Russische Forschungsbeiträge zu 1812

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  • Grex
    Benutzer
    Tambour
    • 10.01.2012
    • 34

    Russische Forschungsbeiträge zu 1812

    Guten Morgen

    für alle, die Russisch sprechen, finden sich auf der Webseite des Borodino-Museums interessante Beiträge russischer Wiesenschaftler.

    http://borodino.ru/index.php?page=toread&DocID=5802&__CM3__CM3=71oj4l 6q61bomdcc84883jsh63

    (Danke an Alexander Mikaberidze)

    Wie ich den Aufsätzen sowie Diskussionen in russischen Foren entnehme, gibt es in Rußland eine Diskussion zwischen Traditionalisten, die Kutusow für einen genialen Feldherren halten, und Erneuerern, die ihn mehr als einen eigentlich minderbegabten Glückspilz ansehen. Letztere stellen seit den 90er Jahren die kanonische Geschichtsschreibung der Sowjetunion in Frage, die aus politischen Gründen Kutusow zum Helden und Vorbild für künftige militärische Führer machte.

    Diese Linen stimmen wohl grob mit den in Rußland immer noch aktuellen Lagern "Patriot" und "Westler" überein, wenn auch nicht alle, die die Kutosow-Hagiographie in Frage stellen, unbedingt unpatriotisch sind.
  • Harper
    Erfahrener Benutzer
    Sergent-Major
    • 12.07.2012
    • 180

    #2
    "Wie ich den Aufsätzen sowie Diskussionen in russischen Foren entnehme, gibt es in Rußland eine Diskussion zwischen Traditionalisten, die Kutusow für einen genialen Feldherren halten, und Erneuerern, die ihn mehr als einen eigentlich minderbegabten Glückspilz ansehen. Letztere stellen seit den 90er Jahren die kanonische Geschichtsschreibung der Sowjetunion in Frage, die aus politischen Gründen Kutusow zum Helden und Vorbild für künftige militärische Führer machte."

    Gibt es diese Diskussion nicht im Grunde schon seit der Überhöhung Kutusows durch Tolstoi in "Krieg und Frieden" ?

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    • Grex
      Benutzer
      Tambour
      • 10.01.2012
      • 34

      #3
      Ja, aber...

      ...sie war wohl weniger dogmatisch, da das zaristische Russland eben kein totalitärer Staat war. Laut der sehr Kutusow-freundlichen Historikerin Lydia Iwtschenko stieß Puschkins Gedicht "Der Feldherr" über Barclay auf Empörung, weil er implizierte, daß Kutusow nur Barklays Plan weitergeführt hat. Das wurde schon damals als Sakrileg gesehen. Aber erst die sowjetische Propaganda schaffte es, bestimmte Geschichtsbilder absolut zu setzen und andere Meinungen völlig zu unterdrücken. Daher scheint das Pendel in den 90er Jahren in die andere Richtung ausgeschlagen zu haben und Kutusow wurde zum Teil sehr harter Kritik unterzogen.

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      • KDF10
        Erfahrener Benutzer
        Chef de Bataillon
        • 19.12.2010
        • 1278

        #4
        Zitat von Grex Beitrag anzeigen
        ...sie war wohl weniger dogmatisch, da das zaristische Russland eben kein totalitärer Staat war. Laut der sehr Kutusow-freundlichen Historikerin Lydia Iwtschenko stieß Puschkins Gedicht "Der Feldherr" über Barclay auf Empörung, weil er implizierte, daß Kutusow nur Barklays Plan weitergeführt hat. Das wurde schon damals als Sakrileg gesehen. Aber erst die sowjetische Propaganda schaffte es, bestimmte Geschichtsbilder absolut zu setzen und andere Meinungen völlig zu unterdrücken. Daher scheint das Pendel in den 90er Jahren in die andere Richtung ausgeschlagen zu haben und Kutusow wurde zum Teil sehr harter Kritik unterzogen.
        Habe mir bei ZVAB Jacques Presser bestellt, ist heute angekommen. Das Taschenbuch für sage und schreibe EUR 1,74 + "horrende" Versandkosten in Höhe von EUR 1,85 . Der kanzelt Kutusow sowas von ab, was Zamoyski ja auch tut.

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        • Grex
          Benutzer
          Tambour
          • 10.01.2012
          • 34

          #5
          Eins muß man Kutusow wohl lassen

          Er war beliebt. Und zwar sowohl in der Gesellschaft, als im Kreise der Offiziere und bei den einfachen Soldaten. Außer dem Zaren mochte ihn eigentlich jeder, hat man den Eindruck. Und es ist ja nicht unerheblich, daß, gerade bei einer unpopulären Kriegsführung (Rückzug, Preisgabe Moskaus) jemand das Kommando hat, dem das Land und die Truppe vertraut. Der unpopuläre Barclay konnte das nicht bieten.

          Alexander mußte allerdings mehr oder weniger gezwungen werden, ihn einzusetzen.

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          • KDF10
            Erfahrener Benutzer
            Chef de Bataillon
            • 19.12.2010
            • 1278

            #6
            Der Eindruck täuscht. Ich habe das hier an anderer Stelle schon geschrieben. Selbst der russische Historiker Tarlé hat zwar immer wieder betont was für ein cleverer Fuchs Kutusow war, ihn durch Zitate aber auch unterschwellig demontiert.

            Es wird zwar noch einige Zeit dauern, aber ich denke, dass sich die Westler durchsetzen, weil sie die Quellen auf ihrer Seite haben. Der Mythos Kutusow ist ein Märchen. Die Problematik ist, dass der Vaterländische Krieg, bei dem das russische Volk sich erhob, eine propagandistische Seifenblase ist. Die russische Battle of Order zur Schlacht von Borodino von Alexander Mikaberidze (bei napoleon-series) zeigt was ich meine. Die wimmelt doch von deutschen oder deutschklingenden Namen. Dann gab es noch Generale wie Langeron, Lambert, usw. in der Armee Tschitschagows, der Preuße Diebitsch im Korps Wittgenstein, die massive finanzielle Unterstützung der Engländer für die Russen, ohne die sie möglicherweise erfolglos geblieben wären, usw. Die Liste der Nichtrussen in Führungspositionen ist ellenlang, dazu zähle ich auch die Balten, die zwar de facto Russen waren, aber unter Stalin ein schweres Los hatten.

            Ich bin gespannt, was die nächsten zehn Jahre an neuen Erkenntnissen bringen und hoffe, dass wir dann auch mal das Werk eines modernen russischen Historikers in deutscher Sprache zu lesen bekommen.

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            • Grex
              Benutzer
              Tambour
              • 10.01.2012
              • 34

              #7
              Bedingt Einverstanden

              Zitat von KDF10 Beitrag anzeigen
              Der Eindruck täuscht. Ich habe das hier an anderer Stelle schon geschrieben. Selbst der russische Historiker Tarlé hat zwar immer wieder betont was für ein cleverer Fuchs Kutusow war, ihn durch Zitate aber auch unterschwellig demontiert.


              Welcher Eindruck täuscht? Daß Kutusow beliebt war? Ich glaube schon, daß seine Ernennung von sehr vielen als positives Signal gesehen worden ist. Zwar hatte er 1812 seinen Zenit als Feldherr sicher schon überschritten, aber es geht wohl eher um sein Charisma als seine militärischen Fähigkeiten. Obwohl er eigentlich nur Barclays Strategie weitergeführt hat. Er war wohl in vielem ein Gegenbild zum unbeliebten Barclay. Ein Symbol. Perception is reality…

              Zitat von KDF10 Beitrag anzeigen
              Es wird zwar noch einige Zeit dauern, aber ich denke, dass sich die Westler durchsetzen, weil sie die Quellen auf ihrer Seite haben.Der Mythos Kutusow ist ein Märchen.


              Bedingt einverstanden. Natürlich wurde er hochgejubelt, weil es einen Russen für die Rolle des Siegers brauchte. Daß das so war, zeigt aber, daß es so etwas wie eine „öffentliche Meinung“ gab, der Alexander sich beugen mußte. Aber gilt das nicht für viele Mythen. Werden bestimmte populäre Figuren (Blücher, Wellington) aus politischen Gründen zu Helden aufgebaut?
              Zitat von KDF10 Beitrag anzeigen
              Die Problematik ist, dass der Vaterländische Krieg, bei dem das russische Volk sich erhob, eine propagandistische Seifenblase ist.


              Ja sicher. Dieses Bild kam ja auch wieder in II. WK sehr gelegen, als die Propaganda vor ähnlichen Aufgaben stand: Das Volk zu mobilisieren. Da kommt der Rückgriff auf historische Analogien gerade recht. Es gibt eine interessante Szene im sowj. Film „Krieg und Frieden“, in der Kutusow die Soldaten vor der Schlacht mit einer Rede in Stimmung bringt, die mit russischen Mutterflüchen gespickt ist. Man hört das natürlich nicht (die Szene ist stumm), aber jeder weiß, was gemeint ist. Die Botschaft ist klar: Kutusow schaut dem Volk aufs Maul. Ich halte es nicht für unrealistisch, daß er das wirklich so getan hat. Barclay hingegen hätte das weder gewollt, noch gekonnt.

              Zitat von KDF10 Beitrag anzeigen
              Die russische Battle of Order zur Schlacht von Borodino von Alexander Mikaberidze (bei napoleon-series) zeigt was ich meine. Die wimmelt doch von deutschen oder deutschklingenden Namen. Dann gab es noch Generale wie Langeron, Lambert, usw. in der Armee Tschitschagows, der Preuße Diebitsch im Korps Wittgenstein, die massive finanzielle Unterstützung der Engländer für die Russen, ohne die sie möglicherweise erfolglos geblieben wären, usw. Die Liste der Nichtrussen in Führungspositionen ist ellenlang, dazu zähle ich auch die Balten, die zwar de facto Russen waren, aber unter Stalin ein schweres Los hatten.


              Die gab es, und das hat schon damals viele Vertreter der russischen Eliten verärgert. Jermolow war ein profilierter Deutschen-Hasser, der in seinen Briefen viele andere hochstehende Persönlichkeiten in diesem Sinne beeinflusst hat. Aber nicht alle Deutsche waren so unbeliebt wie Barclay. Der hatte das Pech, von dieser Fraktion als der Deutsche schlechthin dargestellt zu werden, wohl auf Grund seines „typisch deutschen“ Charakters und Auftretens: ernst und grüblerisch, gründlich, trocken, unkommunikativ. Andere Deutsche, wie z. B. Eugen v. Württemberg, schafften es, mit den Russen ein gutes Verhältnis aufzubauen. Daß Barclay das nicht vermochte, ist seine Tragik. Hinzu kommt noch daß auch Deutsche wie Bennigsen oder Toll zum Teil gegen ihn waren, Toll, Balte wie Barclay, war ein Kutusow-Schüler. Interessant finde ich, daß Bagration als Georgier nicht zu den „unerwünschten“ Ausländern gehörte, der Livländer Barclay jedoch schon.
              Übrigens, der Streit zwischen Deutschbalten und Russen verschärfte sich unter Alexander III. Dessen Vorgänger schätzen die Deutschen aus den Ostseeprovinzen als loyale Stützen ihrer Herrschaft. Die meisten Familien verließen das Baltikum 1939/40, bevor gemäß dem Hitler-Stalin-Pakt sowjetische Truppen in die unabhängigen Republiken Lettland und Estland einmarschierten.

              Zitat von KDF10 Beitrag anzeigen
              Ich bin gespannt, was die nächsten zehn Jahre an neuen Erkenntnissen bringen und hoffe, dass wir dann auch mal das Werk eines modernen russischen Historikers in deutscher Sprache zu lesen bekommen.


              Da ich Russisch spreche, werde ich in nächster Zeit versuchen, an ein paar solcher Bände heranzukommen, sie zu lesen und hier vorzustellen.
              Zuletzt geändert von Grex; 03.08.2012, 17:21.

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              • KDF10
                Erfahrener Benutzer
                Chef de Bataillon
                • 19.12.2010
                • 1278

                #8
                Bei wem war Kutusow beliebt? Folge ich Tarlé, in der russischen Armee nicht. Was Bagration betrifft, der, wie du feststellst, nicht zu den unerwünschten Ausländern gehörte, liegt die Lösung doch nahe. Bagration war Georgier und Stalin auch.

                Ich weiß jetzt nicht, ob Tarlé bei seiner Beschreibung zur Schlacht von Borodino ein paar Wodkas zu viel intus hatte. Bagration erlitt eine Verwundung am Schienbein,bestätigen auch andere. Dann hat er eine klaffende Wunde oberhalb des Knies. Sein Schienbein war also oberhalb des Knies (?). Der Tod Bagrations lähmte die 2. russische Westarmee bei Borodino?. Gestorben ist er allerdings erst fast drei Wochen später.
                Zuletzt geändert von KDF10; 03.08.2012, 18:35.

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                • Gunter
                  Erfahrener Benutzer
                  Chef de Bataillon
                  • 01.10.2006
                  • 1377

                  #9
                  Wenn der Zar seine deutschbaltischen Amtsträger fallen ließ, dann war das doch immer wieder nur Opportunismus, um davon abzulenken, dass er selbst genausowenig Russe war. Die Slawisierung der russischen Armee war letztlich eben nur der Griff nach dem Strohhalm, der dem Zarentum auch nicht überleben half.
                  Tatsache ist, dass die Russen allein und ohne ihre nichtrussischen Kollegen nicht viel gebacken bekamen. Wieviele wirklich begabte russische Generale gab es denn in den Spitzenpositionen? Allein das Misstrauen des Zaren kann ja wohl nicht die Ursache für den hohen Anteil an Nichtrussen bei der Besetzung von Schlüsselpositionen sein. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als ähnelten die Intrigen gegen Barclay dem Mobbing des Klassenbesten durch die Nulpen, die selbst maximal Mittelmaß waren. Letztlich lag die Ursache doch zu einem großen Teil auch an der russischen Bildungsignoranz. Nicht zufällig drohten Bildungsverweigerern aus der russischen Elite deutliche Konsequenzen und selbst dabei wurde ein nur mäßiges Mindestniveau angesetzt. Da ist es mehr als verständlich, dass sich der Zar nicht lange herumärgern wollte und sich gleich west- und mitteleuropäische Profis geholt hat, die wenigstens loyal zu sein schienen. Bei der Besetzung der Offiziersstellen wurden zudem Studenten bevorzugt, wenn auch nicht so sehr wie die Adligen. Die Beförderungsschiene der Nichtadligen ist leider noch zu wenig erforscht. Es scheint, dass die Feldwebelposten zum Teil mit bildungsmäßig als Offizier geeigneten Bürgerlichen besetzt wurden.

                  Grüße

                  Gunter

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                  • HKDW
                    Erfahrener Benutzer
                    Colonel
                    • 02.10.2006
                    • 2962

                    #10
                    Die Botschaft ist klar: Kutusow schaut dem Volk aufs Maul. Ich halte es nicht für unrealistisch, daß er das wirklich so getan hat. Barclay hingegen hätte das weder gewollt, noch gekonnt.
                    Das sehe ich nicht ganz so, die eben von Mikaberidze übersetzten Memoiren, zeigen trotz harscher Kritik am Rückzugs Barclays dann doch Bewunderung - als er in voller Pardeuniform sich bei Borodino sehr exponierte und immer wieder die Truppen auch mitriss.
                    Ebenso ist er nach Moskau - im russischen Lager persönlich, in einfachem Mantel von Regimenter zu Regimenter gegangen und hat mit ihnen gesprochen, was tiefen Eindruck hinterlassen hat.

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                    • KDF10
                      Erfahrener Benutzer
                      Chef de Bataillon
                      • 19.12.2010
                      • 1278

                      #11
                      Zitat von HKDW Beitrag anzeigen
                      Das sehe ich nicht ganz so, die eben von Mikaberidze übersetzten Memoiren, zeigen trotz harscher Kritik am Rückzugs Barclays dann doch Bewunderung - als er in voller Pardeuniform sich bei Borodino sehr exponierte und immer wieder die Truppen auch mitriss.
                      Ebenso ist er nach Moskau - im russischen Lager persönlich, in einfachem Mantel von Regimenter zu Regimenter gegangen und hat mit ihnen gesprochen, was tiefen Eindruck hinterlassen hat.
                      Es gibt durchaus russische Quellen, die heute die Rückzugstaktik loben. Allerdings hat man sich noch nicht dazu durchgerungen, diesen Erfolg Barclay de Tolly zuzuschreiben. The Winner was Alexander I. Nachzulesen in einem Ausstellungskatalog des Historischen Museums in Moskau, der auch in deuscher Sprache erschien, weil es dazu eine Ausstellung in Hildesheim gab.

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                      • HKDW
                        Erfahrener Benutzer
                        Colonel
                        • 02.10.2006
                        • 2962

                        #12
                        es geht hier - siehe weiter oben - über die Persönlichkeit Barclays und nicht um dessen Strategie.

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                        • Grex
                          Benutzer
                          Tambour
                          • 10.01.2012
                          • 34

                          #13
                          Clausewitz über Kutusow und Barclay

                          Ich folge in meiner Aussage über Kutusows Fähigkeiten als Propagandist Clausewitz. Dieser schreibt in „Der Feldzug von 1812 in Russland“ folgendes:

                          „Im Heer war eine große Freude“ über die Ernennung Kutusows."


                          „Bisher war es nach der Meinung der Russen sehr schlecht gegangen, jeder Wechsel ließ also schon Besserung hoffen. Der Ruf Kutusows in der russischen Armee war indes nicht sehr groß, so daß es eine Partei gab, welche Ihn für einen ausgezeichneten Feldherrn hielt, und eine andere die dies nicht that; aber alle waren darüber einig, daß ein tüchtiger Russe, ein Schüler Suwarows (sic) besser sei als ein Fremder und in diesem Augenblicke sehr Noth thue. (…) Kutusows Ankunft erweckte also in dem Heere ein neues Vertrauen; der böse Dämon des Fremden war durch einen ächten Russen, einen Suwarow in etwas verkleinertem Maßstabe, beschworen.“


                          „Kutusow, 15 Jahre älter als Barclay, war die 70 Lebensjahr nahe und nicht mehr in der körperlichen und geistigen Thätigkeit welche man sonst wohl an Soldaten dieses Alters noch findet. In diesen Stücken stand er also Barclay nach, an natürlichen Anlagen war er ihm aber freilich überlegen. Kutusow war in seiner Jugend ein tüchtiger Haudegen gewesen und hatte damit eine große Geistesgewandtheit und Anlage zu Klugheit und List verbunden.“(…)


                          „Nach unserer Meinung hat Kutusow persönlich sich in dieser Rolle nichts weniger als glänzend gezeigt und auch weit unter der Linie gezeigt, die sich nach dem, was er früher geleistet hatte erwarten lies“.


                          Im Laufe des Feldzugs war Kutusow nachClausewitz „fast eine Null. Er schein ohne innere Regsamkeit, ohne klare Ansichten der vorhandenen Umstände, ohne lebhaftes Eingreifen, ohne selbständiges Wirken.“


                          „Kutusow war also, wenn von dem eigentlichen persönlichen Wirken die Rede ist, weniger als Barclay, welches man hauptsächlich seinem höheren Alter zuschreiben muß. Aber nichtsdestoweniger war Kutusow an der Spitze des Ganzen viel mehr wert als jener. Schlaue Klugheit pflegt den Menschen auch im höchsten Alter nicht zu verlassen, und diese war auch dem Fürsten Kutusow geblieben. Mit ihr überblickte er sein Verhältnis und das seines Gegners besser als Barclay mit seiner beschränkten Einsicht."


                          "Kutusow hätte gewiss die Schlacht von Borodino nicht geliefert, von der er doch wahrscheinlich keinen Sieg erwartete, wenn ihn nicht die Stimme des Hofes, des Heeres und ganz Rußlands dazu genöthigt hätte. Er sah sie vermutlich nur wie ein nothwendiges Übel an. Er kannte die Russen und verstand, sie zu behandeln. Mit unerhörter Dreistigkeit betrachtete er sich als Sieger, verkündete überall den nahen Untergang des feindlichen Heeres, gab sich bis auf den letzten Augenblick den Anschein, als wollte er Moskau durch eine zweite Schlacht schützen und ließ es an Prahlerei keiner Art fehlen. Auf diese Weise schmeichelte er er der Eitelkeit des Heeres und des Volkes; durch Proklamationen und religiöse Anregungen suchte er auf ihr Gemüth zu wirken, und so entstand eine neue Art von Vertrauen, freilich nur ein erkünsteltes, was sich aber im Grunde an wahre Verhäktnisse anknüpfte, nämlich an die schlechte Lage der französischen Armee. So war dieser Leichtsinn und diese Marktschreierei des alten Schlaukops in der That nützlicher als Barclays Ehrlichkeit gewesen wäre.(…) kurz der einfach, ehrliche, an sich tüchtige aber ideenarme Barclay, unfähig, diese großen Verhältnisse bis auf den Grund zu durchblicken, wäre von den moralischen Potenzen des französischen Sieges erdrückt worden, während der leichtsinnige Kutusow ihnen eine dreiste Stirn und einen Haufen Prahlereien entgegensetzte und so glücklich in die ungeheure Lücke hineinsegelte die sich bereits in der französischen Armada fand.“

                          Es geht hier also um psychologische Kriegsführung, und auch diese spielt eine Rolle, wenn es um das Ergebnis geht. Allerdings ist selbst Clausewitz nicht allwissend. Er dürfte wohl kaum im Detail und aus erster Hand gewußt haben, was der Zar dachte, oder der gemeine Soldat der russischen Armee. Seine Schlüsse beruhen wohl auf Gesprächen mit anderen Offizieren. Zumal er damals wohl noch nicht der große Clausewitz war, sondern einfach ein preußischer Offizier, und es werden ihm nicht alle Akteure brühwarm erzählt haben, warum sie was getan haben. Aber ein genauer Beobachter und guter Analytiker war er. Gibt es Quellen oder Darstellungen, die seiner Meinung widersprechen?
                          Zuletzt geändert von Grex; 05.08.2012, 21:04. Grund: Schriftart/Größe

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                          • Grex
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                            Tambour
                            • 10.01.2012
                            • 34

                            #14
                            Balten

                            Zitat von Gunter Beitrag anzeigen
                            Wenn der Zar seine deutschbaltischen Amtsträger fallen ließ, dann war das doch immer wieder nur Opportunismus, um davon abzulenken, dass er selbst genausowenig Russe war. Die Slawisierung der russischen Armee war letztlich eben nur der Griff nach dem Strohhalm, der dem Zarentum auch nicht überleben half.


                            Da ist was dran. Für die Zaren war es nicht ratsam, zu deutschfreundlich zu sein. Peter III und Paul mußten dafür mit dem Leben bezahlen. Katherina II, die eine echte Deutsche war und als Gattenmörderin eigentlich keine Rechte hatte, kompensierte diesen Mangel durch betone Deutschen-Feindlichkeit. Für die Zaren, die ja alle den „Makel“ des Deutschtums trugen, waren die Deutschbalten willkommene Bundesgenossen und alle außer Elisabeth, Katherina II und Alexander III haben sich ihnen gegenüber sehr loyal veralten. Auch Alexander I hat Barclay nur auf starken Druck fallenlassen und ihm seine Gunst nicht völlig entzogen. Immerhin hat er in gefürstet.


                            Zitat von Gunter Beitrag anzeigen
                            Tatsache ist, dass die Russen allein und ohne ihre nichtrussischen Kollegen nicht viel gebacken bekamen. Wieviele wirklich begabte russische Generale gab es denn in den Spitzenpositionen? Allein das Misstrauen des Zaren kann ja wohl nicht die Ursache für den hohen Anteil an Nichtrussen bei der Besetzung von Schlüsselpositionen sein. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als ähnelten die Intrigen gegen Barclay dem Mobbing des Klassenbesten durch die Nulpen, die selbst maximal Mittelmaß waren. Letztlich lag die Ursache doch zu einem großen Teil auch an der russischen Bildungsignoranz. Nicht zufällig drohten Bildungsverweigerern aus der russischen Elite deutliche Konsequenzen und selbst dabei wurde ein nur mäßiges Mindestniveau angesetzt. Da ist es mehr als verständlich, dass sich der Zar nicht lange herumärgern wollte und sich gleich west- und mitteleuropäische Profis geholt hat, die wenigstens loyal zu sein schienen.


                            Die Deutschbalten waren wohl im Durchschnitt weniger korrupt als die Russen, hatten als Protetstanten ein anderes Arbeitsethos und hatten häufig eine universitäre Bildung genossen, oft im deutschen Reich. Zudem waren sie weniger reich als die großen russischen Adelsfamilien, wer kein Gut erbte, war darauf angewiesen, zu dienen und eine gute Bildung mitzubringen. Die Russen begannen schon seit Anna Iwanowna, den Einfluß der Deutschen für alles, was schiefläuft, verantwortlich zu machen. Das lag zum Teil auch an solchen Deutschen, die mit den diversen Zarenbräuten ins Land gekommen waren. Diese kamen oft ohne Anstrengung in hohe Stellen, waren anders als die Deutschbalten mit den Sitten nicht vertraut und richteten darum bisweilen auch viel Unheil an. Die Deutschbalten mußten auch für das büßen, was solche Zugereisten angerichtet hatten.
                            Zuletzt geändert von Grex; 05.08.2012, 17:46. Grund: Schrift (die macht mich wahnsinnig!!!)

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                            • Grex
                              Benutzer
                              Tambour
                              • 10.01.2012
                              • 34

                              #15
                              Interessant

                              Zitat von HKDW Beitrag anzeigen
                              Das sehe ich nicht ganz so, die eben von Mikaberidze übersetzten Memoiren, zeigen trotz harscher Kritik am Rückzugs Barclays dann doch Bewunderung - als er in voller Pardeuniform sich bei Borodino sehr exponierte und immer wieder die Truppen auch mitriss.
                              Ebenso ist er nach Moskau - im russischen Lager persönlich, in einfachem Mantel von Regimenter zu Regimenter gegangen und hat mit ihnen gesprochen, was tiefen Eindruck hinterlassen hat.
                              Es scheint, daß die Ablehnung nach seiner Absetzung recht schnell in Mitleid und Respekt umgeschlagen ist. Laut Mikaberidse gab es im Zarenreich eigentlich keine Anti-Barclay Stimmung, wenn man von Tolstoi absieht. Offenbar wurde er erst wieder in der Stalinzeit als Buhmann entdeckt.

                              Offenbar hat auch Barclay aus seiner persönlichen Niederlage gelernt und sich mehr darum gekümmert, mit der Truppe zu kommunizieren ich habe in eine russischen Quelle gelesen, daß später auch "Hurra Barclay" gerufen wurde, wenn er vor die Front trat. Aber das war eben nicht immer so.

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