationen. Ob ähnliches z. Bsp. im Frieden von Tilsit vertraglich vereinbahrt wurde, ist mir nicht bekannt. Ich möchte damit sagen, daß derartige Überlegungen damals nicht gänzlich neu waren.

              Grundsätzlich bin ich jedoch der Meinung, daß man Handlungen des 19ten Jahrhundert, auch nur nach den Maßstäben des 19ten Jahrhunderts bewerten kann. Handlungen die heutzutage unter Strafe stehen, waren damals ausdrücklich erlaubt bzw. nicht verboten. Auch die Wertmaßstäbe waren damals andere, als sie es heute sind. Festzustellen, daß die Menschen der damaligen Zeit genauso empfunden und gedacht haben, wie wir es heute tun, ist m.E. etwas weit hergeholt.
              Zuletzt geändert von Martin; 28.04.2011, 11:35.
              Schlesisches Grenadier-Bataillon

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              • Gunter
                Erfahrener Benutzer
                Chef de Bataillon
                • 01.10.2006
                • 1377

                #67
                Zitat von KDF10 Beitrag anzeigen
                Warum? Es hätte Waterloo nie gegeben, und wenn es um "hinterwäldlerische Barbarei" geht, muss man bei Napoleon nicht lange suchen.
                Diese Angelegenheit ist eine Frage des Rechts. Was würdest du denn sagen, wenn Napoleon gefordert hätte den preußischen König erschießen zu lassen? Dieser "böse" Mann hat doch 1806 Krieg gegen Frankreich geführt und sogar Verrat gegen sein 1812er Bündnis mit Napoleon begangen. Soweit zur Legitimität solcher Forderungen.

                Grüße

                Gunter

                Kommentar

                • Gunter
                  Erfahrener Benutzer
                  Chef de Bataillon
                  • 01.10.2006
                  • 1377

                  #68
                  Zitat von excideuil Beitrag anzeigen
                  Na, ja, Frankreich in Moskau zu verteidigen ist genauso unlogisch wie Deutschland am Hindukusch. Aber so ist das mit der Ideologie.
                  Das hat mit Ideologie rein garnichts zu tun. Das Führen von Angriffskriegen galt damals als legitim (heute wird es eben unter humanitären Vorwänden gemacht, was nur erbärmlich und verlogen ist). Beim Aggressorentum nahm sich Napoleon nun wirklich nichts mit seinen Zeitgenossen. Russland in Paris zu verteidigen ist nämlich genau dasselbe. Der einzige Unterschied ist nur, dass seine Monarchenkollegen ihren Raub behalten konnten. Das legitimiert ihr Verhalten in meinen Augen keinesfalls. Gleiches Recht für alle.

                  Grüße

                  Gunter

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