Rheinbundtruppen in Russland 1812 - Interview für Nouvelle Revue d'Histoire (Teil 2)

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    • 30.09.2006
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    Rheinbundtruppen in Russland 1812 - Interview für Nouvelle Revue d'Histoire (Teil 2)

    ... und hier nun Teil 2:

    5. Wie verhalten sich diese deutschen Truppen innerhalb der „Armee des vingt nations“ von 1812? (bei Borodino, Smolensk und an der Berezina)

    Neben den schon erwähnten Bayern und Sachsen, die an der Nord- bzw. Südflanke der Großen Armee operierten und sich auszeichneten, nahmen auch zahlreiche Verbände anderer Rheinbundstaaten am zentralen Vormarsch teil. Die Bilder dieses Vormarsches werden auch heute noch durch die Illustrationen des württembergischen Artillerieoffiziers Faber du Faur geprägt. Er zeigt sehr schön den Tribut, den auch die Rheinbundtruppen in den großen Schlachten von Smolenks oder Borodino leisteten. Bei Borodino selbst sind die deutschen Kavallerieeinheiten herauszuheben. So geben selbst Zeugnisse aus Napoleons Stab an – in der Person Marschall Berthiers, dass es die sächsische Kavallerie war, welche die zentralen Befestigungen der russischen Armee (die „Rajewski-Schanze“) einnahmen – und nicht die französischen Kürassiere Caulaincourts, wie später im kaiserlichen Bulletin verzeichnet.


    6. Können Sie uns mehr zu den folgenden beiden Hauptkonsequenzen des Militärbündnisses der deutschen Staaten mit Napoleon sagen?

    a. die Truppenaushebung und ihre Auswirkung auf den Militärdienst
    b. die Aushebung zahlreicher Armeen und ihren Einfluss auf die industrielle Produktion.

    Einen entscheidenden Einfluss auf das Militärwesen deutscher Länder hatte die während der Französischen Revolution ins Leben gerufene Konskription. In nahezu allen Ländern des Rheinbundes wurden Konskriptionsgesetze erlassen, die genau die Aushebung von Rekruten vorschrieben. Ähnlich dem französischen Vorbild wurde das Losverfahren anhand von Listen dienstpflichtiger Einwohner angewandt, detaillierte Ausnahmelisten beschrieben den Personenstamm, der vom Wehrdienst ausgeschlossen wurde. Auch die Möglichkeit der Stellung von Stellvertretern bestand ähnlich dem französischen Vorbild in einigen Konskriptionsgesetzen. Diese Gesetze bildeten auch die Grundlage der Bewusstseinsbildung einer Allgemeinen Wehrpflicht, wie sie noch während der Befreiungskriege in Preußen und später in verbündeten, deutschen Ländern bzw. ab 1871 im deutschen Reich praktiziert wurde.
    Eine weitere wichtige Errungenschaft aus dem französischen Revolutions- bzw. Napoleonischen Heer war die Möglichkeit, nunmehr nicht nur Offizierspatente qua Geburt zu erhalten, sondern diese auch durch besonderen Einsatz zu verdienen. Vor allem in den süddeutschen Ländern wie Baden oder Bayern entstand damit auch ein selbstbewusstes Offiziers- und Bürgertum, dessen antifeudale Ansichten auch die späteren, liberalen Bewegungen der 1830-1850er Jahre beeinflussten.
    Von einer Industrialisierung in den Rheinbundstaaten kann während der Zeit bis 1813 nicht die Rede sein. In einigen Regionen (z. B. München, in Sachsen) konnte jedoch durch die Förderung von Manufakturen zur Herstellung von Uniformen, Ausrüstungsgegenständen oder Waffen die heimische Wirtschaft angeregt werden. Dies sollte jedoch nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass kein einziger Rheinbundstaat seine Bewaffnung ausschließlich über eigene Produktionen bereitstellen konnte. Wie in der Antwort 3 schon geschrieben, kamen zahlreiche Stücke aus Frankreich oder aus der Kriegsbeute (v.a. nach dem Feldzug von 1809 aus österreichischen Beständen).
    Es darf auch nicht verschwiegen werden, dass alle Rheinbundstaaten mit dem Ende der Föderation durch die übermäßige Belastungen des Militäretats hoch verschuldet waren. Zudem mussten große Zahlen an demobilisierten Soldaten wieder eine zivile Beschäftigung finden, damit soziale und wirtschaftliche Unruhen vermieden werden.


    7. Die deutschen Soldaten, die am Russlandfeldzug 1812 teilnahmen, haben zahlreiche Erinnerungen hinerlassen : Dokumente, Memoiren, Illustrationen (Albert Adam, Faber Faur)
    Was sind die wichtigsten Erinnerungsdokumente der deutschen Soldaten an den Russlandfeldzug von 1812?

    Kein einziger Abschnitt der Revolutions- bzw. Napoleonischen Kriege hat die Erinnerungskultur in den Rheinbundstaaten so beeinflusst wie der Russlandfeldzug. So ist es nicht verwunderlich, dass eine große Zahl an Memoiren, entweder in den ersten Zeitschriften zur Kriegskunst oder gar als eigenes Buch schon bald nach Ende des Feldzuges erschienen. Auf der Internetseite www.napoleonzeit.de von Dr. Thomas Hemmann, der sich auf die deutsche Memoirenliteratur der Napoleonischen Zeit spezialisiert hat, kann man sich ein Bild über die große Zahl an Erinnerungen machen. Wie schon erwähnt prägen die Illustrationen von Faber du Faur, aber auch vom bayerischen Armeemaler Albrecht Adam (im Stab des Prinzen Eugène), unser heutiges visuelles Bild des Russlandfeldzuges. Neben späteren Spezialwerken über den Einsatz bayerischer, sächsischer, preußischer, westphälischer oder selbst hamburgischer Einheiten im Russlandfeldzug ist ein, leider nur selten, beachtetes Werk zu nennen: „Die Deutschen in Russland“ von Paul Holzhausen, veröffentlicht zum hundertjährigen Jubiläum im Jahre 1912. In diesem Werk wurden zahlreiche bekannte, aber auch unbekannte Erinnerungen zu einem Gesamtbild des Einsatzes von Rheinbundtruppen (und preußischen Einheiten) im Russlandfeldzug zusammengeführt. Auch Denkmäler wurden von sich später konstituierenden Veteranenvereinen errichtet, als Beispiel mag die Abbildung des in Mannheim befindlichen Monuments zur Würdigung des Einsatzes badischer Truppen in Russland dienen.


    8. Wie gelingt es den deutschen Rheinbundstaaten 1813 aus der französischen Allianz auszuscheiden? Können Sie die schwierige Situation der Sachsen näher ausführen?

    Mit dem Zusammenbruch der Großen Armee 1812 und den aufkommenden „nationalen“ Gedanken aus Preußen und den Frankreich immer kritischer gegenüber stehenden norddeutschen Ländern, wächst auch in den Rheinbundstaaten in Mittel- und Süddeutschland der Wunsch nach einem „sicherem“ Austritt aus der Föderation. Mit der Betonung auf „sicher“ ist auch die strategische Position zu beachten, in der sich die einzelnen Staaten im Jahre 1813 befanden. Baden zum Beispiel konnte sich aufgrund seiner geographischen Nähe zu Frankreich und der Bindung seiner ausgehobenen Truppen in Spanien bzw. den Auffanglagern und Festungen der Großen Armee kaum ein Ausscheren aus der Allianz gestatten. Noch schwieriger stellt sich die Situation in Sachsen dar, das schon früh von Napoleon als strategischer Ausgangspunkt für die 1813 anstehenden Kämpfe auserkoren wurde. Durch seine Nähe zu den Elbfestungen und der Möglichkeit, sowohl nach Norden in Richtung Berlin zu manövrieren als auch nach Süden die österreichischen Bewegungen in Böhmen zu überwachen, musste Napoleon seine Verbände im Gebiet seines sächsischen Verbündeten sammeln. Dem sächsischen König blieb daher keine andere Wahl, als Napoleon weiterhin beizustehen, obwohl es auch in der sächsischen Armee zahlreiche Stimmen des Übergangs auf die Seite Russlands und Preußens gab. Als prominentestes Beispiel mag der General Thielmann gelten, der während des Waffenstillstandes im Juni 1813 aus Protest gegen die Politik seines Souveräns seine Dienste den Alliierten anbot. Erst mit der sich abzeichnenden Niederlage von Leipzig und dem Rückzug der französischen Truppen aus Sachsen konnte der König an eine Lösung aus dem Rheinbund denken. Ein weiterer Grund für die lange Bindung Sachsens an Frankreich war die bekannte Abneigung Preußens gegenüber Sachsen und des kaum verheimlichten Wunsches, das Königreich Sachsen nach dem Sieg über Napoleon – deutlich – zu verkleinern.


    Natürlich möchte ich die hier aktiven Leser und Diskutanten auffordern, weitere Aspekte zu den Fragen einzubringen und ggf. andere Standpunkte zu vertreten.

    Schöne Grüße
    Markus Stein
    "Wenn wir geboren werden, weinen wir, weil wir diese große Narrenbühne betreten" (King Lear) ... jedem also sein ganz persönliches (Hof-) Narrenleben
  • Tom
    Erfahrener Benutzer
    Chef de Bataillon
    • 03.10.2006
    • 1071

    #2
    Thielmann

    Hallo Markus,

    danke, eine Anmerkung: Thielmann verließ den sächsischen Dienst am 10. Mai 1813 - Datum des Abschiedsgesuchs -, Eintritt in den russischen Dienst 12.05., also etwa drei bis vier Wochen vor dem Waffenstillstand ( Holtzendorff, 125ff; Petersdorff, 225, und Priesdorff, Nr. 1215).

    Viele Grüße, Tom
    Zuletzt geändert von Tom; 02.12.2012, 13:58.

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