Wegweiser-Personal

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  • Blesson
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    • 03.10.2006
    • 778

    Wegweiser-Personal

    Meine Lieben,

    Ich lese gerade den Decker "praktische Generalstabswissenschaft", Berlin, 1830.

    Zu meinem nicht geringen Erstaunen bemerke ich, daß dem sog. Wegweiser-Personal (frz. Guides) neun Seiten eingeräumt wird, den Ingenieurgeographen aber nur eine Seite (siehe S. 30 ff.). Gleichzeitig werden dem Wegweiser-Personal viele Kenntnisse im Aufnehmen und Krokieren abverlangt, die ich bisher nur den Ingenieurgeographen zugeschrieben hätte. Von Kartographen und aufnehmenden Ingenieuren ist überhaupt nicht die Rede, da diese nur in langen Friedenszeiten eine Landesaufnahme bewältigen konnten (Cassini und Söhne ca. 50 Jahre), und ein Buch für Generalstäbler will natürlich für die Campagne oder Manöver nützlich sein, wo für derlei Geschäfte keine Zeit ist.

    Ein alter Praktikus wird auf S. 39 zitiert:

    Ein Bote am Strick ist im Gefechte besser, als zehn Landkarten von Cassini.
    Anders ausgerückt: Jeder Offizier weiß natürlich, daß die beste topograph. Karte nicht mehr viel nützt, wenn man das Weiße in den Augen des Gegners sieht. Den genauen Zustand eines Terrains kann eine Karte nicht wiedergeben.

    Daraus folgt eine hohe Wertschätzung der Ortskundigen, deren man sich oft mit Gewalt bemächtigte, aber auch ein noch völlig unterentwickeltes Kartenwesen und -verständnis der Zeit bis 1815.

    Meine Thesen zu dieser Wertschätzung sind:

    1) Genauigkeit der Karten: Die schon damals veraltete Generalkarte von Cassini (1:86.400) war nicht gerade ein leuchtendes Vorbild für die Genauigkeit des Terrrains oder Signaturen. Die gedruckte Schmettausche Karte von ca. 1780 ist erheblich moderner in der Terraindarstellung, wenngleich sie unübersehrbare Schwächen im Dreiecksnetz hat. Für taktische Aufgaben im Gelände muß man mindestens Karten 1:25.000 haben, am besten noch kleiner. Dagegen war der Wert der Postroutenkarten und Generalkarten für die Planung der Märsche anerkannt.

    2) Aktualität der Karten: Wenn die Terrainaufnahme über 20 Jahre und mehr zurückliegt, dann werden viele Terraindetails nicht mehr stimmen. Fortschreibung von Kartenwerken waren ja erst im Prinzip bekannt. Wenn Details nicht mehr stimmen, hält man das ganze Werk für wertlos.

    3) Verfügbarkeit der Karten: Die Karten des gefragten Maßstabs existierten nur als Handzeichnungen, siehe z.B. die k.k. Karte von Südwestdeutschland oder die sächsischen Meilenblätter, die so geheim waren, daß sie sofort in den Plankammern verschwanden. Die wenigen Exmplare waren also praktisch nie am richtigen Zeit zum richtigen Ort. Einzig mir bekannte Ausnahme sind die sächs. Meilenblätter, die Napoleon 1813 bei der Schlacht von Bautzen meisterlich zu nutzen verstand. Selbst die gedruckten Generalkarten deckten nur wenige Territorien ab, wie die Lecoque Karte von Nordwest-Deutschland, die Schmettausche Karte von Mecklenburg, die Schröttersche Karte von Ostpreußen etc., die sich bei franz. (!) Offizieren größter Beliebtheit erfreuten.

    4) Bildung der Offiziere: Nur Generalstabsoffiziere oder auch die jüngeren Offiziere ab 1800 waren im Aufnehmen, Kroquiern oder Kartographieren, also auch Lesen von Karten ausgebildet. Mithin konnte andere Offiziere auch mit den Karten nicht viel anfangen, selbst wenn sie ihnen zur Verfügung gestanden hätten.

    5) Eine Karte erhält ihren Wert erst in Verbindung mit dem Recogniszieren, also Aufgaben, die i.d.R. von den Guides wahrgenommen werden. Eine abgebrannte Brücke kann in keiner Karte verzeichnet sein...

    6) Preis: Karten wurden als private Anschaffungen der Offiziere angesehen, die einen erheblichen Teil des Traktaments investieren mußten, was sich nur Stabsoffiziere leisten konnten. Etatsmäßige Anschaffungen fremder Kartenwerke sind mir nur für den franz. und russ. Generalstab bekannt, nicht aber für Preußen, wo augenscheinlich nur die Plankammer zu Berlin dafür zuständig war.

    7) Das Format: Üblicherweise wurden die Karten nicht gefaltet, sondern plano oder gerollt geliefert, was den praktischen Gebrauch auch nicht gerade erleichterte. Die Käufer mußte die Karten zerschneiden und auf Leinen aufziehen lassen, damit sie für den Feldgebrauch geeignet waren. Auf eigene Kosten versteht sich... und Entfernungen ließen sich über die Knickfalten auch nicht mehr allzu genau abgreifen...

    Also insgesamt alles Faktoren, die die Anschaffung von Karten überhaupt nicht begünstigten, trotz ihrer offiziellen Wertschätzung durch die Feldherren.

    Ich hätte jetzt also gerne zeitgen. Zitate gesehen, die den Umgang mit Karten und meine Thesen belegen bzw. widerlegen.

    LB
    Zuletzt geändert von Blesson; 12.10.2007, 11:05.
    Do, ut des

    http://www.ingenieurgeograph.de
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