Napoleons Flucht von Elba

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  • gnlwth
    Erfahrener Benutzer
    Tambour-Major
    • 09.10.2006
    • 324

    Napoleons Flucht von Elba

    Guten Morgen,

    zur Zeit lese ich Power: Die 48 Gesetze der Macht von Robert Greene. Sehr interessant, obwohl die 48 Gesetze nicht gerade Ueberraschendes zu Tage bringen, das weiss man alles schon irgendwie. Jedes Gesetz wird aber anhand vieler "Fallbeispiele" erklaert, und diese Anekdoten (die vom alten China bis zur Neuzeit reichen) machen das Buch eben doch recht spannend. Natuerlich taucht auch Talleyrand immer wieder auf (weshalb mir das Buch noch mehr Spass macht, als es auch ohne Talleyrand tun wuerde). Lange Reder, kurzer Sinn, im Gesetz 8 ("Lass die anderen zu Dir kommen - koedere sie, wenn es noetig ist") fand ich die hier gezeigte (eingescannte) Anekdote.
    Ich habe Talleyrand ja immer fuer sehr schlau gehalten, und sicher ist eben diese Kombination aus politischem Weitblick und geschicktem Taktieren eben das, was ihn so beruehmt hat werden lassen. Aber das geht doch ein bisschen zu weit, oder? Stimmt es denn ueberhaupt, dass Napoleon wusste, dass die Englaender ihn ziehen lassen wuerden?

    Schoenen Gruss,
    Gnlwth


    Zuletzt geändert von gnlwth; 13.02.2007, 10:07.
    Talleyrand - der Mensch und die Persönlichkeit
  • admin
    Administrator
    Colonel
    • 30.09.2006
    • 2687

    #2
    Seeehr gewagte Interpretation

    Danke für diese nette Passage (das Buch scheint ja recht kurzweilig geschrieben zu sein - und sicherlich eine nette Lektüre zum Verständnis der Macht) ... aber diese These erscheint mir wirklich sehr gewagt; aber, um diese zu erhärten müsste man konsultieren

    a) Memoiren von Talleyrand, Castlereagh (ich glaub' ich hab' den entsprechenden Band) und Metternich und dort auf gewisse Deckungsgleichheit zumindest ihrer Interpretion von Napoleons Flucht hin untersuchen

    b) Erinnerungen Napoleons, um dessen "Vorahnung" und "Vorerkenntnisse" abzuleiten

    c) Protokolle bzw. Erinnerungen der bewachenden Institutionen

    Und zu guter Letzt eine Frage an die Talleyrand-Expertin: war Talleyrand solch ein menschenverachtender "Intrigant", dass er den Tod mehrerer Tausend Landsmänner allein für den Zweck, Napoleon weiter weg zu schaffen, in Kauf nahm?

    Ich werd' mal in meinen Büchern wälzen ...
    Markus Stein
    "Wenn wir geboren werden, weinen wir, weil wir diese große Narrenbühne betreten" (King Lear) ... jedem also sein ganz persönliches (Hof-) Narrenleben

    Kommentar

    • gnlwth
      Erfahrener Benutzer
      Tambour-Major
      • 09.10.2006
      • 324

      #3
      Hallo Markus,

      Memoiren von Talleyrand
      Der schweigt sich aus. Gesetz Nummer 3: "Halte Deine Absichten stets geheim", Gesetz Nummer 4: "Sage immer weniger als noetig". Selbst wenn er tatsaechlich wie beschrieben gehandelt hat, haette er es sicher niemals an die grosse Glocke gehaengt.


      war Talleyrand solch ein menschenverachtender "Intrigant", dass er den Tod mehrerer Tausend Landsmänner allein für den Zweck, Napoleon weiter weg zu schaffen, in Kauf nahm?
      Hm. Talleyrand war um das Wohl Frankreichs besorgt, hatte aber zugegebenermassen immer eher langfristige Ziele im Sinn, so dass es schwer zu sagen ist, ob er einen Krieg in Kauf genommen haette, um damit langfristig den Frieden zu sichern. Prinzipiell vielleicht schon, ich weiss nicht, ob er da so grosse moralische Skrupel gehabt haette (obwohl Talleyrand niemand war, der - so wie Fouche - ueber Leichen ging, um ein Ziel zu erreichen).
      Mal abgesehen von jeder moralischen Wertung finde ich es aber keineswegs so klar, dass ein - in Anbetracht der Zustaende in Frankreich zwangslaeufig verlorener - Krieg gegen die Alliierten wirklich zum gewuenschten Erfolg gefuehrt haette. Im Nachhinein scheint das natuerlich einleuchtend, denn so konnte man Napoleon prima endgueltig loswerden. Wie sich dieser Krieg aber entwickelt, ob vorher bereits ein Buergerkrieg entbrennt (was Talleyrand ganz sicher nicht gewollt haette), ob das besiegte Frankreich danach von den Allierten besetzt und zur endgueltigen Schwaechung seiner Macht (so wie Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg) geteilt wuerde, das konnte Talleyrand doch sicher nicht absehen - und das waere genau das Gegenteil von dem gewesen, was er fuer Frankreich gewollt hatte. Seine Stellung auf dem Wiener Kongress war erstaunlich einflussreich in Anbetracht dessen, dass er der Vertreter des besiegten Landes war, aber dennoch einigermassen fragil - so wahnsinnig viel Macht hatte er dann doch nicht, dass die Alliierten alle nach seiner Pfeife getanzt haetten. Und noch einen Wiener Kongress (nach Napoleons endgueltiger Niederlage) konnte er sich nicht erhoffen. Deshalb glaube ich nicht daran, dass er ein solches Wagnis eingegangen waere (aber vielleicht taeusche ich mich auch, und es war 1814/15 (zumindest fuer Talleyrand) vollkommen eindeutig, was eine Wiederkehr Napoleons nach Frankreich bewirken konnte, und vielleicht hatte er doch genug Einfluss auf Metternich und Castlereagh, dass er den Ausgang positiv beeinflussen haette koennen. Allerdings war Waterloo ja ein ziemlich peinliches Desaster fuer die franzoesische Armee - so peinlich, dass es noch heute in peinlichen Liedern peinlicher schwedischer Musikgruppen besungen wird - und das kann Talleyrand ja auch nicht gewollt haben.

      Greene behauptet in seinem Buch uebrigens auch, Talleyrand sei - als einziger auf dem Wiener Kongress - bei der Nachricht, Napoleon habe Elba verlassen, vollkommen ruhig geblieben. Das stimmt nachweislich nicht, Talleyrand ist da auch ganz schoen nervoes geworden. Lobpreisung und Gehaltserhoehung konnte er sich von Napoleon ja auch nicht gerade erwarten, da hatte er schon allen Grund dazu, nervoes zu werden.

      Ich weiss nicht. Talleyrand ist einiges zuzutrauen, aber im Allgemeinen hat er Krieg als extrem destabilisierend angesehen - ich muesste jetzt Zitate suchen - sein Credo geht eher in die Richtung, dass dauerhafte Stabilitaet (Frieden) in Europa - was sein ausgesprochenes Ziel war - niemals durch Krieg und nur durch Freihandel zwischen den Nationen zu schaffen ist (wir haben es hier mit einem friedliebenden Kapitalisten zu tun).

      Abgesehen davon ich glaube nicht, dass die Situation so einfach und durchschaubar war, (auch nicht fuer Talleyrand), dass er das Risiko eines Buergerkriegs absichtlich eingegangen waere (gesetzt den Fall, er haette ueberhaupt die Macht dazu gehabt).


      Bleibt die Frage, ob Napoleon wirklich wusste, dass die Englaender ihn fliehen lassen wuerden (was noch immer nicht beantworten wuerde, ob Talleyrand dahinter steckt, oder nicht vielleicht die Alliierten selbst).


      Schoenen Gruss,
      Gnlwth
      Zuletzt geändert von gnlwth; 13.02.2007, 17:14.
      Talleyrand - der Mensch und die Persönlichkeit

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      • admin
        Administrator
        Colonel
        • 30.09.2006
        • 2687

        #4
        Zitat von gnlwth Beitrag anzeigen
        Allerdings war Waterloo ja ein ziemlich peinliches Desaster fuer die franzoesische Armee - so peinlich, dass es noch heute in peinlichen Liedern peinlicher schwedischer Musikgruppen besungen wird - und das kann Talleyrand ja auch nicht gewollt haben.
        Na so schlimm sind doch - aus heutiger Sicht - die Lieder der vier Herrschaften aus Schweden auch wieder nicht ... zumindest recht eingängig ... aber das nur off-topic

        Markus Stein
        "Wenn wir geboren werden, weinen wir, weil wir diese große Narrenbühne betreten" (King Lear) ... jedem also sein ganz persönliches (Hof-) Narrenleben

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        • admin
          Administrator
          Colonel
          • 30.09.2006
          • 2687

          #5
          Castlereagh

          Leider hört mein Castlereagh-Band (Memoiren, Protokolle und Denkschriften) im Februar 1814 auf ... so kann ich von dieser Seite nicht viel beischaffen.

          Tja, wie nun feststellen, was Alliierte über die Ausschiffung Napoleons ahnten, wußten etc.??

          Markus Stein
          "Wenn wir geboren werden, weinen wir, weil wir diese große Narrenbühne betreten" (King Lear) ... jedem also sein ganz persönliches (Hof-) Narrenleben

          Kommentar

          • gnlwth
            Erfahrener Benutzer
            Tambour-Major
            • 09.10.2006
            • 324

            #6
            Guten Morgen,

            vielleicht ist Castlereagh auch nicht die richtige Adresse, genau so wenig wie Talleyrand - was sagt denn Napoleon selbst ueber seine Flucht von Elba? (Vermutlich, dass er heldenhaft und todesmutig den Englaendern entkommen ist, nicht weil die so dumm und unfaehig, sondern weil er so klug und geschickt war?) - Wie hat er denn seine Flucht erklaert? Die fand ja nun nicht gerade in einem Ruderboot statt, da muss es doch schon den einen oder anderen gewundert haben, dass die ganzen Englaender, die um Elba herum im Mittelmeer verteilt waren, das nicht gemerkt haben sollen?!

            Schoenen Gruss,
            Gnlwth
            Talleyrand - der Mensch und die Persönlichkeit

            Kommentar

            • HKDW
              Erfahrener Benutzer
              Colonel
              • 02.10.2006
              • 2962

              #7
              So gut war damals auch das Meer nicht abzuriegeln, Napoleon ist ja mit einer ganzen Flotte nach Ägypten gesegelt, und konnte nicht gestellt werden, ebenfalls ist er aus Ägypten geflüchtet - wieder nicht erwischt worden.

              Kommentar

              • gnlwth
                Erfahrener Benutzer
                Tambour-Major
                • 09.10.2006
                • 324

                #8
                Ja, das kann natuerlich sein - das Meer ist gross. Wie gross war denn die Flotte, die um Elba herum positioniert war?
                Talleyrand - der Mensch und die Persönlichkeit

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                • Mephisto
                  Erfahrener Benutzer
                  Capitaine
                  • 01.10.2006
                  • 625

                  #9
                  Hallo, Ihr drei,

                  Weniger in Richtung hanebüchener Konspirationstheorien tendierend
                  aber nicht minder interessant finde ich folgenden Artikel aus der
                  History Today (1994), der auf NAPOLEON.ORG veröffentlicht worden ist.
                  http://www.napoleon.org/en/reading_r...ba_british.asp
                  Zuletzt geändert von Mephisto; 14.02.2007, 11:03.
                  Gruß
                  Mephisto

                  "Es sind zwey Formeln, in denen sich die sämmtliche Opposition gegen Napoleon befassen und aussprechen lässt,
                  nämlich Afterredung (aus Besserwissenwollen) und Hypochondrie." Goethe 1807 :attention:

                  Kommentar

                  • muheijo
                    Erfahrener Benutzer
                    Capitaine
                    • 01.10.2006
                    • 553

                    #10
                    vielleicht noch 2 aspekte dazu:

                    - ist es richtig, daß die verbündeten nicht ohnehin darüber diskutierten, ihn von elba auf eine "sichere" insel zu verlegen? ich meine sogar, st. helena war bereits im gespräch...

                    - ist es richtig, daß die verbündeten die N zugestandenen gelder nicht bezahlten? er sollte ja so eine art "rente" kriegen.

                    wenn das stimmt, ist's ja kein wunder, daß N nochmal alles auf eine karte setzte. zumal die berichte aus frankreich kamen, wo ja jeder nur noch auf ihn zu warten schien...

                    gruß, muheijo

                    Kommentar

                    • Britt.25
                      Erfahrener Benutzer
                      Sous-Lieutenant
                      • 28.11.2006
                      • 369

                      #11
                      Die These aus dem Buch, dass die Flucht Napoleons von Elba bewusst von anderer Seite inszeniert wurde, ist aber nicht bewiesen, oder inzwischen doch? In den Büchern die ich kenne, allerdings zu einem großen Teil älterer Natur sind, ist von sowas keine Rede. Vielmehr sah es dort so aus, dass es Napoleon einfach aus Elba "wegtrieb" weil ihm im wahrsten Sinne des Wortes "die Insel recht klein erschien", wie er sagte, und ihn der Ehrgeiz trieb, sich mit seinem Schicksal als gescheiterter Herrscher nicht abzufinden. Dass das ganze eine bewusste Sache war, um Napoleon ganz in den Ruin zu treiben, war mir zuvor tatsächlich überhaupt nicht bekannt. Vielleicht ist es eine neue These, so wie auch vieles bezüglich seines Todes immer wieder neu aufbereitet wird, und neu zu interpretieren versucht wird? Interessant ist dieser Gedanke allerdings schon, vielleicht sollte ich einmal nachschauen, ob sich ähnliches auch in anderer Literatur findet.
                      "Da nichts im Laufe unseres Lebens ausgelöscht wird, ist jeder von uns wie ein Dokument, in dem, zwar gekürzt, die ganze Geschichte und die ganze Frühgeschichte der Menschheit niedergeschrieben ist"

                      Marie Bonaparte (1882-1962)

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