Tote und Verwundete bei Leipzig

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  • Tom
    Erfahrener Benutzer
    Chef de Bataillon
    • 03.10.2006
    • 1068

    Tote und Verwundete bei Leipzig

    Dass die Tagespresse die historischen Fakten durcheinander wirft, daran hat man sich ja schon fast gewöhnt. Leider werden einzelne Irrtümer mittlerweile zu fast unausrottbaren Mythen. Ein solcher Mythos sind die Verluste bei Leipzig, meist zu 100.000 Toten angeben (selbst vom Buchautor A. Platthaus in der normalerweise gut recherchierenden FAZ, siehe www.faz.net/aktuell/feuilleton/zweihundertster-jahrestag-im-schatten-der-voelkerschlacht-von-leipzig-12528859.html oder im Tagesspiegel www.tagesspiegel.de/kultur/200-jahre-voelkerschlacht-der-untergang/8598000.html ). Die Zahlen wanderten so wohl auch in den Film über die Völkerschlacht auf der Spiegel-CD :attention:

    Die mir vorliegenden Zahlen lauten (s. z.B. das dt. Generalstabswerk Friederich: Geschichte des Herbstfeldzuges 1813, Bd. III, S. 225ff - dort auch Vergleich mit den Zahlen bei Plotho, Hofmann, Beitzke):
    + Verbündete: 54.000 Mann Tote und Verwundete
    + Franzosen und deren Alliierte: 38.000 Mann Tote und Verwundete,
    zusammen also rd. 92.000 Mann Tote und Verwundete.

    Ich nehme an, dass das Verhältnis Tote / Verwundete etwa 1:3 betrug, komme also auf vermutlich rd. 23.000 Tote... Hat jemand bessere / genauere Zahlen?

    Gruß, Tom
  • muheijo
    Erfahrener Benutzer
    Capitaine
    • 01.10.2006
    • 553

    #2
    Hans Pohle gibt in seinem Buch an:

    Verbuendete:
    1.792 Offiziere + 51982 Soldaten und Unteroffiziere. (als gefallen!*)
    Das Ganze ist auch noch nach Korps und Land næher aufgeschluesselt.

    Auf Franzøsischer Seite ist's dann leider ungenauer - weil es keine Verlustlisten mit Zuordnung nach Korps. gibt. Also, geschætzt:

    Tote 30.000
    Verwundete und Kranke: 38.000
    Ueberlæufer: 5.000
    Gefangene: 37.000
    -------
    Summe 110.000

    Summe Gefallener insgesamt also mindestens 83.000 Mann.

    Beachten sollte man, dass auch die Zivilbevølkerung erhebliche Verluste - vor allem durch Epidemien - zu erleiden hatte, und man mit etwa 1/3 an Toten bei den Gefangenen und Verwundeten in den Wochen und Monaten nach der Schlacht rechnen muss.

    Gruss, muheijo

    Edit: (*) Wundern tut mich, dass in der Verlustliste der Verbuendeten keine Verwundeten auftauchen...
    Vielleicht kann man es an den Schweden genauer herausfinden:
    Er gibt 178 Gefallene an (9 Offiziere, 169 Mann) - Stimmt das, oder wurden die Verwundeten doch mitgezæhlt?
    Zuletzt geändert von muheijo; 31.08.2013, 08:55.

    Kommentar

    • Tom
      Erfahrener Benutzer
      Chef de Bataillon
      • 03.10.2006
      • 1068

      #3
      Pohle, Bogdanowitsch

      Muheijo,

      vielen Dank! Gibt Pohle seine Quellen an? Die "1.792 Offiziere + 51982 Soldaten und Unteroffiziere. (als gefallen!*)" entsprechen ziemlich genau den 52.000 Mann tot und verwundet bei Friederich, insofern vermute ich Fehlinterpretation der älteren Quelle(n)??

      Ich habe jetzt noch die Zahlen von Bogdanowitsch zu den Russen rausgezogen (er vergleicht ähnlich wie Friederich auch Plotho, Hofmann, Schulz [& Schütz] und Aster, s. Bd. II.2, S. 231): Diese schwanken von 19.535 bis 22.604 M. Tote und Verwundete bzw. Gefangene. Da Bogdanowitsch außerdem die amtlichen russischen Archive zur Verfügung standen und er sicher kein Interesse hatte, die russ. Verluste zu untertreiben, scheint dies ungefähr zu stimmen. Die Russen hatten bei den Verbündeten anteilig die höchsten Verluste, gefolgt von den Preußen (14.100 - 16.400 M.), Österreichern (7.300 - 8.400 M.) und Schweden (103 - 310 M.?), wie gesagt, immer Tote und Verwundete (bei einigen Quellen zusätzlich: Gefangene).

      Ein anderes Argument: Wenn es bei Leipzig 100.000 Tote gegeben hätte, dann hätte es außerdem 200.000-300.000 Verwundete gegeben, das wären also insg. 50-60% der eingesetzten Streitkräfte (bei 500.000 - 600.000 Streitern auf beiden Seiten). Dies ist ganz unvorstellbar... Die Schlachten mit den höchsten Verlustraten in den napoleonischen Kriegen waren wohl Pr. Eylau (1807) und Borodino (1812), bei letzterer hatten die Russen einen Verlust von annähernd 35-40%, nicht zuletzt aufgrund der tiefen (bis 7-fachen) Staffelung ihrer Linien in einem relativ offenen Gelände. Bei Leipzig hingegen war ein Großteil der Kämpfe Ortsgefecht (besonders in den Dörfern um Leipzig), deshalb und auch aus anderen Gründen können die Verluste nicht so hoch wie bei Borodino gestiegen sein.

      Gruß, Tom

      Kommentar

      • Gunter
        Erfahrener Benutzer
        Chef de Bataillon
        • 01.10.2006
        • 1377

        #4
        Genau wird man das sowieso niemals herausfinden können. Angaben ohne eine Aufschlüsselung nach Toten, Verwundeten, Gefangenen, Vermissten sind häufig nicht so zuverlässig. Man muss auch bedenken, dass die nach oben gemeldeten Zahlen nicht unbedingt gestimmt haben müssen, so dass sich in der Summe das Gesamtbild erheblich verschoben haben kann. Ohne Sachkenntnis werden die Zahlen der Gefallenen daher meist extrem zu hoch angesetzt, nicht nur in diesem Fall spielt auch die journalistische Neigung zur sensationsmäßigen Übertreibung eine Rolle.

        Grüße

        Gunter

        Kommentar

        • Harper
          Erfahrener Benutzer
          Sergent-Major
          • 12.07.2012
          • 180

          #5
          Zitat von Tom Beitrag anzeigen
          Muheijo,

          vielen Dank! Gibt Pohle seine Quellen an? Die "1.792 Offiziere + 51982 Soldaten und Unteroffiziere. (als gefallen!*)" entsprechen ziemlich genau den 52.000 Mann tot und verwundet bei Friederich, insofern vermute ich Fehlinterpretation der älteren Quelle(n)??

          Ich habe jetzt noch die Zahlen von Bogdanowitsch zu den Russen rausgezogen (er vergleicht ähnlich wie Friederich auch Plotho, Hofmann, Schulz [& Schütz] und Aster, s. Bd. II.2, S. 231): Diese schwanken von 19.535 bis 22.604 M. Tote und Verwundete bzw. Gefangene. Da Bogdanowitsch außerdem die amtlichen russischen Archive zur Verfügung standen und er sicher kein Interesse hatte, die russ. Verluste zu untertreiben, scheint dies ungefähr zu stimmen. Die Russen hatten bei den Verbündeten anteilig die höchsten Verluste, gefolgt von den Preußen (14.100 - 16.400 M.), Österreichern (7.300 - 8.400 M.) und Schweden (103 - 310 M.?), wie gesagt, immer Tote und Verwundete (bei einigen Quellen zusätzlich: Gefangene).

          Ein anderes Argument: Wenn es bei Leipzig 100.000 Tote gegeben hätte, dann hätte es außerdem 200.000-300.000 Verwundete gegeben, das wären also insg. 50-60% der eingesetzten Streitkräfte (bei 500.000 - 600.000 Streitern auf beiden Seiten). Dies ist ganz unvorstellbar... Die Schlachten mit den höchsten Verlustraten in den napoleonischen Kriegen waren wohl Pr. Eylau (1807) und Borodino (1812), bei letzterer hatten die Russen einen Verlust von annähernd 35-40%, nicht zuletzt aufgrund der tiefen (bis 7-fachen) Staffelung ihrer Linien in einem relativ offenen Gelände. Bei Leipzig hingegen war ein Großteil der Kämpfe Ortsgefecht (besonders in den Dörfern um Leipzig), deshalb und auch aus anderen Gründen können die Verluste nicht so hoch wie bei Borodino gestiegen sein.

          Gruß, Tom
          Pohle ist nicht so ganz eindeutig in seinen Aussagen - einerseits schreibt er von Verlusten ( die auch Verwundete einschließen ) oder von Gesamtverlusten und andererseits von Gefallenen.
          Die Zahlen sind ähnlich denjenigen bei Friedrich ( der allerdings im Literaturverzeichnis nicht auftaucht ), werden aber wohl dem Buch von Carl Friccius "Geschichte des Krieges in den Jahren 1813 und 1814" entnommen sein. Zumindest entsprechen seine Tabellen den Auflistungen von Friccius.

          Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass sich weder nach Friccius, Günther, von Rau, Wuttke, Sporschil, Aster oder Sommer in der Addition um die 100.000 Gefallene begründen lassen. Die Zahlen liegen deutlich darunter.
          Allerdings dürfte für Leipzig die übliche Umrechnung von 1 Gefallenen = 3 Verwundete zumindest bei der ex post -Betrachtung nicht heranzuziehen sein, da ungewöhnlich viele Verwundete noch während der Schlachttage oder kurz danach verstorben sind. Gründe hierfür lagen sowohl in der fehlenden Versorgung auf dem Schlachtfeld als auch in den mangelnden hygienischen Verhältnissen in den Lazaretten bzw ausbrechenden Seuchen. So sollen von den 23.000 ( offiziellen ) Verwundeten in Leipzig bis Anfang Dezember nahezu 50 % Prozent verstorben sein.
          Zuletzt geändert von Harper; 01.09.2013, 15:26.

          Kommentar

          • Tom
            Erfahrener Benutzer
            Chef de Bataillon
            • 03.10.2006
            • 1068

            #6
            Zählung der Verwundeten / Toten

            Harper,

            bin soweit d'accord. M.E. können damals die offizielle Zählung bzw. listenmäßige Erfassung / Rapporte nach der Schlacht mit "tot" nur die direkt in der Schlacht Getöteten gemeint haben - wer verwundet wurde und später (wann auch immer) starb, zählte in der Statistik eben als "Verwundeter".

            Ein - wenn auch etwas hinkender - Vergleich: M.W. wird in der Verkehrsunfallstatistik (weltweit) es heutezutage so gehandhabt, dass ein Verletzter, der innerhalb von 30 Tagen nach dem Unfall stirbt, den "Verkehrstoten" zugerechnet wird, sonst (wenn er verletzt überlebt oder nach mehr als 30 Tagen stirbt) gilt er nur als "im Verkehr verletzt". Irgendeine definitorische Abgrenzung musste man halt treffen, um die Statistiken vergleichen zu können.

            Gruß, Tom

            Kommentar

            • KDF10
              Erfahrener Benutzer
              Chef de Bataillon
              • 19.12.2010
              • 1278

              #7
              Zitat von Tom Beitrag anzeigen
              Harper,

              bin soweit d'accord. M.E. können damals die offizielle Zählung bzw. listenmäßige Erfassung / Rapporte nach der Schlacht mit "tot" nur die direkt in der Schlacht Getöteten gemeint haben - wer verwundet wurde und später (wann auch immer) starb, zählte in der Statistik eben als "Verwundeter".

              Ein - wenn auch etwas hinkender - Vergleich: M.W. wird in der Verkehrsunfallstatistik (weltweit) es heutezutage so gehandhabt, dass ein Verletzter, der innerhalb von 30 Tagen nach dem Unfall stirbt, den "Verkehrstoten" zugerechnet wird, sonst (wenn er verletzt überlebt oder nach mehr als 30 Tagen stirbt) gilt er nur als "im Verkehr verletzt". Irgendeine definitorische Abgrenzung musste man halt treffen, um die Statistiken vergleichen zu können.

              Gruß, Tom
              Was die heutige Verkehrsunfallstatistik betrifft, hast du absolut recht. Aber früher wurde auch getrickst. Damit meine ich den Zeitraum vor 30 oder 40 Jahren. Ein Toter darf nicht in einem Krankenwagen transportiert werden. Ein Bericht für einen Toten ist für Polzeibeamte viel umfangreicher. Deshalb hieß es dann, der hat sich gerade noch bewegt, dann kam er in den Krankenwagen und ist halt auf dem Transport ins Krankenhaus verstorben.

              Was die Zahl der Toten von Leipzig betrifft wird das auch nicht zu klären sein. Man hat die Toten und Verwundeten nach der Schlacht gezählt und das wars dann. Wer später an seinen Verwundungen gestorben ist, wurde nur in seltenen Fällen namentlich registriert. Man darf dabei auch nicht vergessen, dass manche Verwundete noch nach vier Tagen auf dem Schlachtfeld lagen. Das dürfte besonders die Franzosen getroffen haben, deren Armee sich zurückgezogen hatte.

              Kommentar

              • Gunter
                Erfahrener Benutzer
                Chef de Bataillon
                • 01.10.2006
                • 1377

                #8
                Man sollte vielleicht auch nicht vergessen, dass die Verlustmeldungen vor allem einen Zweck hatten: der eigenen Führung ein Bild darüber zu geben, wie einsatzfähig die Armee noch war. Da reichte ein grober Überblick und eine genauere Differenzierung war nicht notwendig. Die tatsächlichen Zahlen änderten sich sowieso ständig.

                Grüße

                Gunter

                Kommentar

                • Harper
                  Erfahrener Benutzer
                  Sergent-Major
                  • 12.07.2012
                  • 180

                  #9
                  "Was die Zahl der Toten von Leipzig betrifft wird das auch nicht zu klären sein. Man hat die Toten und Verwundeten nach der Schlacht gezählt und das wars dann. Wer später an seinen Verwundungen gestorben ist, wurde nur in seltenen Fällen namentlich registriert. Man darf dabei auch nicht vergessen, dass manche Verwundete noch nach vier Tagen auf dem Schlachtfeld lagen. Das dürfte besonders die Franzosen getroffen haben, deren Armee sich zurückgezogen hatte."

                  So einfach war das nicht mit dem Zählen der Toten und Verwundeten nach der Schlacht. Dazu aus Johann Sporschil, Geschichte der Völkerschlacht bei Leipzig, Braunschweig 1843, S. 183 ( zitiert als Fußnote ):

                  "Den beiderseitigen Verlust, besonders an Toten, genau anzugeben, ist niemand im Stande, da das Schlachtfeld drei Stunden in einem Umkreise von Leipzig sich auf allen Seiten ausdehnte und besonders am 17. von allen Teilen sehr viele Gebliebene auf dem Schlachtfeld beerdigt wurden."

                  Kommentar

                  • KDF10
                    Erfahrener Benutzer
                    Chef de Bataillon
                    • 19.12.2010
                    • 1278

                    #10
                    Noch einmal zur Erinnerung: Ab Montag gibt es im TV beim MDR, ab 19:50 Uhr, täglich eine Berichterstattung zur Völkerschlacht bei Leipzig. Dauer jeweils 25 Minuten.

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