Belagerungskrieg: Retour ?

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  • Sans-Souci
    Erfahrener Benutzer
    Major
    • 01.10.2006
    • 1841

    Belagerungskrieg: Retour ?

    Aus der Belagerung von Wittenberg 1813/14 (Vogel, 1844), S. 112:

    Vierte Nacht vom 31. Dez. zum 1. Januar 1814.

    Der Ingenieur ging mit einem Retour von 70 Schritt Länge mit ganzer Sappe vor, der als Theil der 2ten Parallele gelten sollte.
    Die erste Parallele war bereits fertig (in der ersten Nacht gebaut worden).

    Was ist ein Retour ?

    Und was ist eine ganze Sappe ? Ist damit eine fest definierte Breite gemeint ?
  • Blesson
    Erfahrener Benutzer
    Adjudant
    • 03.10.2006
    • 778

    #2
    Oli,

    Im Krieg-Ingenieur- und Artillerielexikon des Jahnn Rudolph Fäschen aus dem dem jahr 1715 lesen wir auf S. 201:

    Retour oder Coude de la Tranchée: Winckel, Schlag, Wendung eines Laufgrapens, ist die Krümme einer Approche, wo die eine Linie aufhöret, und die andere wieder anfängt.
    Mein Kommentar: Gewöhnlich spricht man vom Schlag, Retour ist doch etwas altmodisch. An dem Schlag liegt gwöhnlich ein Haken, also eine Ausbuchtung:

    Crochets, heissen Haken, so bey den Sic-Sacs gemachet werden, und denen in der Tranchée aus und ausgehenden ausweichen.
    Sappe: Anjetzo ist eine stehr tieff gemachte Tranchée, die man aus den Approchen pousiret, nachdem man mit denenselben nahe dem Glacis avanciret. Man geht mit der Sappe unter dem Glacis und dem bedeckten Wege, und wirfft die Erde zu beyden Seiten, um sich damit zu bedecken.
    Ganze Sappe (korrigiert: doppelte Sappe) ist hier als eine Sappe zu verstehen, welche mit ihrem Aufwurf auf beiden Seiten gegen feindliches Feuer schützt? Bei den Parallen genügt eine einfache Sappe mit einem Aufwurf zur Feindseite, die ganze Sappe ist in Reichweite des Kleingewehrfeuers und der kleineren Wurfgeschütze (Coehorns) üblich. Auf kürzeste Distance, vor allem auf dem Glacis sowie bei dessen Krönung (Couronnement) empfiehlt sich die Traversensappe oder die Würfelsappe.

    Beigefügt aus einem Lehrbuch eine förmliche Belagerung mit der 2. und 3. Parallele. Drey Annäherungsgräben (Approchen) mit Schlägen (Retours) und Haken (Crochets) von der 1. Parallle, welche sich gegen die Spitzen der Bollwerke (Bastionen) und Wallschilde (Ravelins) des angegriffenen Abschnitts (Fronte) richten.

    LB
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    Zuletzt geändert von Blesson; 29.01.2008, 21:42.
    Do, ut des

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    • brumbaer
      Neuer Benutzer
      Soldat
      • 16.01.2008
      • 14

      #3
      Laut Herder Konversationslexikon von 1854 beschreibt "ganze Sappe" die Vorgehensweise beim erstellen der Sappe.

      Die Sappeure schieben einen Rollkorb (6 Fuss hoch und 4 Fuss breit mit Moos o.ä. gefüllt) vor sich her hinter dem sie den Graben ausheben. Die Erde kommt in die Sappeurkörbe, die die Seitenwände bilden. Lücken zwischen den Körben werden mit Faschinen gefüllt.

      mfg
      SH

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      • Sans-Souci
        Erfahrener Benutzer
        Major
        • 01.10.2006
        • 1841

        #4
        Vielen Dank.

        In der dritten Nacht war man aus der ersten Parallele 122 Schritt vorgegangen.

        In der vierten Nacht setzte man also an dem Ende dieses Grabens mit einem Retour/Schlag an, und legte die ersten 70 Schritt der zweiten Parallele an.

        In dem von mir in meinem ersten Posting zitierten Satz müßte also das erste "von" durch ein "etwa" oder "auf" oder etwas ähnliches ersetzt werden, um einen Sinn zu ergeben ?

        Also zum Beispiel:

        Der Ingenieur ging, mit einem Retour, etwa 70 Schritt Länge mit ganzer Sappe vor, der als Theil der 2ten Parallele gelten sollte.

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        • brumbaer
          Neuer Benutzer
          Soldat
          • 16.01.2008
          • 14

          #5
          Die Form "von 70 Schritt Länge" ist durchaus heute noch gebräuchlich wie in "ein Weg von einem Meter Breite"

          Die "modernere" Variante wäre "Retour mit einer Länge von 70 Schritten"

          mfg
          SH

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          • Sans-Souci
            Erfahrener Benutzer
            Major
            • 01.10.2006
            • 1841

            #6
            Was mich verwirrt, ist, daß ein "Retour" oder "Schlag" doch kaum eine Länge von 70 Schritt haben kann ?

            Der "Schlag" bezeichnet ja eine Änderung in der Richtung der Streckenführung, ist daher theoretisch-mathematisch gesehen ein Punkt, und praktisch eine Art Wendestelle von der Breite des Lauf-(und Fahr-)Grabens.

            Retour oder Coude de la Tranchée: Winckel, Schlag, Wendung eines Laufgrapens, ist die Krümme einer Approche, wo die eine Linie aufhöret, und die andere wieder anfängt.
            Die 70 Schritt müssen sich also auf die gerade Strecke beziehen, die in dieser Nacht nach dem Graben des "Retours" noch weiter in der neuen Richtung ausgeführt wurde ?

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            • Blesson
              Erfahrener Benutzer
              Adjudant
              • 03.10.2006
              • 778

              #7
              Die 70 Schritt beziehen sich natürlich auf eine gerade Strecke, was mir auch reichlich kurz scheint; um mehr in dem speziellen Fall zu wissen, brauchte man den ganzen Textabschnitt oder am besten einen Situationsplan, der wohl kaum aufzutreiben sein wird.

              Allgemein gesagt: Kurz aufeinander folgende Schläge mindern das Risiko, daß eine Sappe von einer Konterapproche mit Geschütz bestrichen (enfiliert) werden kann, jedoch bedeutet jeder Schlag (Retour) mit anhängendem Haken (Crochet) eine Verzögerung, weswegen man bei den Kommunikationen hinter der 1. Parallelle (also i.d.R. 800-1000 Schritt von den Werken) und den Approchen vor der 1. Parallele in der Regel eine lange gerade Tranchée bevorzugt, um sich schneller der anzugreifenden Fronte zu nähern. Wenn noch Geschütz durch die Approchen gefahren werden muß, sollte die 10' breite Approche auch nicht zu enge Schläge haben. Regeln zur geometrischen Konstruktion im nächsten Beitrag.

              LB
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              • Sans-Souci
                Erfahrener Benutzer
                Major
                • 01.10.2006
                • 1841

                #8
                Die 70 Schritte samt "Retour" war die Strecke, die in der vierten Nacht insgesamt angelegt werden konnte. In der fünften Nacht ging es dann weiter.

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                • Blesson
                  Erfahrener Benutzer
                  Adjudant
                  • 03.10.2006
                  • 778

                  #9
                  Zu Konstruktion der Approchen:

                  da diese sich für gewöhnlich auf den ausspringenden Winkel eines Werkes richten, muß dessen Kapitale (Halbierende) gefunden werden, längs derer sich die Sappe aligniert. Dann braucht es noch zwei weitere Direktionspunkte rechts und links der Kapitale, die so weit for dem bedeckten Weg der flankierenden Werke liegen, so daß diese niemals vom Verteidigier enfiliert werden können, und deren Abstand in etwa die Basis der Approche herstellt. Sie formieren also gewissermaßen den Korridor, in dem die Approche zu liegen kommt. Die Verbindung zwischen dem rechten und linken Direktionspunkt markiert diejenige Linie, bis zu der das Zick-Zack /Sic-Sac der Approchen vorangetrieben werden kann. Schon bereits einige dutzend Schritt vor dieser Linie kommen die Schläge auf der jeweils gleichen Seite zu eng zu eineinander zu liegen, was man mit kürzeren Abständen der Schläge ausgleichen kann.

                  Jenseits dieser Linie schreitet man gewöhnlich mit einer Würfelsappe oder doppelten Sappe o.ä. fort.

                  Es ist zwar recht einfach (wie von mir bei Dömitz erprobt) eine Approche im Zick-Zack gegen eine Bastion mit Hilfe einer Tracierschnur zu legen, aber unter feindlichem Feuer hätte es dann doch einen etwas anderen Beigeschmack.

                  Die beigefügte Abbildung stammt von

                  M. de Bousmard, Obrister im k.p. Ingenieurcorps., Essai général de Fortification et d'Attaques et Défences des places, Planche 5
                  und zeigt den Angriff auf den Ravelin eines Hornwerks. Maßangaben in Toises (Klaftern).

                  LB
                  Angehängte Dateien
                  Zuletzt geändert von Blesson; 29.01.2008, 21:43.
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                  • Blesson
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                    Adjudant
                    • 03.10.2006
                    • 778

                    #10
                    Noch ein Nachtrag zur Klarstellung der Terminologie nach:

                    J.G. von Hoyer, Lehrbuch der Kriegsbaukunst, zweiter Theil den Angriff und die Vertheidigung der Festungen enthaltend, Berlin 1818, §481, 96 ff.
                    1) Ungedeckte Sappe (sape à découvert) wo die Arbeiter den, mit Faschinen bezeichneten Graben, ohne alle weitere Deckung, auheben und die Erde gegen die Festung hin werfen. Man beobachtet diese Verfahren bei der ersten Parallele [des Nachts]....

                    2) Werden in der Nacht eine Reihe Schanzkörpe in der bestimmten Richtung nebeneinander aufgestellt, und zu gleicher Zeit der hinter ihnen ausgegebrabenen Erde angefüllt, bekommt dieses Verfahren den Namen flüchtige Sappe (Sape volante). [auch fliegende Sappe, da schnell voranschreitend]

                    3) Die eigentliche ganze Sappe (Sape pleine oder achevé) wird ganz in der Nähe des Feindes von 4 Mann ausgefüheret, von den der erste vorn durch einen Rollkorb [....] gedeckt, einen Schanzkorb in der erforderlichen Richtung aufstellet, und mit der dahinter ausgegrabenen Erde auffüllet [....]

                    4) mit der doppelten Sappe auf der Kapitale des vorspringenden Winkel gegerade vor, in dem man die beiden Reihen Schanzkörbe mit 12 Fuß Abstand neben einander setzt, und zwischen ihrn fort arbeitet. Der in der Mitte noch stehende Erdkeil wir zuletzt von anderen Arbeitern ausgeworfen. [....]

                    5) Wäre die doppelte Sappe [....] dem feindlichen Feuer sehr ausgesetzt, muß man sie durch Traversen gegen das gerade Bestreichen sichern. [...] giebt man ihr den Namen doppelte Wende-Sappe (Sape double) oder der Querwall-Sappe (Sape traverse).

                    6) ist man dem feindlichen Feuer sehr hoher Werke ausgesetzt, [....] werden die Schanzkörbe der doppelten Sappe oben mit Blendrähmen, diese aber mit Faschinen mit 1 bis 2 Fuß hohe Erde bedeckt. So ensteht unter dem Namen der Bedeckte Sappe (sape couverte) eine Art unteridirdischer Ganges [....].
                    In der Abbilldung der Querschnitt durch eine ganze Sappe, 1. Hälfe des 18. JH.

                    LB
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                    Zuletzt geändert von Blesson; 29.01.2008, 21:45.
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