Zitat von Bataaf
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Literatur 1812
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Die These vom russischen Rückzug aus Unfähigkeit mag ich auch nicht glauben, das erscheint als Erklärung viel zu eindimensional. Da wird doch geradezu so getan, als hätte die russische Seite keine Ahnung gehabt, was beim Gegner los war. Dabei war die Spionagetätigkeit im Vorfeld schon sehr intensiv (nachzulesen bei Lieven) und das musste sich auf die Strategie niederschlagen. Anders kann man die seltsame Konstellation des Verhältnisses von Alexander und Barclay de Tolly kaum erklären. Ich vermute sogar, dass der Zar sich über den Rückzugsplan im Klaren war, beide diese realistische Option aber nicht öffentlich zugeben konnten, weil man sie einen Kopf kürzer gemacht hätte. Verschwiegenheit über die eigentlichen Inhalte ist da natürlich Pflicht gewesen. Wahrscheinlich haben die beiden die Grundzüge des Plans nur mündlich abgesprochen, um keine Angriffsflächen zu bieten. Wenn Barclay für seinen Teil unfähig gewesen wäre, dann hätte Alexander ihn einfach nach Volkslaune als Sündenbock abgeschoben, was aber so nicht der Fall war. Er wusste nämlich genau, dass der den Erfolg überhaupt erst möglich gemacht hatte.
Würde man eine ähnliche These genauso über Napoleon aufstellen, dann käme man zu dem Schluss, dass sein Vormarsch in der durchgeführten Art und Weise Ausdruck von extremer Unfähigkeit war.
Grüße
Gunter
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Zitat von Gunter Beitrag anzeigenInzwischen habe ich den Band von Adam Zamoyski fertiggelesen und ich bin mit dem Werk wieder ausgesöhnt.
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Zitat von Gunter Beitrag anzeigenDas sind eindeutig die negativen Seiten an Zamoyskis Buch: immer wieder streut er ausgeleierte Plattheiten und faktischen Unsinn ein. Die Stärke liegt in den Quellenzitaten, aber auch da hat der Leser mehr davon, wenn er die im ursprünglichen Zusammenhang liest und nicht als kompilierte Bruchstücke. Insgesamt ist das alles ein deutlicher Wink, bei Jubiläumspublikationen vorsichtig zu sein.
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Natürlich fordern Zamoyskis Thesen es geradezu heraus, sich mit ihnen kontrovers auseinander zu setzen ( besonders vor dem Hintergrund, dass sie angesichts der Verbreitung bzw. Auflage des Buches das Allgemeinbild deutlich zu prägen geeignet sind ). Interessant wäre es jedoch, dies unter Berücksichtigung der von ihm für seine Thesen angeführen Argumente zu tun. Oder zumindest seine Quellenanalyse mit derjenigen der entgegenstehenden Meinung abzugleichen. Dazu müßte man das Buch natürlich zumindest lesen.
Klar ist aber sicher auch, dass es seine Stärke nicht in der tiefergehenden Betrachtung einzelner Ereignisse des Feldzugs von 1812 hat - siehe oben -.
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Zitat von Gunter Beitrag anzeigenDie These vom russischen Rückzug aus Unfähigkeit mag ich auch nicht glauben, das erscheint als Erklärung viel zu eindimensional. Da wird doch geradezu so getan, als hätte die russische Seite keine Ahnung gehabt, was beim Gegner los war. Dabei war die Spionagetätigkeit im Vorfeld schon sehr intensiv (nachzulesen bei Lieven) und das musste sich auf die Strategie niederschlagen. Anders kann man die seltsame Konstellation des Verhältnisses von Alexander und Barclay de Tolly kaum erklären. Ich vermute sogar, dass der Zar sich über den Rückzugsplan im Klaren war, beide diese realistische Option aber nicht öffentlich zugeben konnten, weil man sie einen Kopf kürzer gemacht hätte. Verschwiegenheit über die eigentlichen Inhalte ist da natürlich Pflicht gewesen. Wahrscheinlich haben die beiden die Grundzüge des Plans nur mündlich abgesprochen, um keine Angriffsflächen zu bieten. Wenn Barclay für seinen Teil unfähig gewesen wäre, dann hätte Alexander ihn einfach nach Volkslaune als Sündenbock abgeschoben, was aber so nicht der Fall war. Er wusste nämlich genau, dass der den Erfolg überhaupt erst möglich gemacht hatte.
Würde man eine ähnliche These genauso über Napoleon aufstellen, dann käme man zu dem Schluss, dass sein Vormarsch in der durchgeführten Art und Weise Ausdruck von extremer Unfähigkeit war.
Grüße
Gunter
Hätte Bagration ein wenig Intelligenz besessen, dann hätte er auf die Idee kommen können, dass der Zar die Befehle abgesegnet hat. Alexander hat Barclay 1812 geopfert, aber 1813 wieder zum Oberbefehlshaber gemacht. Das spricht doch für Barclay de Tolly. Der Rückzug der russischen Armee geschah nicht aus Feigheit sondern war die einzig richtige Lösung. Natürlich spielte da auch ein gewisser Respekt vor Napoleons Fähigkeiten eine Rolle. Feige war Kutusow, der sich, mit Ausnahme von Borodino, vor jeder Schlacht gedrückt hat (das hat Zamoyski übrigens richtig erkannt) . Da durften Platow, Miloradowitsch, Bennigsen, Dochturow und Tschitschagow die Kohlen aus dem Feuer holen. Die Schlacht an der Beresina ist das beste Beispiel. Bei Krasnoi hatte die Armee Kutusows Napoleons Truppen schon überholt. Als Napoleon gut eine Woche später die Beresina erreichte, hatte er fast 100 Kilometer Vorsprung auf Kutusow.
Was das Hauptquartier Kutusows betrifft, empfehle ich die Memoiren des englischen Generals Robert Wilson: "Narrative of Events during the Invasion of Russia". Schon lange tot (1849) und bei Google-Deutschland erhältlich. Wilson war im Hauptquartier Kutusows und ein Informant für Alexander I., der Kutusow überhaupt nicht mochte.Zuletzt geändert von KDF10; 25.07.2012, 17:02.
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@Harper,
ich sage mal, mein Eindruck von Zamoyskis Band ist gemischt, da halten sich Vorzüge und Nachteile wohl die Waage. Wenn ein Autor wiederholt großen Bockmist schreibt, dann fängt man natürlich irgenwann an, seinen übrigen Aussagen ebenfalls mit Skepsis zu begegnen. Bei Zamoyski scheinen das wirklich nicht nur Flüchtigkeitsfehler zu sein, die jeder macht und die verzeihlich sind.
So wie ich das verstand, hat Zamoyski vor allem Kutusow als unfähig dargestellt. Er war vor allem eine Integrationsfigur, die die Russen dringend nötig hatten und hat sonstige Probleme meist ausgesessen. Direkt falsch war das nicht unbedingt, nur ließ das eben keine zielstrebige Führung erkennen.
Bagration wird jedenfalls stark überbewertet. Er dürfte ein typischer Vertreter des Typus des toten Helden sein. Berg hatte z.B. keine hohe Meinung von ihm und spielt Bagrations Aktion bei Schöngraben 1805 als unbedeutend herunter.
Wilson ist ohnehin ein Spezialfall. Als Vertreter einer fremden Macht spielte er eine schillernde Rolle. Ob man seinen Aussagen viel Glauben schenken kann?
Grüße
Gunter
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Aus den ganzen russischen Augenzeugenbericht, die ich dank Mikaberidze in Englisch lesen konnte - war eine Hauptschlacht gegen Napoleon vor Moskau überfällig, sonst wäre das russische Heer moralisch zusammengebrochen - trotz besseren militärischen Wissens von Barclay.
Die Soldaten konnten einfach die Kette von Rückzügen nicht mehr verstehen und waren sich auch sicher der Grande Armée wiederum eine Lektion erteilen zu können.
Ich seh Kutusov eher ambivalent, sicherlich eine Symbolfigur - der bei der Truppe beliebt war und sie zusammenhielt.
Auf der anderen Seite, gerade was er sich an der Berezina geleistet hat - unverständlich.
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Zitat von HKDW Beitrag anzeigenAus den ganzen russischen Augenzeugenbericht, die ich dank Mikaberidze in Englisch lesen konnte - war eine Hauptschlacht gegen Napoleon vor Moskau überfällig, sonst wäre das russische Heer moralisch zusammengebrochen - trotz besseren militärischen Wissens von Barclay.
Die Soldaten konnten einfach die Kette von Rückzügen nicht mehr verstehen und waren sich auch sicher der Grande Armée wiederum eine Lektion erteilen zu können.
Ich seh Kutusov eher ambivalent, sicherlich eine Symbolfigur - der bei der Truppe beliebt war und sie zusammenhielt.
Auf der anderen Seite, gerade was er sich an der Berezina geleistet hat - unverständlich.
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Wer Napoleon war dürfte schon sehr weit verbreitet gewesen sein. Schließlich wurde bereits bei der Mobilisierung der Opoltschenie von 1806/07 ähnlich argumentiert. Der einfache russische Bauer hatte genauso eine Menge durch die Invasion zu verlieren wie der Adel. Den Berufssoldaten mag das vielleicht egal gewesen sein, den Bauern wohl kaum. Was die Haltung gegenüber den Oberbefehlshabern betrifft, so kann man da ohnehin nicht verallgemeinern. Jeder General hatte seinen Fanklub.
Grüße
Gunter
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Tarlé schreibt, die Armee (was immer er auch unter „Armee“ verstand) wollte Peter Pahlen, Alexander wollte Bennigsen und der Adel wollte Kutusow. Zitat bei Tarlé aus einem Brief Alexanders vom 30. September 1812 an seine Schwester Katharina: „Ohne von dem perfiden und unmoralischen Charakter dieses Mannes (Pahlen) und den Verbrechen (vom Zaren unterstrichen) zu sprechen, vergessen sie nicht, dass er seit achtzehn oder zwanzig Jahren keinen Feind mehr gesehen hat. … In einem Brief vom 17. August ließ mich Rostoptschin wissen, dass ganz Moskau Kutusow auf dem Posten des Oberkommandierenden der Armeen zu sehen wünschte …“ Das wollte auch der Adel in Sankt Petersburg.
Es mag durchaus Offiziere gegeben haben, die sich Kutusow wünschten, aber das bedeutet doch nicht „die Armee“. Es sind eine ganze Reihe Briefe von Jermolow und Bagration überliefert. In keinem wird Kutusow erwähnt, sondern allgemein nur ein Oberbefehlshaber gefordert. Fürst Wolkonski überbrachte Alexander am 17. August einen Brief von Schuwalow, den der am 12. August geschrieben hatte. Auch da schreibt er nichts von Kutusow.
Langeron schrieb nach der Abreise Kutusows von der Donau-Armee 1812: „Möge Gott ihm einen Feldmarschallstab, die Ruhe und dreißig Frauen bewilligen, aber dass er ihm nur keine Armee anvertraut.“
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