Zur Organisation der französischen Militärkapellen

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  • Tellensohn
    Erfahrener Benutzer
    Chef de Bataillon
    • 16.02.2011
    • 1253

    Zur Organisation der französischen Militärkapellen

    Ich würde gerne noch einmal auf die drei letzten Beiträge des Threads "französische Fahne ohne Adler?" zurückkommen.

    Zitat von Tellensohn Beitrag anzeigen
    Ich versuche mal, das zu präzisieren:

    Dem Tambour Major unterstanden offiziell sowohl die Spielleute (Tambouren, Pfeifer, Hornisten) als auch die Musiker. Auch deren Chef, der Chef de musique, war dem Tambour Major in der Regimentsorganisation unterstellt, obgleich beide im Rang eines Sergent Majors standen.

    Während Revuen oder in der Schlacht führte der Tambour Major die Tambouren bzw. Tambouren des 1. Bataillons und die Musikkapelle an.

    Der Tambour Major instruierte die Tambours des 1. Battalions. Die direkte Aufsicht über die Tambouren des 2. Bataillons und für deren Ausbildung zuständig war der Caporal Tambour/Tambour Maître. Während Revuen scheint er rechts neben der 1. Reihe der Tambouren marschiert zu sein, in der Schlacht führte er die Tambouren des 2. Bataillons gleich einem Tambour Major an.

    Der Chef de musique war für die Auswahl und Ausbildung der Musiker zuständig (er war, wenn ich nicht irre, auch für die Ausbildung der Pfeifer und Hornisten zuständig, da sie ja Melodien produzierende Instrumente spielten). Als Gagist und - im Gegensatz zu den wohl meisten Tambour Majors - echter Musiksachverständiger war der Chef de musique trotz organisatorischer Unterstellung unter den Tambour Major weitgehend unabhängig bzw. de facto dem Tambour Major gleichgestellt (daher auch seine Einstufung als Sergent Major). Der Tambour Major hatte ihm in musikalischer Hinsicht nichts zu sagen. Die beiden mussten wohl schon einigermassen harmonieren, um eine ausreichende bis gute Qualität der Regimentsmusik zu garantieren (in der französischen Armee war das Zusammenspiel von Spielleuten und Musikern anlässlich von Paraden und beim Aufmarsch in der Schlacht eher die Regel als die Ausnahme).Der direkte Vorgesetzte des Chefs de musique im Regiment scheint der Officier de musique gewesen zu sein, den man offenbar unter den Kompaniechefs auswählte und der für materielle/ finanzielle/organisatorische Angelegenheiten die Regimentsmusik betreffend zuständig war. Ahnung von Musik und vom Können der Musiker musste dieser Offizier scheinbar nicht unbedingt haben (er konnte es aber), dafür war der Chef de musique da. Anlässlich von Revuen und in der Schlacht marschierte der Chef de musique scheinbar links neben der 1. Reihe der Musiker.
    Zitat von Gunter Beitrag anzeigen
    Danke für die ausführliche Erläuterung. Musiker und Spielleute sind eben zwei verschiedene Paar Schuhe.

    Bei den Tambourmajoren frage ich mich allerdings wie weit deren musikalischer Sachverstand wirklich ging. Schließlich war ein wesentliches Merkmal für diesen Job ihre Körpergröße. Ähnliches kann man sich bei den Sappeuren fragen. Waren das wirklich professionelle Zimmerleute und Regimentspioniere oder nur relativ willkürlich ausgewählte Männer mit starkem Bartwuchs? Etliche der dargestellten Äxte wirken nämlich wie reine Schauwerkzeuge. Soult soll ja mal in diese Praxis des mehr Schein als Seins versucht haben einzugreifen.

    Grüße

    Gunter
    Zitat von Tellensohn Beitrag anzeigen
    Wie oben schon erwähnt, bei den weitaus meisten wohl nicht sehr weit. Gehörte nicht zum Anforderungsprofil, sondern, wie du gesagt hast, solche Dinge wie die Körpergrösse (es gab aber offenbar auch vergleichsweise "kleine" Tambour Majors), dazu kunstvolle Handhabung der Canne, und natürlich einwandfreie Kenntnis der Trommelsignale (inkl. natürlich der dazugehörenden Pfeifersignale) und Trommelmärsche. In erster Linie war der Tambour Major eine Repräsentationsfigur, die Eindruck machen sollte. Die Musik brauchte ihn nicht zu kümmern, das war Sache des Chef de musique, der aber genau deshalb auch grosse Autonomie genoss.

    Gruss, T.

    PS: Es hat aber sicher auch Ausnahmen gegeben, auch bei den Tambour Maîtres. Z.B. war Johannes Bühler, der Bearbeiter der Eidgenössischen Tambour- und Pfeifer-Ordonnanzen von 1819, zu der auch "Feldschritte" (Märsche) mit anspruchsvolleren Melodien gehörten (u.a. Bearbeitungen damals bekannter Lieder und Tänze), möglicherweise ein Tambour Maître und Veteran der napoleonischen Armee. Jedenfalls war er bei den Zeitgenossen als "der Tambour Maître" bekannt. Aber es ist klar, dass auch wenn er von Musik vielleicht mehr Ahnung hatte als andere seiner Kollegen, Arrangements für Trommeln und Pfeifen doch weniger musikalisches Können und Wissen voraussetzen als solche für Harmonie- und Türkische Musik oder gar eigentliche Kammermusik.
  • Tellensohn
    Erfahrener Benutzer
    Chef de Bataillon
    • 16.02.2011
    • 1253

    #2
    Zitat von Tellensohn Beitrag anzeigen
    Anlässlich von Revuen und in der Schlacht marschierte der Chef de musique scheinbar links neben der 1. Reihe der Musiker.
    Dazu möchte ich ergänzend noch etwas anmerken:

    Dass der Chef de musique links neben der 1. Reihe der Musiker stand, entnehme ich einer Darstellung in einem Artikel von Rigo, der die Tête de colonne des 3e de ligne (oder irgendeines Linieninfanterieregiments mit 3 Bataillonen) um 1810 zeigen soll (Figurines N°2, S.47; s. Anhang 1).
    Ebd., S.50: "Lors des parades, la musique défile derrière les tambours. Son chef se place alors soit en "serre file" à la gauche du premier rang, soit en tête."
    (Vor der ersten Reihe der Musiker marschieren in Rigos Darstellung allerdings noch die "janissaires", d.h. die Spieler der "türkischen Instrumente", die oft keine Gagisten, sondern Soldats-musiciens gewesen zu sein scheinen. Vielleicht lässt Rigo sie deshalb ausser acht?).

    Bei Bardin heisst es:

    "A titre de MUSICIEN MILITAIRE, le Chef de musique doit jouer lui-même d'un INSTRUMENT D'HARMONIE et marcher dans les RANGS; cependant on a vu en certains COPRS PRIVILÉGIES le Chef de la MUSIQUE n'exécuter aucun INSTRUMENT, et marcher en tête et hors des RANGS de sa SUBDIVISION." (Dictionnaire de l'Armée de Terre, II, S.1218)

    Nach Bardin marschierte also der Chef de musique gewöhnlich in der Reihe der Musiker. Dabei denkt er sicherlich an eine Kapelle, die lediglich aus den schon im Ancien Régime jedem Regiment offiziell zugestandenen 8 Musikern (Gagisten) bestand, von denen einer der Chef de musique war und die gewöhnlich in einer einzigen Reihe marschierten. Es scheint klar, dass bei einer so geringen Anzahl von Musikern a) der Chef selber auch ein Instrument spielen musste und b) er die wenigen Musiker wohl auch so ganz gut überblicken und "dirigieren" konnte.

    Bei den Kapellen der "privilegierten Korps" dürfte er natürlich besonders an jene der Garde gedacht haben (aber war jede Gardekapelle so gross wie jene der Gardegrenadiere?). Ich würde vermuten, dass es in erster Linie die Grösse gewisser Kapellen war, die es notwendig machte, den Chef de musique aus der Kapelle heraustreten zu lassen, damit er sie überhaupt dirigieren konnte (liege ich da falsch?). Falls dem so wäre, müssten aber auch bei der Linie etliche Einheiten zu den "privilegierten Korps" gehört haben, da auch hier einige (zumindest zeitweise) sehr grosse Musikkapellen aufwiesen.

    Der Chef de musique konnte also statt ausserhalb auch vor der Kapelle marschieren, wobei ich mir nicht ganz sicher bin, wie ich das "en tête et hors" verstehen soll. "An der Spitze, und somit ausserhalb..." oder "entweder an der Spitze oder ausserhalb"? Und heisst "ausserhalb" im zweiten Fall "neben"? Falls ja, steht immer noch nicht fest, was genau "neben" meint, Neben der 1. Reihe, und falls ja, links oder rechts?

    Ich weiss nicht, woher Rigo so genau weiss, dass der Chef de musique wenn nicht an der Spitze, dann links von der Kapelle stand. Kennt jemand eine zeitgenössische Quelle, die das schriftlich oder bildlich bestätigt? Die einzige Quelle, die mir zur Zeit präsent ist und die tatsächlich einen Chef de musique neben der Kapelle zu zeigen scheint, zeigt diesen nämlich rechts, und nicht links von ihr. Es handelt sich um eine Zeichnung Vivant Denons, der die Ankunft französischer Truppen bei Cosseir/Ägypten im Mai 1799 zeigt. Im Hintergrund erkennt man hinter dem rechten Flügel der Infanterie eine summarisch dargestellte Militärkapelle. Rechts von ihr steht etwas isoliert dargestellt ein einzelner, vermutlich eine kleine Klarinette spielender Musiker, bei dem es sich sehr wohl um einen Chef de musique handeln könnte (in: Jean Tranié / J.C. Carmigniani, Bonaparte. La Campagne d'Egypte, Paris 1988, S.179; s. Anhang 2).


    Noch eine Bemerkung zur Position der Musiker beim Paradieren:

    Rigo, op.cit., S.50:

    "Lors des parades, la musique défile derrière les tambours"

    Das ist sicher ausreichend bezeugt, aber es scheint mir gar nicht so selbstverständlich, dass die Musik beim Defilieren hinter den Tambouren marschierte (in der Schlachtordnung standen sie schon hinter den Tambouren, aber das ist etwas anderes). Jedenfalls gibt es Illustrationen, die gerade das Gegenteil zeigen, z.B. die hier:



    Überhaupt scheint das die traditionelle Marschgliederung gewesen zu sein. So heisst es in der französischen Ordonnanz von 1776 unter "Manière de défiler dans les revues d'honneur":

    "Le Major, à la tête du régiment.
    A quatre pas derrière lui, le Tambour-major.
    A deux pas derrière le Tambour-major, la musique sur un rang.
    A deux pas derrière la musique, les Tambours [des 1. Bataillons] sur un rang, de manière que le rang des Tambours précéde [sic] de huit pas le Capitaine-commandant de la compagnie de Grenadiers."

    [Es folgte die Truppe des 1. Bataillons, wenn ich richtig verstanden habe, und dann:]

    "Les Tambours du second bataillon se placeront de même sur un rang à huit pas en avant du Capitaine-commandant la première division de ce bataillon."
    Etc.

    (Ordonnance du Roi, pour régler l'Exercice de ses troupes d'infanterie. Du premier Juin 1776. A Metz,... M.DCC.LXXVI, S. 281)


    Und schliesslich noch zwei Anmerkungen zum Officier de musique:

    1) Ein klein wenig weiteren Aufschluss über die Aufgaben eines Officier de musique und die Stellung, die er gegenüber dem Chef de musique einnahm, bietet ein Vertrag aus dem Jahr 1814, in welchem sich der "chef musicien" Jean-Louis Sabon für ein Jahr als Chefmusiker des 64. Infanterieregiments verpflichtet. Darin heisst es: "Et, en outre, pendant la durée de son service, [Sabon] promet de former des élèves et à faire les répétitions toutes les fois que le capitaine de musique l'ordonnera." (Soldats Suisses au Service Étranger, Tome Troisième. Mémoires du Petit-Louis, J.-L. Sabon. Mémoires de J.-L. Rieu. Les Cent-Jours en Belgique et en France, F.-J.-L. Rilliet. Avec notices et portraits, Genève: A. Jullien, Éditeur, 1910, S.4f.)

    2) Eine Illustration, auf die in diesem Forum schon des öfteren hingewiesen wurde, zeigt Angehörige des 95. Linieninfanterieregiments in Nürnberg im Jahre 1806:



    Das Bild wurde auch von Rigo besprochen (Tradition Magazine N°37, février 1990, S.14-19; N°39, avril 1990, S.34-39). Unter den Offizieren bereitet ihm einer besonderes Kopfzerbrechen, nämlich der mit dem hellblauen Stutz. Könnte es sein, dass es sich hier um den Officier de musique des Regiments handelt, zumal hellblau die Abzeichenfarbe eben der Musiker dieses Regiments war? Nur so eine Idee.


    Korrektur: Der Offizier mit dem hellblauen Stutz hat wohl nichts mit der Musik zu tun. Habe inzwischen irgendwo in einem Reglement o.ä. gelesen (mir aber idiotischerweise nicht gemerkt, wo), dass Offiziere, die vom Regiment zum Brigadestab abgestellt waren bzw. als Verbindungsoffiziere zw. Regiment und Brigade fungierten, hellblaue Stutze trugen (hellblau = Kennfarbe der Brigadegeneräle).
    Zuletzt geändert von Tellensohn; 28.04.2019, 13:24.

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