Recogniszieren in der Herbstcampagne 1806

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  • Blesson
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    • 03.10.2006
    • 778

    Recogniszieren in der Herbstcampagne 1806

    Meine Lieben,

    ich beziehe mich hier auf einen alten thread "Aufklärung im Feindesland":



    Dort hatte ich unter anderen die Vermutung geäußert, daß preußischerseits im Vorfeld der 1806er Campagne in Thüringen wenig oder nicht recognisziert wurde. Im Priessdorf Nr. 820 über Levin von Geusau (1734-1808), dem damaligen Chef des Ingenieurcorps und Generalinspecteur aller Festungen, gleichzeitig Chef des Generalquartiermeisterstabs, bei dem v. Scharnhorst angestellt war, finden wir den u.g. Beleg.

    Dies Zitat belegt, daß die von Scharnhorst geforderte Recogniszierung Thüringens auf Einspruchs Geusaus unterlieb. Dies ist also ein weiterer Faktor, der zur Niederlage bei Jena u. Auerstedt beitrug: Herr v. Geusau erkannte wohl seine Fehlleistung und nahm den Abschied, bevor er selbst dazu gezwungen wurde.
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    Zuletzt geändert von Blesson; 31.10.2006, 17:41.
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    • 30.09.2006
    • 2687

    #2
    Müfflings Rolle

    Dieser Sachverhalt ist mir neu, denn ich habe gelesen, dass der Preußische Hauptplan (vom 25.9.1806: http://www.1806-1807.napoleon-online...d=12&Itemid=39) auch stark auf den guten Terrainkenntnissen Müfflings beruhten ... zudem war die damalig in Erfahrung gebrachte Aufstellung der französischen Truppen nicht weit von deren tatsächlicher Lokalisation entfernt.

    Reichte daher diese Einschätzung nicht? Bzw. der Operationsplan wurde ja schon von Anfang an durch Hohenlohe und im Besonderen durch dessen Stabschef Massenbach torpediert.

    Aber an regionalen Kenntnissen des Thüringischen sollte es im Hauptquartier nicht gemangelt haben.

    Markus Stein
    "Wenn wir geboren werden, weinen wir, weil wir diese große Narrenbühne betreten" (King Lear) ... jedem also sein ganz persönliches (Hof-) Narrenleben

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    • Blesson
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      • 03.10.2006
      • 778

      #3
      Gewiß wird sich v. Müffling als gebürtiger Erfurter im Thüringer Raum gut ausgekannt haben; auch hat er mit Erlaubnis des Herzog von Sachsen-Gotha unter Leitung des Astrononem Zach von ca. 1803-1805 den Thüringer Wald (Basis Seeberg) trianguliert. Möglicherweise hat er als erfahrener Kartograph im Oktober 1806 auch nach dem Gedächtnis kroquirt bzw. vorhandenen Postroutenkarten verbessert, aber das macht noch keine Karte, die für die Herrn vom Generalquartiermeisterstab allgemein verfügbar war. Der Nachweis ist wohl schwierig zu führen, da mit Sicherheit alles Material auf dem Rückzug verlorenging bzw. den Franzosen in die Hände fiel...

      Wir reden hier über zwei Dinge: eine Karte für einen Operationsplan und die Nutzung einer genauen topographischen Karte während der Campagne, wofür erstere nicht ausreicht. Der Sinn einer Situationscharte (modern: topographischen Karte) liegt ja gerade darin, daß gerade mit dem Terrain nicht vertraute Offiziere eine Beurteilung allein aus der Karte herleiten konnten, und gerade daran mangelte es. Für einen Operationsplan hingegen braucht man geographische Karten größeren Maßstabs (also ca. 1:200.000). Herr v. Müffling war während der Campange mit Sicherheit nicht immer an der Stelle, wo er mit seinen Terrainkenntnisse hätte nützen können. Ich werde also noch einmal in seinen Memoiren nachlesen, was er dazu schreibt.

      Wie schon an anderer Stelle schon erwähnt, war das Herzogtum Weimar in einer 4-teiligen Separat-Pièce unter Schmettau kartographiert, aber man hat offenbar von der Karte keinen Gebrauch gemacht - warum auch immer. Die außerhalb der Separat-Pièce liegenden Terrains (insbesonders die Passagen durch den Thüringer Wald) hätten also recognisziert werden müssen.

      LB
      Zuletzt geändert von Blesson; 31.10.2006, 17:39.
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      • Blesson
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        • 03.10.2006
        • 778

        #4
        Wie erwartet, findet sich in den Memoiren Müfflings nicht der kleinste Hinweis auf die Recogniszierungen 1806 - etwas, was er sicher niemals hätte vergessen zu erwähnen.

        LB
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        • Sans-Souci
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          • 01.10.2006
          • 1841

          #5
          Ein amüsantes Detail findet sich in den "Historischen Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Verfalls des preußischen Staats seit dem Jahre 1794, nebst seinem Tagebuch über den Feldzug von 1806" des unglücklichen Obristen Christian v. Massenbach, erschienen in Germanien 1808. Leider hab ich nur den 1982er Nachdruck des 2001 Verlages.

          Massenbach berichtet darin aus der - ergebnislosen - Unterredung beim Herzog von Braunschweig am 5. Oktober 1806 in Erfurt, in der beratschlagt wurde, ob man über den Thüringer Wald übergehen sollte (S. 215):

          Wahrlich, der Herzog schien allen Scharfsinn verloren zu haben. Zum Unglück hatte er eine alte Landkarte von Franken vor sich liegen, auf welcher die fränkische Saale und die Braunach nach einem so großen Maaßstabe gezeichnet waren, daß man jene für den la Plata, und diese für den Mississippistrom halten konnte.
          Massenbach selbst verwendete F. H. Kreybich's Karte von Franken (S. 219 f.).

          Seine Bemühungen seit dem Jahre 1802, den Generalquartiermeisterstab neu zu organisieren, beschreibt Massenbach auf S. 68 ff.

          Reisen von Mitgliedern des Stabes in verschiedene potentielle Kriegstheater wurden teilweise aus Geldgründen nicht genehmigt (S. 96):

          und einer der Umgebungen des Königs fragte mich einst in allem Ernst: ob denn der König denn Geld zu solchen Spazierreisen geben könne ?
          1803 machte Massenbach den vom König genehmigten Vorschlag, bei den Rekognoszierunegn an den Grenzen des Staates zu beginnen und sich erst später mit den inneren Teilen zu befassen (S. 92 f.). Das Resultat:

          Man fand es für gut, die Ufer der Leine und der Havel zu rekognoszieren.
          Also Hannover, das seit 1805 ja preußisch war, und die Kurmark. Was natürlich auch seine Vorteile hatte.
          Zuletzt geändert von Sans-Souci; 30.10.2006, 23:24.

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          • Blesson
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            • 03.10.2006
            • 778

            #6
            Immerhin benutzt Massenbach die Karte für den fränkischen Kreis:

            K 152 1804
            Charte von dem fränkischen Kreise ...gez. von F. H. Kreybich, Weimar, Geographisches Institut


            Wäre schön, hier einen Auszug oder wenigstens eine Angabe des Maßstabs zu finden.

            LB
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            • Sans-Souci
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              Major
              • 01.10.2006
              • 1841

              #7
              Was bedeutet die Abkürzung

              K 152 1804 ?

              1804 wahrscheinlich die Jahreszahl, aber der Rest ?

              Weitere Aufhellungen zum Thema finden sich wahrscheinlich in dem in Kürze erscheinenden 4. Band der Schriften Scharnhorsts:

              Scharnhorst, Gerhard von
              Private und dienstliche Schriften: Band 4: Generalstabsoffizier in Frieden und Krieg (Preussen 1804-1807)
              Herausgegeben von Kunisch, Johannes / Sikora, Michael. Bearbeitet von Stieve, Tilman

              Verlag : Böhlau Köln
              ISBN : 3-412-27105-5
              Einband : Gebunden
              Seiten/Umfang : ca. 850 Seiten - 24 × 17 cm
              Erschienen : 1. Auflage 2006
              Preisinfo : 999,90 Eur[D] / 102,70 Eur[A] / 156,00 sFr (geplanter Preis)
              Aus der Reihe : Veröff. aus d. Archiven Preuss. Kulturbes. 52,4
              Zuletzt geändert von Sans-Souci; 31.10.2006, 18:55.

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              • Blesson
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                • 03.10.2006
                • 778

                #8
                Folgendes Zitat von Massenbach macht mich stutzig:
                Man fand es für gut, die Ufer der Leine und der Havel zu rekognoszieren.
                Warum also die Leine im westlichen Kriegstheater? Sie bildet, ebenso wie die Weser, in Nord-Südrichtung ein natürliches Hinderniss für einen Angreifer aus Westen.

                Für das Hannöversche mit der Leine gab es die gedruckte Section X. der LeCoqschen Karte von Nordwestdeutschland im Maßstab 1:86.400, in meiner Ausgabe datiert auf 1810 oder später: diese konnte also 1806 nicht vorliegen, obwohl die Aufnahmen 1805 abgeschlossen waren. Ob die Reinzeichnung im Potsdamer Bureau von LeCoy bereits vorlag, wissen wir nicht. Die Hannöverschen Amtskarten und die kurhannoversche Landesaufnahme aus der 2. Hälfte des 18. JH müßten aber in der hannöverschen Plankammer vorgelegen haben, mithin also auch dem pr. Generalquartiermeister bekannt gewesen sein. Also wurde noch einmal recognisziert, obwohl topographische Karten vorlagen?


                Warum die Havel? Sie bildet ein natürliches Hinderniss im Südwesten von Berlin bis zur Elbe.

                Für die Havel lag die gedruckte (!) die Schmettausche Karte im gleichen Maßstab vor. Hier ist ganz besonders kurios, warum hier en Detail recogsnisziert werden sollte.

                Mein Kommentar: Wen der Herr vernichten will, den schlägt er mit Bindheit?

                LB
                Zuletzt geändert von Blesson; 02.11.2006, 12:20.
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                • Sans-Souci
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                  Major
                  • 01.10.2006
                  • 1841

                  #9
                  Ich habe jetzt endlich den vierten Band der Scharnhorst-Edition bekommen.

                  Dort sind die Vorschläge Scharnhorsts für die 1806er Erkundungen der 3. Brigade des Generalstabes (zuständig für das westliche Kriegstheater) abgedruckt.

                  Am 9. Mai [No. 130 und No. 131] schlug er Geusau vor, beginnend mit dem 1. Juni die folgenden Gegenden rekognoszieren zu lassen:

                  1) das Bremische und das Lauenburgische sowie das Mündungsgebiet der Weser
                  2) die Länder Lippe-Detmold,Ravensberg, Pyrmont, Waldeck, Paderborn
                  3) alle Länder zwischen dem Bayreuthischen, Eichsfeld, Mühlhausen und Nordhausen sowie das Fuldasche.

                  Anscheinend hatte Geusau (seine Ablehnung ist wohl in Karl Linnebach's Edition von Scharnhorsts Briefen im Auszug abgedruckt, und in der neuen Scharnhorst-Edition auf S. 225, Anm. 1, partiell wiedergegeben) die Reisen als "zu weitaussehend" abgelehnt, auf die Kosten und die komplizierte Abrechnung mit vielen verschiedenen fremdländischen Territoren hingewiesen, und daß solche Projekte "selbst in politischer Rücksicht nicht rätlich sein" könnten. "Jeder Schritt der Art [...] kann Gelegenheit zu Mißdeutungen geeben." Der Herzog von Braunschweig könne die Reisen aber direkt dem König vorschlagen.

                  In einem Schreiben vom 20. Mai [No. 132] nimmt Scharnhorst Bezug auf diese Ablehnung Geusaus vom 13. Mai und erneuert seinen Vorschlag, dem der Herzog von Braunschweig seine Zustimmung gegeben habe, und bietet sogar an, daß die drei mit den Reisen zu beauftragenden Offiziere die zusätzlichen Kosten für Fourage und Quartiere selber tragen würden.

                  Am 23. Mai teilte Geusau Scharnhorst vertraulich mit (Scharnhorst-Edition S. 227, Anm. 2, die Angaben dort nach Linnebach), daß die Erkundungen auch deshalb nicht durchgeführt werden könnten, weil möglicherweise einige Generalstabsoffiziere bei dem Truppen gegen Schwedisch-Vorpommern angestellt werden müßten - am 16. Mai hatte Napoleon Preußen Schwedisch-Pommern angeboten, Schweden war zu dieser Zeit mit Frankreich im Kriegszustand.

                  Ein Brief an Geusau vom 27. Mai [No. 134} kündigt dann einen neuen Entwurf für die Rekognoszierung "nur im Inlande" an, der am 10. und 12. Juni [No. 135 und No. 136] efolgte.

                  Übrigens wurden in die Karten die Anzahl der Feuerstellen jedes Ortes eingetragen, idealerweise auch noch die Anzahl der dort vorhandenen Pferde, was die Arbeit gewaltig erleichterte, wenn man Truppenmärsche und Einquartierungen planen mußte.
                  Zuletzt geändert von Sans-Souci; 10.05.2007, 22:01.

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                  • Blesson
                    Erfahrener Benutzer
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                    • 03.10.2006
                    • 778

                    #10
                    Geduldig nährt sich das B-Hörnchen, es gibt neuere Nachrichten über die Kartenwerke von 1806 in:

                    Hans Brunner: Wie Sachsen vermessen wurde - Die Meilenblätter und die kursächsische Landesvermessung von 1780 bis 1825. Fachbereich Vermessungswesen, Hochschule für Technik und Wirtschaft, Dresden, 2002
                    Nebenbei gesagt, wirklich sehr kompetent und aufschlußreich für alle an der Geodäsie Interessierten geschrieben. Doch zurück zum Thema, auf S. 56, Kapitel 8.4 Karten der thüringischen Staaten, heißt es:

                    Nachgewiesen ist, daß der Großherzog Karl August von Sachsen-Weimar um 1796 in Dresden um die Überweisung einiger Offiziere für kartographische Arbeiten nachgesucht hat. Bis 1800 enstanden so Karten über das Großherzogtum Sachsen-Weimar (5-Blätter) [....] Hand gezeichnete Ausfertigungen liegen in den Staatsarchiven in Dresden und Weimar.

                    Es wurden überwiegend vorhandene Geländeaufnahmen von Wiebeking, Schmettau, Güssefeld u.a. örtlich ergänzt und es enstanden durch die Umarbeitung [...] sehr schöne topographische Karten.
                    Voilà, es gibt also die gesuchten Spezialkarten noch heute, das Rätsel ist dann, ob und wie denn diese Karten in der thüringischen Campagne von 1806 vom pr. Quartiermeisterstab genutzt wurden.... Gibt es in den gesammelten Schriften von Scharnhorst einen Hinweis?

                    LB
                    Zuletzt geändert von Blesson; 10.06.2007, 20:13.
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                      • 03.10.2006
                      • 778

                      #11
                      Anmerkung:
                      Übrigens wurden in die Karten die Anzahl der Feuerstellen jedes Ortes eingetragen, idealerweise auch noch die Anzahl der dort vorhandenen Pferde, was die Arbeit gewaltig erleichterte, wenn man Truppenmärsche und Einquartierungen planen mußte.
                      Das ist nichts ungewöhnliches in der ökonomisch-statischen Erhebung für die Landesvermessung, denn Zahl der Feuerstellen war Grundlage für die Steuer, bevor das allgemeine Kataster diese Besteuerungsform ersetzte. Bei den "quatre nouveaux départements" ab 1801 waren die "cahiers statistiques" integraler Bestandteil der Landesvermessung.

                      LB
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                        • 01.10.2006
                        • 1841

                        #12
                        In der Scharnhorst-Edition findet sich leider sonst nichts weiter zu den im Feldzug 1806 verwendeten Karten.

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