Russland gegen Napoleon (1812-1814) - Die Schlacht um Europa

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  • HKDW
    Erfahrener Benutzer
    Colonel
    • 02.10.2006
    • 2962

    #31
    Tolstoi ist kein Zeitzeuge - er schrieb einen Roman - das ist schon alles.
    Da interessieren mich eben Memoiren tatsächlicher Zeitzeugen mehr.

    Ansonsten finde ich Aussagen - die konnten nicht einmal Karten lesen - für weit hergeholt, Napoleon wohl auch nicht - siehe Belle Alliance.

    Der russische Organisationsgrad - hinsichtlich Logistik - war auf jedefalls zig fach besser als der französische.

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    • Gunter
      Erfahrener Benutzer
      Chef de Bataillon
      • 01.10.2006
      • 1377

      #32
      Bei Tolstoi sollte man sich fragen, ob er nicht seine eigenen Erfahrungen verarbeitet und seine Agenda vor dem historischen Hintergrund verfolgt. Das ist generell in Film und Literatur üblich, was leider unser Geschichtsbild vieler Epochen stark geprägt hat. Da muss ich HK klar zustimmen, die Memoiren von Zeitgenossen sind da wesentlich wertvoller, wenn auch deren Verfasser natürlich auch eigene Ziele verfolgten. Das dürfte einem aber bei der Lektüre bekannt sein und zudem sind diese Werke dem Erlebten doch näher als irgendwelche Romane.

      Grüße

      Gunter

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      • Bataaf
        Erfahrener Benutzer
        Sous-Lieutenant
        • 06.03.2007
        • 364

        #33
        Leider nur auf Holländisch, vor Jahren ist eine Studie über dieser Roman von Tostoi in Bezug auf die Geschichtsschreibung erschienen, durch Eelco Runia.

        De pathologie van de veldslag. Geschiedenis en geschiedschrijving in Tolstoj's Oorlog en vrede. (Verlag: Meulenhoff , 1995)

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        • joerg.scheibe
          Erfahrener Benutzer
          Capitaine
          • 02.10.2006
          • 592

          #34
          Tolstoi?

          wird -m.E.- in diesem Kontext falsch in Verbindung gebracht.
          Vor (inzwischen Jahrzehnten) versuchte ich, ihn als Feldzugsbeschreibung zu lesen und war schwer enttäuscht.
          Als vor einigen Jahren dieser unsägliche Fernseh-Mehrteiler kam, habe ich mir statt dessen das Buch noch mal vorgenommen und bin schwer beeindruckt.
          Tolstoi beschreibt, vor dem Hintergrund der Ereignisse 1803 bis 1812, "seine eigene Agenda" (wie Gunter formulierte), nämlich den Untergang einer Welt des russischen Landadels.
          Das macht er -wiederum m.E.- ganz gut.

          Er hat eben nur nix in einer Diskussion über die Feldzüge 1812-1815 zu suchen

          Ich habe mittlerweile HDKWs Rat befolgt, und auf dem Arbeitsweg Lievens Vortrag gelauscht. Hochgradig spannend!

          Die Frage, die bleibt, ist nun: Wird all das, was in dem Vortrag dran war (Außenpolitik, Makroökonomie, Psychologische Verfasstheit der Hauptakteure usw.) in dem Buch ausführlich behandelt oder war das der "Bonustrack" auf der Vortragsveranstaltung?
          Dagegen scheinen Feldzugsverlauf und Wetterdaten, selbst die Organisation der Armeen, doch eher Gemeingut zu sein.
          Für mich irritierend, das Lieven ohne Mikaberidze auskommt (vgl.Quellenliste)

          Na ja, es bleibt weiter spannend.
          Jörg
          The light at the end of the tunnel
          is from an oncoming train.

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          • Gunter
            Erfahrener Benutzer
            Chef de Bataillon
            • 01.10.2006
            • 1377

            #35
            Hallo Jörg,

            der Vortrag entspricht in weiten Teilen dem Vorwort. Bei den heereskundlichen Details wird vielleicht mancher enttäuscht sein, da findet man anderswo wesentlich genauere Angaben, aber das ist auch nicht Aufgabe dieser Untersuchung. Bei manchen Sachen frage ich mich aber schon, ob da eine Begrenztheit des Verständnisses des Verfassers vorliegt, oder ob das Problem in der Übersetzung liegt.

            Zitat von joerg.scheibe Beitrag anzeigen
            Für mich irritierend, das Lieven ohne Mikaberidze auskommt (vgl.Quellenliste)
            Das tut er doch garnicht, siehe S. 741. Der Quellen- und Literaturanhang am Schluss ist eher eine Art Liste zur Lektüreempfehlung, in den Endnoten findet man noch andere Sachen. Ist das jetzt englischer wissenschaftlicher Stil? Ich würde das jedenfalls nicht so machen.

            Grüße

            Gunter

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            • Gunter
              Erfahrener Benutzer
              Chef de Bataillon
              • 01.10.2006
              • 1377

              #36
              Zitat von HKDW Beitrag anzeigen
              Der russische Organisationsgrad - hinsichtlich Logistik - war auf jedefalls zig fach besser als der französische.
              So hat es den Anschein, zumindest was die strategische Dimension betrifft. Dabei hatten die russischen Truppen noch nicht mal Einheiten des Versorgungstrains wie die Franzosen. Allein die Tatsache, dass es irgendeine Institution gab, die zu einem bestimmten Zweck in Uniform gesteckt wurde, sagt also letztlich garnichts aus.

              Grüße

              Gunter

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              • Tellensohn
                Erfahrener Benutzer
                Chef de Bataillon
                • 16.02.2011
                • 1253

                #37
                Zitat von HKDW Beitrag anzeigen
                Der russische Organisationsgrad - hinsichtlich Logistik - war auf jedefalls zig fach besser als der französische.

                Meinst Du das jetzt im Hinblick auf einen bestimmten Feldzug oder allgemein? Ich meine, die Franzosen hatten es in der Regel auch wesentlich schwerer als andere. Meist führten sie einen Mehrfrontenkrieg bzw. Krieg gegen mehrere Gegner gleichzeitig: gegen Österreicher oder/und Preussen oder/und Russen, ab 1808 gegen die Spanier, gegen die Engländer zur See, in den Kolonien, auf der iberischen Halbinsel, im italienisch-adriatischen Raum, etc. Auf ihre "Verbündeten" konnten sie sich in der Regel ja wohl nicht verlassen. Also immer die Gefahr, dass einem wer in den Rücken fällt, etc. Das für die Logistik zuständige Personal und darunter insbesondere die fähigen Leute knapp und auf zu viele Schauplätze verteilt. Unter solchen Umständen hätten ja wohl auch die Russen oder jede andere grössere Macht Mühe bekundet, ein durch und durch gut organisiertes Logistikwesen aufrechtzuerhalten. Oder sehe ich das falsch?
                Zuletzt geändert von Tellensohn; 18.10.2011, 14:48.

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                • HKDW
                  Erfahrener Benutzer
                  Colonel
                  • 02.10.2006
                  • 2962

                  #38
                  Ich meine es Allgemein.
                  Der nicht vorhandene (überspitzt ausgedrückt) Organisationsgrad in der französischen Armee - funktionierte immer so lange - wie die Armee plündernd auf dem Marsch war.
                  Mußte diese auch mal ruhen, siehe 1807 - kam es ja auch schon in verbündeten Gebiet zu Schwierigkeiten.

                  Deswegen war auch nur eine begrenzte Offensive möglich und nicht in einem Großraum wie Rußland. Die Rußen hätten ja nicht eine Schlacht schlagen müssen, mit etwas Geduld hätte Napoleon sowieso wieder sich zurückziehen müssen.

                  Die russische Armee kämpfte ja auch an mehreren Fronten, siehe Finnland, oder die Ottomanen.
                  Natürlich gab es wie in jeder Armee in einem Feldzug - Engpäße - aber auch gegen die Ottomanen haben sie sich behauptet, oder im Feldzug 1799 gegen die Franzosen.

                  Übrigens war es auch bei den Franzosen üblich - sich gegenseitig auszuplündern - wie man in einigen Memoiren gut lesen kann - manchmal sogar als Kossaken verkleidet.

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                  • joerg.scheibe
                    Erfahrener Benutzer
                    Capitaine
                    • 02.10.2006
                    • 592

                    #39
                    @Gunter,

                    danke für die Aufklärung.

                    Jörg
                    The light at the end of the tunnel
                    is from an oncoming train.

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                    • HKDW
                      Erfahrener Benutzer
                      Colonel
                      • 02.10.2006
                      • 2962

                      #40
                      Ich teile auch Gunters Meinung, bei manchen Details wird Lieven sehr schwach sein - siehe auch Quellen Haythornthwaite : Weapons & Equipment of the Napoleonic Wars, wenn er sich darauf stütz um sich Wissen über die rußische Bewaffnung anzueignen - wird das nicht ausreichen.

                      Aber das ist ja nicht die Intention des Buches.

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                      • Tellensohn
                        Erfahrener Benutzer
                        Chef de Bataillon
                        • 16.02.2011
                        • 1253

                        #41
                        Zitat von HKDW Beitrag anzeigen
                        Die russische Armee kämpfte ja auch an mehreren Fronten, siehe Finnland, oder die Ottomanen.
                        Natürlich gab es wie in jeder Armee in einem Feldzug - Engpäße - aber auch gegen die Ottomanen haben sie sich behauptet, oder im Feldzug 1799 gegen die Franzosen.
                        Na ja, das ist ja wohl schon ein bisschen Äpfel mit Birnen verglichen. Finnland und Ottomanen, also Schweden und Türkei (beide militärisch gesehen relativ schwach bzw. rückständig) als Kriegsgegner. Da waren Österreich, Preussen, Russland, England und auf ihre Weise sogar die spanische "Armee" der Guerra de Independencia Española ja doch ganz andere Kaliber...

                        Und 1799 waren die französischen Armeen ja auch noch immer Armeen der Revolution mit relativ hohem Improvisationsgrad, bei denen man aus nachvollziehbaren Gründen eine Logistik, wie man sie von der späteren kaiserlich-französischen Armee - vielleicht - hätte erwarten dürfen, sicherlich nicht voraussetzen darf. Es wäre also schon etwas schändlich gewesen, wenn die Russen 1799 - zumindest formal - nicht die besser organisierte Logistik gehabt hätten als die Franzosen. Genützt hat es ihnen damals nichts.
                        Zuletzt geändert von Tellensohn; 18.10.2011, 15:49.

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                        • Gunter
                          Erfahrener Benutzer
                          Chef de Bataillon
                          • 01.10.2006
                          • 1377

                          #42
                          Was die Versorgung betrifft, so war die kaiserliche Armee nicht viel anders als die revolutionären Heere - eine Räuberbande nämlich. Deshalb war die Disziplin auch nie wirklich gut, was letztlich zu mehreren extremen Zusammenbrüchen führte, die kriegsentscheidend waren.

                          Grüße

                          Gunter

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                          • KDF10
                            Erfahrener Benutzer
                            Chef de Bataillon
                            • 19.12.2010
                            • 1278

                            #43
                            Zitat von HKDW Beitrag anzeigen
                            Der russische Organisationsgrad - hinsichtlich Logistik - war auf jedefalls zig fach besser als der französische.
                            Belegte Beispiele? Lies mal Clausewitz, der schrieb, dass er nie so unter Durst gelitten hat wie 1812. Nicht einmal Wasser war ausreichend vorhanden. Uxkull und andere Augenzeugen berichten über Mangel an Ausrüstung und Nahrung. Bereits vor Beginn des Krieges war die russische Armee in Teilen katastrophal unterversorgt. Der Logistik-nicht-Versteher ist aus heutiger Sicht Napoleon. Da muss ich mal eine Lanze für ihn brechen. Der hat wenigstens versucht, das zu organisieren. Hat nicht geklappt. Hier zu behaupten, dass der russische Organisationsgrad - hinsichtlich Logistik - zigfach besser war, meinst du doch nicht im Ernst. Den Russen waren doch die einfachen Soldaten, meist Leibeigene, vollkommen egal. Es gab genug davon

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                            • KDF10
                              Erfahrener Benutzer
                              Chef de Bataillon
                              • 19.12.2010
                              • 1278

                              #44
                              Warum spielt der Krieg von 1813 bis 1814 in der russischen Geschichtsschreibung keine Rolle? Nach Kutusows Tod gab es keinen wirklichen russischen Feldherrn in der russischen Armee. Wittgenstein, Bennigsen, Barclay de Tolly? Da war doch nix mehr mit echten russischen Wurzeln. Hierbei darf man nicht die Geschichtsklitterung unter dem russischen Kommunismus vergessen. Solche Namen passten einfach nicht in die damalige russische Geschichtsschreibung. Ebensowenig ein russischer Zar als europäischer Held, nachdem die Bolschewiki die Zarenfamilie ausgerottet haben. Im heutigen Russland ist man sich der Jahre 1813 und 1814 durchaus bewusst und sieht das heute anders. Da wird Alexander I. langsam aber sicher zum Retter Europas

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                              • Tellensohn
                                Erfahrener Benutzer
                                Chef de Bataillon
                                • 16.02.2011
                                • 1253

                                #45
                                Zitat von Gunter Beitrag anzeigen
                                Was die Versorgung betrifft, so war die kaiserliche Armee nicht viel anders als die revolutionären Heere - eine Räuberbande nämlich.
                                Ach hören wir doch auf, aus den Russen (und anderen Gegnern Napoleons) Heilige zu machen. Es finden sich immer Quellen, die zeigen, dass die auch nicht besser waren. Man muss es eben nur zur Kenntnis nehmen (wollen). Hier mal nur ein paar Beispiele, die ich gerade zur hand habe (aus: Eckart Klessmann (Hg.), Die Befreiungskriege in Augenzeugenberichten, München 1973):

                                Der Gutsbesitzer Zeis (wohnhaft nahe Dresden) am 8. September 1813:

                                "Der Mittwoch, der 8. September, unterschied sich von den zunächst vergangenen Tagen durch nichts als dass unser vorher schon hart mitgenommenes Dorf von den gemeinen Russen noch mehr misshandelt wurde. Alle Öfen wurden zerschmissen, die Betten zerschnitten, das Vieh geraubt und Brot und andere Viktualien gewaltsam mitgenommen..."(S.145)

                                Perthes im Dezember 1813 aus Hamburg:

                                "Schwer liegt mir unsere [hanseatische] Legion auf dem Herzen...Unreines böses Blut haben unsere Kosakenfreunde ihr gleich nach der Errichtung einverleibt,...Unordnung und Schandtaten werden von solchen Banditen, die man auszustossen nicht die Entschlossenheit hat, verübt;..."(S.210f.)

                                Hegel am 23. Dezember 1813 aus Nürnberg:

                                "Der Preis der Einquartierung in den Schenken ist für 1 Russen 1 fl. 12 kr. (doch auch 1 fl. 30 kr., selbst 2 fl.), für einen Österreicher 52 kr. (für einen Franzosen waren es 48 kr.), für 1 Bayer 36 kr., für 1 bayerischen Rekruten 24 kr. - welcher Gradationsstempel! Der Russe ist aber dreimal teurer als ein bayerischer Rekrut um drei Qualitäten willen: 1. des Stehlens, 2. der Läuse, 3. des entsetzlichen Branntweinsaufens (jedoch in Ansehung des ersten Punkts kann ich den Russen zur Ehre bezeugen, dass ich von einem Österreicher bestohlen worden. Russen hatte ich noch nicht im Hause! sonst haben diese aber sozusagen Dörfer ausgeplündert);...was das sonstige Benehmen betrifft, so versicherte mich neulich eine honette Bürgersfrau, dass sie zwei Russen gehabt, aber lieber sechs Franzosen wollte als ein solches Schwein, und wiederum lieber drei Russen als von denen 44 Freiwilligen, die ihre Stadt neulich gestellt!..."(S.214f.)

                                Nicht, dass durch solche Berichte, die Schandtaten der Franzosen schöngeredet werden sollen. Sie zeigen aber deutlich, dass die hier zuletzt etwas überhand nehmende Verklärung der Gegenseite auch nicht den Tatsachen entspricht.


                                Deshalb war die Disziplin auch nie wirklich gut, was letztlich zu mehreren extremen Zusammenbrüchen führte, die kriegsentscheidend waren.
                                Dass die fehlende Disziplin die Franzosen zu Fall bringen würde, davon waren die Preussen anno 1806 auch überzeugt. Und zuvor schon alle Gegner der "undisziplinierten" Revolutionsarmeen. Die Geschichte hat sie eines besseren belehrt. Nicht die "fehlende Disziplin" war für die "mehreren extremen Zusammenbrüche" verantwortlich und damit kriegsentscheidend, sondern ein Zusammenwirken vieler Faktoren, darunter die Tatsache, dass die eigentliche französische Armee (also ohne unzuverlässige Verbündete) schlicht überfordert war: von den Plänen ihres grossmannssüchtigen obersten Feldherrn; von den vielen Gegnern, die vom Willen geeint waren, Napoleon zu Fall zu bringen; von den allzu vielen Fronten, an denen sie gleichzeitig präsent sein musste.
                                Zuletzt geändert von Tellensohn; 18.10.2011, 20:19.

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                                Lädt...
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