Verschossene Kanonenkugeln - recyclet oder entsorgt?

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  • Drusus
    Erfahrener Benutzer
    Tambour-Major
    • 09.10.2006
    • 278

    #46
    Zitat von björn Beitrag anzeigen
    Drusus, danke für die Angaben zu meiner Hohlkugel. Du hast recht mit der großen Variabilität der Wandstärken von Hohlkugeln. Ich habe mehrere solcher Trümmer zuhause.

    Hallo Björn,

    die Bruchstücke geben mir ein kleines Rätsel auf. Ich habe, wie bereits erwähnt, über 40 von denen, die aus einem Gebiet stammen, in dem Österreicher 1809 von Bayern und Franzosen gemeinsam beschossen wurde.

    Die Splitter lassen sich grob in 3 Kategorien einteilen.
    1. mit einer Wandstärke von 1,7 bis 2,4 cm
    2. mit einer Wandstärke von 2,3 bis 2,5 cm
    3. mit einer Wandstärke von 2,6 bis 2,8 cm

    Von Kategorie 3 habe ich nur einen einzigen Splitter, der am dünneren Teil eben 2,6 und am dickeren 2,8 cm aufweist (mittels Elektrolyse gereinigt, also ohne Oxidschicht)

    Man könnte sich jetzt wundern, warum sich Kategorie 1 und 2 überschneiden. Aber das liegt ganz einfach daran, dass die 2,4 cm Stücke aus Kategorie 1 eben nur am dicksten Teil 2,4 cm messen und an dünneren Teilen bis zu 0,5 cm weniger.

    Vielleicht waren die dünneren französische und die dickeren bayrische Granaten im "österreichischen Stil" (M1785 oder M1806).

    Es ist natürlich auch möglich, dass dies alles ein und dieselbe Art von Kugeln ist, deren Wandstärke eben teilweise extrem variiert. Eine durchweg gleich dicke Hohlkugel dürfte eher die Ausnahme dargestellt haben. Ich stimme Blesson voll und ganz zu, dass ein normierter Guss nicht möglich war. Ich habe hier z.B. eine bayrische Zwölfpfünder-Vollkugel, die eigentlich 5,5 kg wiegen sollte. Sie wiegt aber nur 5,1 kg. An zwei Stellen weißt sie kleine Löcher auf, die in tiefere Lunker münden. Das konnte ich gut daran erkennen, dass aus den Löchern noch sehr viel Wasser lief, nachdem ich die Boden-Fundkugel aus dem Entsalzungsbad nahm. Ich nehme an, dass sich im Inneren der Kugel noch weitere Lunker befinden, welche den Verlust von 400 g zum Sollgewicht erklären. Allerdings sind mir unter den "Abweichlern" bisher ausschließlich zu leichte Kugeln untergekommen, bis auf ein paar französische Achtpfünder, die jedoch maximal 50 g über dem Soll von 4 kg lagen. Lange Rede, kurzer Sinn: sollte man diese Vollkugel-Erkenntnisse auch auf Hohlkugeln übertragen können und sollte Deine Granate im Inneren ganz "sauber" sein, denke ich eben, dass es eher eine - im Vergleich zum Sollgewicht - 500 g zu leichte österreichische als 900 g zu schwere französische Granate ist (vorausgesetzt auch, die Tabellen in "Napoleonic Artillery" stimmen).

    Ich sehe schon, wie Naturwissenschaftler Blesson die Hände über dem Kopf zusammenschlägt , aber mei - Archäologie ist halt keine exakte Wissenschaft, sondern basiert auf Vermutungen, die irgendwann wieder revidiert werden. Wobei ich mich jetzt nicht als Archäologen bezeichnen möchte, obwohl ich das beinahe mal studiert hätte.

    Viele Grüße und ein schönes WE,
    Günter
    "But Linden saw another sight, when the drum beat at dead of night,
    commanding fires of death to light the darkness of her scenery." (Thomas Campbell)

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    • Blesson
      Erfahrener Benutzer
      Adjudant
      • 03.10.2006
      • 778

      #47
      Das Interpretieren der Kugelfunde ist immer ein bißchen Kaffeesatz lesen;

      Es geht hier aber auch um die Methoden, wie man heute Erkenntnisse gewinnt, und da gilt es das neue naturwissenschaftliche Denken mit geschichtlichem Wissen sowie zeitgenössischen Quellen über Waffentechnik, Schlachtverlauf und Taktik zu kombinieren. Archäologie allein reicht da nicht, man sollte in vielen Disziplinen, u.a. Statistik und darstellender Geometrie, jonglieren können. Dann ist man ziemlich leicht in der Lage, die Stichhaltigkeit von historischen und rezenten Angaben nachzuprüfen. Einige plausible Annahnen, und schon kann man die Wandstärken nachrechnen und mit den emprischen Ergebnissen vergleichen... Aber zurück zur Sache:

      Die unterschiedlichen Wandstärken interpretiere ich als Hinweis, daß die bei den Franzosen so beliebten exzentrischen Bomben zum Einsatz kamen:
      Der stärkere Boden der exzentrischen Bomben sollte ja bewirken, daß diese mit dem Boden aufschlugen, anstatt seitlich oder mit dem Zünder voran. Nun ist es aber so, daß die Bomben beim Abschuß einen Drehimpuls erfahren: Tatsächlich hatten also die exzentrischen Bomben laut Scharnhorst eine taumelnde Flugbahn und infolgedessen eine geringere Treffergenauigkeit. Dies wurde nachgewiesen durch Treffertabellen auf den Schießbahnen, die graphisch ausgewertet wurden, mithin nicht genau quantifizierbar waren, da ja die Varianz noch nicht bekannt war.

      LB

      P.S. Das dreibändige Werk von scharnhorst habe ich auch nicht im Original, sondern in Kopie, was natürlich zum Zitieren reicht. Dagegen habe ich weitere Scharnhorstbände im Original. Wer lange sucht, findet mit Glück auch Originale zu bezahlbaren Preisen. Ich hoffe doch sehr, daß der Scharnhorst eines Tages bei Googlebooks auftaucht. Bei der TUB Hannover oder Staatsbibliothek München wird er sicher als pdf gegen bares zu beziehen sein.
      Zuletzt geändert von Blesson; 15.03.2008, 00:15.
      Do, ut des

      http://www.ingenieurgeograph.de

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      • Drusus
        Erfahrener Benutzer
        Tambour-Major
        • 09.10.2006
        • 278

        #48
        Zitat von Blesson Beitrag anzeigen
        Die unterschiedlichen Wandstärken interpretiere ich als Hinweis, daß die bei den Franzosen so beliebten exzentrischen Bomben zum Einsatz kamen:
        Was sich anhand einiger meiner Splitter bestätigen lässt. Denn diese weisen Fragmente des Zündloches auf und genau an dieser Stelle ist die Wandstärke deutlich am dünnsten.

        Ebenso habe ich schon Reste dreier auf dem Boden explodierter Granaten gefunden (erkennt man daran, dass 8 bis 10 Splitter extrem dicht beieinander lagen). Dies waren ausnahmslos dickwandige Splitter (also vom Boden), was bedeutet, dass die französische Strategie des mit dem Unterteil Aufschlagens zumindest des öfteren fruchtete.

        Viele Grüße,
        Günter

        PS: was schreibt eigentlich Scharnhorst über die optimale Explosion von Granaten und Bomben? Bisher habe ich leider noch nicht eindeutig erfahren können, ob es gewünscht war, dass diese - gegen weiche Ziele eingesetzt - auf dem Boden explodierten oder in der Luft knapp über dem Gegner.
        Zuletzt geändert von Drusus; 15.03.2008, 00:22.
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        commanding fires of death to light the darkness of her scenery." (Thomas Campbell)

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        • björn
          Neuer Benutzer
          Soldat
          • 06.02.2008
          • 20

          #49
          Servus Günter!
          je mehr man in die Materie eintaucht, umso interessanter wird die Sache.
          Ich habe gestern 12 Hohlkugelfragmente hervorgeholt und mit der Schublehre vermessen. Ich gebe jeweils 2 Meßzahlen (von gegenüberliegenden Seiten) bekannt. Mir ist klar, dass die Differenzen dieser 2 Zahlen von der Größe und der Position des Fragments an der Kugel abhängt:
          20,6/24,2 21,1/21,5 21,7/22,7 16,5/17,3 25,2/26,2 19,8/22,0 19,9/21,2
          17,9/18,9 18,7/20,1 26,0/29,9
          Mit Zündlochteil: 16,4/19,4 17,9/26,3 !!.Dieses letzte Fragment ist vergleichsweise sehr groß.
          Was meine Hohlkugel betrifft, so wurde deren Inhalt (Pulver, geschmolzenes Zeug)mit einem Steckerl herausgeholt. Ob da noch ca 500 g Reste drinnen sind, bezweifle ich, kanns aber auch nicht ausschließen. Die Kugel wurde aus Zeitmangel aussen mechanisch entrostet und dann eingeölt. Ich weiß, dass diese Vorgangsweise unproffessionel ist. Vielleicht schreibst Du mir einmal, kann auch im BFF sein, wie Du bei den Kugeln (auch Granaten) vorgehst.
          @Blesson: Dein Wissen möcht ich haben. Großer Respekt !!!

          Liebe Grüße
          sigi alias björn alias erdbär

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          • Drusus
            Erfahrener Benutzer
            Tambour-Major
            • 09.10.2006
            • 278

            #50
            Hi Björn,

            Deine Vermessungen entsprechen so ziemlich den meinen und sprechen für die von Blesson erwähnte Gewichtserhöhung gen Boden.

            Was das Reinigen von Kugel-Bodenfunden angeht, so gibt es da verschiedene Ansichten. Die einen hauen sie zur Entrostung schnell in die Elektrolyse oder in ein Säurebad. Ich mach das nur bei stärker verrosteten Granatsplittern und reinige ansonsten rein mechanisch, was natürlich zeitaufwändiger ist. Dafür bleibt dabei die mMn erhaltenswerte dünne Magnetid-Schicht um den Eisenkern erhalten, die doch - ähnlich der Patina einer Kupfermünze - einen gewissen Alternsnachweis darstellt - ich hab im BFF schon mal eine kleine Abhandlung dazu verfasst: http://www.bodenfundforum.net/Restau...ne-t21185.html

            Leider kam mir noch keine intakte Hohlkugel unter - deswegen weiß ich jetzt auch nicht, wie man die am besten innen reinigt. Evtl. würde ich sie sogar 1 bis 2 Tage mit einer verdünnten HEDP-60-Lösung füllen. Aber so was sollte man machen, bevor eine Konservierung mit Öl, Lack oder Paraffin durchgeführt wurde.

            Viele Grüße,
            Günter

            PS: ach, Du bist der Erdbär mit dem Fallou aus dem BFF - grias di!
            Zuletzt geändert von Drusus; 16.03.2008, 15:04.
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            • Blesson
              Erfahrener Benutzer
              Adjudant
              • 03.10.2006
              • 778

              #51
              Noch eine Anregung: ich würde bei den Splittern versuchen, Die Krümmung zu messen; Also Länge der Sehnen (Sekanten) Und Höhe der Krümmung. Wahrscheinlich kommt nur heraus was wir ohnehin schon wissen, nämlich eine 7 oder 10 pfündige Haubitze.

              Noch ein Rechenexempel um die Wandungsstärke mit den ff. gemessenen Werten zu vergleichen:

              Die Splitter lassen sich grob in 3 Kategorien einteilen.
              1. mit einer Wandstärke von 1,7 bis 2,4 cm
              2. mit einer Wandstärke von 2,3 bis 2,5 cm
              3. mit einer Wandstärke von 2,6 bis 2,8 cm
              Wenn wir einmal annehmen, daß wir eine Bombe mit 7,02 kg mit einem Durchmesser 14,57cm haben, eine relative Dichte von 7,3 für das Eisen annehmen, eine ideale Kugel unterstellen, den Massenbeitrag des Zündlochs vernachlässigen, dann erhalten wir eine mittlere Wandstärke von 1,89 cm. Bei Dichte 7,1 erhalten wir 1,94 cm, es ändert sich also nicht viel.

              Der berechnete Wert liegt also ziemlich nah am untersten gemessenen Wert von 1,7 cm. Das macht eine Differenz von ca. 0,19cm, also eine maximale Stärke von 1,89 + 0,19cm = 2,08 cm. Stimmt also mit den gemessenen Werten nicht sonderlich gut überein. Der einzige Parameter, den man noch variieren kann, wäre die Dichte... oder wir haben es mit einem anderen Kaliber zu tun...

              LB
              Zuletzt geändert von Blesson; 17.03.2008, 13:31.
              Do, ut des

              http://www.ingenieurgeograph.de

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              • Drusus
                Erfahrener Benutzer
                Tambour-Major
                • 09.10.2006
                • 278

                #52
                Hallo Blesson.

                erst mal Hut ab, vor Deinen Berechnungen.

                Ich würde nicht ausschließen, dass meine Splitter zu verschiedenen Kalibern gehören. Immerhin wurde das Fundgebiet an einem Tag von Bayern und Franzosen beschossen und vielleicht noch am Folgetag von den Österreichern, zumal sich diese von dort zurückzogen und der Feind hier nachrückte.

                Einer meiner dickwandigen Splitter ist zum Glück sehr groß (1,2 kg). Ich werde mal demnächst durch Messen und Berechnen den Umfang ermitteln.

                Viele Grüße,
                Günter
                "But Linden saw another sight, when the drum beat at dead of night,
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                • Axel
                  Neuer Benutzer
                  Enfant de Troupe
                  • 08.02.2010
                  • 1

                  #53
                  Hallo Günter,

                  ich wollte für eine Ausstellung im Ruhrgebiet eine französische Kanonenkugel ausstellen. Weißt Du vielleicht, wo die von Dir beschriebenen gefundenen Kanonenkugeln aufbewahrt werden?

                  Vielen Dank und viele Grüße

                  Axel

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