Gemälde nap. Küstenbatterie im Feuer, Tattegrain 1911

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  • Blesson
    Erfahrener Benutzer
    Adjudant
    • 03.10.2006
    • 799

    Gemälde nap. Küstenbatterie im Feuer, Tattegrain 1911

    Meine Lieben,

    zur Zeit schreibe ich einen Artikel über die Sperrwirkung der Küstenartillerie, wo mir ahnhängendes Gemälde untergekommen ist.

    Das 1911 entstandene Gemälde von Tattegrain[1] zeigt eine französische Küstenbatterie im Gefecht. Das fiktive Ereignis ist etwa auf die Periode 1805-1814 zu datieren. Tattegrain stammte aus Berck-sur-Mer an der französischen Kanalküste und hat sich möglicherweise von der Landschaft seiner Heimat inspirieren lassen.

    Das Gemälde ist wegen der zahlreichen Ungenauigkeiten und Fehler außerordentlich lehrreich, Jetzt möchte ich von Euch wissen, was ihr seht und was ich noch nicht entdeckt habe.




    [1] Francis Tattegrain (1852-1915), französischer Maler des Realismus, vor allem bekannt für Portraits, historische Szenen und Arbeitsszenen im Alltag.


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    Do, ut des

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  • Tom
    Erfahrener Benutzer
    Chef de Bataillon
    • 03.10.2006
    • 1143

    #2
    Wenn Nelson, dann spätestens 1805 (laut Rückseite Bombardement von Boulogne, 1802?), aber wann hat die französische Küstenartillerie Tschakos erhalten? Dass Frauen und Kinder in einer feuernden Küstenbatterie herumgelaufen sind oder gar ausgeholfen haben, wage ich zu bezweifeln. Man sieht ja auch Treffer der Engländer (der 24-Pfd. [?] links über den Haufen geworfen, auch die Bedienungsmannschaft am Mörser scheint getroffen worden zu sein). Interessant, wie die glühende Kugel herangetragen wird, klassisch gab es spezielle Öfen mit Rosten zum Erhitzen der Kugeln.
    Gruß, Tom

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    • Blesson
      Erfahrener Benutzer
      Adjudant
      • 03.10.2006
      • 799

      #3
      Die Anmerkung zu Nelson kommt vom Auktionshaus und soll wohl den Verkauf befördern. Natürlich ist das blanker Unsinn. Hier sind die blauen Uniformen der Fußartillerie zu sehen, richtig wären aber die der Küstenartillerie (artillerie garde-côte) mit dunkelgrünen Abzeichenfarben, Weste und Hosen. Tschako ist schon OK. Siehe Marbot Tafel rechts.

      Der Löffel für glühende Kugeln ist schon OK, aber die Frauenspersonen? Die Esse rechts ist romantisch idealisiert wie ein Lagerfeuer in Szene gesetzt, richtig wäre ein Kugelofen.so würde man mehr als 2 Stunden brauchen, um die Kugel hübsch kirschrot zu bekommen.

      Frauen und Kinder halte ich für blanken Unsinn. Hier wird also ein Volkskrieg gegen die Engländer suggeriert.

      Es gibt noch viel mehr zu entdecken!
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      • Da Capo
        Erfahrener Benutzer
        Adjudant
        • 23.10.2006
        • 913

        #4
        Mal abgesehen von dem suspekten Familienausflugscharakter des gesamten Bildes (Abenteuerurlaub?) verstehe ich die Handlung an der noch einsatzbereiten Kanone nicht.

        a) die hölzerne Rettung ist nach vorn ablaufend. Wieso müssen dann 3 Leute mit Handspeichen an der an einen Spill erinnernden Vorderachse herumfuhrwerken. Gerichtet wird die Höhe über das Rohr, die Richtung über den "Richtbaum" am Ende der Bettung.
        b) Richten in der Höhe. Wer richtet da? Ein Zivilist? Und wie richtet dieser in der Höhe? Durch Lupfen der Traube?
        c) Richtung: die hölzerne Bettungskonstruktion steht auf Sand, es ist zumindest kein weiterer Unterbau zu erkennen. Die Konstruktion würde sich schon bei bloßen Stehen und nochmehr beim Feuern hoffnungslos eingraben, was ein Richten in der Richtung unmöglich macht. Selbst bei einem Unterbau für die hinteren Rollen der Bettungskonstruktion dürfte ein Bewegen des Bettungsschwanzes ungeheur schwierig und kraftaufwändig sein und eher zu einem Abbrechen des recht dünnen Baumes (auch aufgrund des dargestellten Hebels) als zu einer Bewegung führen.
        d) wie die Mädels die glühende Kugel in das Geschützrohr bekommen wollen, ist mir aufgrund des Abstandes zwischen Boden und Mündung schleierhaft. Überhaupt dürfte der gesamte Ladevorgang gewisse sportliche Anforderungen stellen (also doch Abenteuerurlaub?).
        e) was das ganze Volk auf der rechten Geschützseite treibt, kann ich nicht erkennen.
        f) bei der Lafette kann ich keinerlei Beschläge erkennen, nicht einmal Zapfenlager mit Deckel. Das geht nicht lange gut.
        g) zum Rücklauf eines solchen Geschützes habe ich keine Informationen, ich nehme aber an, dass das Geschütz nicht von der Bettung aus gezündet werden kann. Wie dann?

        Was mich allgemein etwas ratlos zurück läßt, ist die Drapierung mit Toten und Verwundeten, um die nicht einmal insoweit gekümmert wird, als sie z.B. auf der linken Geschützseite wenigstens aus dem Weg zu schaffen.
        Wenn der Feind in Schußweite ist, bist Du es auch. Vergiss dabei nie, dass Deine Waffe vom billigsten Anbieter stammt.

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        • Blesson
          Erfahrener Benutzer
          Adjudant
          • 03.10.2006
          • 799

          #5
          Danke da Capo, genau hingeguckt.

          Ich habe eine Abbildung von Montalembert beigefügt, welche die Konstruktion der hohen pivotierenden Rahmlafette ca. 1770 (kurz: Küstenlafette) , den Lade- und Richtvorgang erläutert.

          Montalembert, Marc René, de: Nouvelle maniere de disposer l'Artillerie sur les remparts des places de guerre, devant les places assiégées, & sur les côtes: avec des constructions de forts & de batteries, capables de donner les plus grands avantages à l'Artillerie; L' Art défensif, supérieur à l'offensif, tome 5, Paris, Imprimerie de cercle social (1793)

          zu a) Der Schienen des pivotierende Unterbaus laufen leicht abwärts auf die Abschussposition zu; nach dem Abschuss läuft das Geschütz auf dem Schlitten (Laufkatze) die Schräge hoch und wird mittels eines Keils festgelegt. Der Richtbaum späterer Konstruktionen (wie hier) wird mittels eines Flaschenzugs bewegt. Hier in der Abbildung wird die Laufkatze mit Spaken noch weiter nach vorne gebracht (warum auch immer, die schiefe Ebene bringt die Laufkatze von allein in Schussposition), gleichzeitig werden auch Seiten- und Höhenrichtung vorgenommen, nunja, sage ich, viel Glück.

          zu b) Die Küstenartillerie war als Miliz organisiert; zur Entschuldigung nehmen wir mal an, dass der Richtkanonier bei der Alarmierung nicht in seine Montur schlüpfen konnte. Bei dieser späteren Konstruktion ist es sicher ein Richtschraubenkeil, der +- 5° gerichtet werden konnte. Das Auflagegewicht des 12- oder 24-Pfünderrohrs wird ziemlich hoch gewesen sein, weshalb bei den einfachen Richtkeilen der früheren Konstruktion mit 2 Richtbaumen nachgeholfen wurde (siehe Abb.). Zur Ballistik und Richtverfahren sage ich noch etwas.


          Zu c) Es war in der steinernen Bettung ein horizontaler Drehkranz aus geschmiedeten Eisen, Stein oder Holz üblich, um die Reibung zu mindern und eine genaueres Richten zu ermöglichen. Die kleinen Blockräder wären hoffnungslos eingesunken… Die Seitenrichtung wurde nur in Feuerposition vorgenommen, weil dann das Hauptgewicht auf dem Pivot ruhte. Siehe auch mein Modell.
          Zu d) In der Tat, da habe ich auch gekichert, tapfere Mädels, dass. In der Ladeposition stieg der Ladeschütze auf die Schienen, schob erst die Ladung hinein, dann die Dämmung aus Ton oder nassem Stroh, dann die glühende Kugel auf einer Ladeschaufel, die im Rohr auf die Dämmung kullerte. Leider war der Oberkörper exponiert. Unter Beschuss musste man da einen stoischen Charakter haben.

          Zu e) Die Vergrößerung bringt es ans Licht: Man schart sich vom Abgang rechts um eine Esse wie um ein Lagerfeuer, um Kugeln zu braten. Nur leider dauert es bei diesem Verfahren mehrere Stunden, bis man die Kugeln recht hübsch kirschrot hatte. Richtiger wäre ein Kugelofen, nur der sieht nicht so malerisch aus und der hätte weiter hinten gelegen. Passenderweise hat man an der Esse auch 2-3 Verwundete, gelehnt an die Böschung drapiert, weil der Weg zur Kauterisierung nicht mehr so weit war?

          Zu f) Die wenigen Beschläge sind für diese Epoche schon richtig. Siehe Abb.

          Zu g) Der Rücklauf wurde durch die schräge Ebene aufgefangen. Die Schwerkraft wirkte also als Rücklaufbremse

          Die Behandlung der Verwundeten ist in der Tat kurios, und widerspricht allem, was ich mir vorstelle. Ich nehme an, sie dienen der malerischen Belebung der Szene. Welche Verwundungen sind innerhalb einer Batterie beim Beschuss mit Vollkugeln zu erwarten? Das sind umherfliegende Holzsplitter von der Schartenbekleidung, der linken demontierten Lafette und Steine beim Aufschlag auf die Brustwehr, die wie Kartätschen wirken. Von einem unappetitlichen Volltreffer wollen wir nicht reden. Leicht und Schwerverwundete wurden sicherlich sofort vom Wallgang hinter die Böschung gebracht.
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          • Blesson
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            • 03.10.2006
            • 799

            #6
            Ein weiterer Kardinalfehler ist der Aufbau der Brustwehr, vergleiche mit Abb. von Montalembert:

            Die Konstruktion der Brustwehr ist sehr ungewöhnlich, wenn nicht zu sagen, grundfalsch, denn breite und tiefe Scharten, welche die Brustwehr schwächen, wurden für die hohen Rahmlafetten vermieden: Stattdessen sollte das Geschütz über die Bank feuern und möglichst wenig sichtbar sein. Chasselout-Laubat hat übrigens schon um 1800 die ersten Versenklafetten vorgeschlagen. Der Realismus wurde hier der frei erfundenen Bildkomposition geopfert: Hätte der Künstler die Scharten weggelassen, wären See und Schiffe nicht sichtbar gewesen. Der Künstler hätte alternativ einen erhöhten Standort wählen können, den Kamm der Brustwehr niedriger setzen oder das Bankett erhöhen müssen, damit das Rohr über den Kamm gerichtet werden konnte. Von der Seeseite waren nur die Brustwehr, das Rohr und der obere Abschnitt der Lafette sichtbar. Man kann nun einwenden, Tattegraon habe das nicht wissen können. Doch, sage ich, um 1910 gab es mit Sicherheit noch genügend franz, Artillerieoffiziere, die sich mit damit ausgekannten, denn die Mehrzahl der Küstenbatterien waren immer noch nach diesem Prinzip konstruiert.
            Zuletzt geändert von Blesson; 17.02.2025, 11:46.
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            • Blesson
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              • 03.10.2006
              • 799

              #7
              Noch eine Ungereimheit, die man mit Vergrößerung entdeckt:

              Das englische Geschwader am Horizont manövriert ziemlich erratisch, d.h. es ist nicht in Kiellinie. Die Stellung der Segel zeigt, dass die Schiffe vor dem Wind segeln, also mit auflandigen Wind direkt auf die Batterie zulaufen, was extrem riskant ist, weil sich die Schiffe nach dem Feuerkampf von der Küste freikreuzen müssten. Viel günstiger ist ein Wind, der längs der Küste streicht, siehe z.B. Nelsons Geschwader an der Reede von Kopenhagen. Das vordere Schiff hat der Batterie seinen Bug zugewendet und feuert offenbar mit einem Jagdgeschütz. Um aber das größtmöglich Geschossgewicht gegen die Batterie ins Spiel zu bringen, hätte das Geschwader Breitseiten feuern sollen. Die stark demolierte linke Scharte und die Verwundeten deuten darauf hin, dass die Batterie erst vor kurzem unter Feuer kam.
              Zuletzt geändert von Blesson; 14.02.2025, 15:18.
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                • 03.10.2006
                • 799

                #8
                Nun etwas für Feinschmecker, nämlich zur Ballistik:

                Die Rohr-Elevation des rechten Geschützes liegt wohl um die 5°, was auf einen Bogenschuss hindeutet, wobei dann hier der Aufsatz zum Visieren fehlt. Diese Schussart ist aber bei ruhiger See nicht sehr zweckdienlich, da der Bogenschuss auf ein entferntes Punktziel (sagen wie 800-1000 m) nicht sehr treffsicher ist, zu mal man die Entfernung vorher bestimmen muss. Wenn die Kugel mit 5° Elevation abgeschossen wird, ist der Aufschlagswinkel wegen des Luftwiderstandes etwas steiler, will sagen, die Kugel rikoschettiert wahrscheinlich nicht: also ist die Trefferwahrscheinlichkeit stark gemindert.

                Hier sollte der Visierschuss Vorrang haben (siehe Abb. Montalembert), damit die Kugel nach dem ersten Aufschlag bei ruhiger See bis zu 2.000 m rikoschettieren kann. Mit dem Visierschuss muss nur noch die Seitenrichtung eingehalten werden, um das Ziel zu treffen. Die Sprunghöhe der Kugel kann bis zu 15 m betragen, so dass man Rumpf oder Takelage trifft.

                Das Rohr anzuheben, ist ein weit verbreitetes Imponniergehabe in der Schlachtenmalerei, das auf den Betrachter Eindruck machen soll.


                Zuletzt geändert von Blesson; 16.02.2025, 12:37.
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